Querdenker-Arzt in Hamburg vor Gericht

Arzt und Mitgründer einer Querdenker-Initiative soll falsche Masken-Atteste ausgestellt haben

  • Joachim F. Tornau, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Der 80-jährige Arzt im Gerichtssaal in Hamburg.
Der 80-jährige Arzt im Gerichtssaal in Hamburg.

Seine Fans sind zu Dutzenden gekommen. Als Walter Weber das Gerichtsgebäude verlässt, wird er mit stürmischem Applaus, Johlen und »Walter, Walter«-Rufen empfangen. Wer es noch nicht gewusst haben sollte, kann es jetzt live erleben: Der Arzt aus dem eleganten Hamburger Stadtteil Winterhude ist ein Star der Corona-Leugnungsszene.

Seit Montag muss sich der Mitgründer der Querdenker-Initiative Ärzte für Aufklärung vor dem Landgericht der Hansestadt verantworten, weil er massenhaft falsche Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt haben soll. Der 80-Jährige soll Menschen ohne jede Untersuchung bescheinigt haben, keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen zu können.

Manchmal begründete er das laut Anklage mit »Panikattacken« oder »Symptomen einer CO2-Vergiftung« – obwohl ihm als Internisten und Onkologen für eine solche Diagnose die nötige fachärztliche Expertise gefehlt haben dürfte. Bei den meisten der 57 Fälle, die Staatsanwältin Caroline Schimpeler beim Prozessauftakt auflistet, soll er sich jedoch gar nicht erst die Mühe gemacht haben, einen Befund oder eine konkrete Diagnose auf dem Attest einzutragen.

Weber war ein gefragter Redner bei Corona-Demos, verbreitete eifrig Verschwörungserzählungen rund um Impfung und Pandemie. Auf der von ihm verantworteten Internetseite der Ärzte für Aufklärung wird bis heute in immer neuen Beiträgen bestritten, dass es jemals eine Corona-Pandemie gegeben habe. Dass bei ihm ein bloßer Anruf reichte, um sich vermeintlich von der Maskenpflicht befreien zu können, war weit über Hamburg hinaus bekannt: Seine Kundschaft kam laut Staatsanwaltschaft aus dem ganzen Bundesgebiet.

Im Gerichtssaal schweigt der Arzt zu den Vorwürfen. Er spricht lieber draußen zu seiner treuen Gefolgschaft. »Ich habe mich an die Gesetze und an die Berufsordnung gehalten«, beteuert Weber da und genießt den Jubel, den Applaus, die Umarmungen seiner Fans. »Ich bedanke mich für die emotionale, finanzielle, tatkräftige und spirituelle Unterstützung.«

Die Corona-Pandemie war nicht die erste Gelegenheit, bei der der Mediziner mit fragwürdigen Thesen auffiel. Als Onkologe richtet er seine Behandlung an der persönlichen Annahme aus, dass Krebs maßgeblich durch »psychosomatischen Stress« und »ungelöste Konflikte« verursacht werde. Dabei bezieht sich Weber auch auf den antisemitischen Verschwörungsideologen Ryke Geerd Hamer, dessen pseudomedizinische »Germanische Neue Medizin« mehrere hundert Menschen das Leben gekostet haben soll.

Auch mit einem Attest sorgte Weber schon einmal für Schlagzeilen: Im Jahr 2000 sprang er einer wegen einer rassistischen Beleidigung angeklagten Rentnerin zur Seite, indem er ihr bescheinigte, in Gegenwart von Schwarzen »Angstzustände« zu bekommen.

In seinem eigenen Prozess wollen Verteidiger Ivan Künnemann und Sven Lausen, beide nicht zum ersten Mal als Anwälte von Corona-Leugnern aktiv, einen Freispruch erreichen. Ihr Mandant, erklären sie, habe »in keinem Fall ein unrichtiges Gesundheitszeugnis wider besseres Wissen ausgestellt«. Körperliche Untersuchungen seien für ein Attest nicht zwingend vorgeschrieben, Krankschreibungen per Telefon damals sogar erwünscht gewesen und die staatlichen Vorgaben zur Befreiung von der Maskenpflicht ohnehin verfassungswidrig.

Für den Prozess sind weitere 17 Verhandlungstage bis Ende September angesetzt. Bei einer Verurteilung drohen dem Querdenken-Idol bis zu zwei Jahre Haft oder eine Geldstrafe.

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