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  • Wandel für Großbritannien

Wahlkampfauftakt bei Labour

Opposition rechnet sich bei Parlamentswahl in Großbritannien gute Chancen auf Regierungswechsel aus

  • Sascha Zastiral, London
  • Lesedauer: 4 Min.
Keir Starmer und seine Partei profitieren von der gesunkenen Popularität der Tories.
Keir Starmer und seine Partei profitieren von der gesunkenen Popularität der Tories.

Großbritanniens größte Oppositionspartei hat sich seit Monaten auf diesen Moment vorbereitet. Und so stehen Dutzende jubelnde Funktionäre bereit, als Keir Starmer und seine Stellvertreterin Angela Rayner am Donnerstagmorgen im Fußballstadion in Gillingham eintreffen, rund 50 Kilometer südöstlich von London. Der Nachrichtensender BBC News überträgt den Wahlkampfauftakt live. Starmer und Rayner stehen auf einem kleinen Podest, im Hintergrund sieht man das leere Stadion. Die Labour-Vetreter halten rote Plakate in die Höhe, auf ihnen steht: »Change« – Wandel.

Starmer sagt, die Wahl biete die Gelegenheit, das »Chaos und die Spaltung« der vergangenen Jahre zu beenden und »das Land zu verändern«. »In den vergangenen 14 Jahren hat sich das Land im Kreis bewegt«, fügte Starmer hinzu und meint damit den Zeitraum seit dem Amtsantritt des konservativen Premiers David Cameron im Jahr 2010. Dass der Lebensstandard in diesem Zeitraum gesunken ist, sei »absolut unverzeihlich«, sagt Starmer dann. »Alles, worum wir jetzt bescheiden bitten, ist die Gelegenheit, unser Land zu verändern und es wieder in den Dienst der arbeitenden Bevölkerung zu stellen.«

Der Wahlkreis, in dem Gillingham liegt und den Labour als Schauplatz gewählt hat, ging bei den Parlamentswahlen 2019 mit deutlicher Mehrheit an die Tories. In einer Umfrage aus dem April hatte Labour hier einen Vorsprung von acht Prozent. Der Trend spiegelt sich in landesweiten Umfragen wider. Einem aktuellen Prognosemodell des Magazins »The Economist« zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit für Premier Rishi Sunaks Partei, ihre Mehrheit zu behalten, bei weniger als einem Prozent.

Zugleich hält sich die Beliebtheit des wahrscheinlichen nächsten Premiers jedoch erstaunlich stark in Grenzen. Ben Page, Geschäftsführer des Meinungsforschungsunternehmens Ipsos, sagte dazu kürzlich: »Starmers persönliche Bewertungen sind die niedrigsten, die Ipsos jemals für einen Oppositionsführer gesehen hat, der in der allgemeinen Wahlabsicht so weit vorne liegt.« Die Menschen in Großbritannien würden eher von einem »Ekel vor den Tories« angetrieben. Starmer, der bei öffentlichen Auftritten oft hölzern wirkt, muss an seinem Image arbeiten, um nicht nach einem Wahlsieg sofort in einem Umfrageloch zu landen.

Dabei müsste Starmer als Premier auch international seinen Charme spielen lassen. Denn das jahrelange Brexit-Hickhack hat das internationale Ansehen des Landes beschädigt. Die geplanten Abschiebungen von Asylbewerbern nach Ruanda haben es in Richtung eines Pariastaates gerückt. Selbst die britische Justiz bewertet die Pläne, die noch aus der Amtszeit des Chaos-Premiers Boris Johnsons stammen, als illegal.

Zumindest in dieser Frage spielt die Zeit dem Labour-Chef in die Hände. Sunak räumt in einem Interview mit der BBC am Donnerstag ein, dass der erste geplante Flug vermutlich nicht vor den Wahlen abheben wird. Da Starmer bereits angekündigt hat, dass er die Flüge im Fall eines Wahlsieges stoppen wird, könnte er dem Land den damit verbundenen Reputationsschaden ersparen.

Die größte Herausforderung nach einem Labour-Wahlsieg dürfte die Wirtschaft werden. Diese hat sich nach einer langen Talfahrt zwar zuletzt wieder ein wenig erholt. Der Internationale Währungsfonds (IMF) sagt dem Land in den kommenden Jahren auch ein stärkeres Wachstum voraus als Deutschland und Frankreich. In anderen Prognosen schneidet das Land jedoch bedeutend schlechter ab. Die geringe Wirtschaftsleistung seit der Finanzkrise 2008 hat Schätzungen zufolge dafür gesorgt, dass der durchschnittliche britische Haushalt mittlerweile im Jahr über etwa 10 000 Euro weniger verfügt als vergleichbare Haushalte in Deutschland und Frankreich.

Der Brexit hat zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten zweifellos beigetragen. Die Ausgabenwächter vom Rechnungshof bilanzieren, dass das britische Handelsvolumen um 15 Prozent niedriger ausgefallen ist, als es bei einer fortgesetzten EU-Mitgliedschaft der Fall gewesen wäre.

Eine Abkehr vom Brexit soll es unter einem Premier Starmer vorerst dennoch nicht geben. Dieser möchte das Verhältnis zum größten und wichtigsten Handelspartner des Landes zwar »verbessern«, jedoch keinen erneuten Beitritt zum Europäischen Binnenmarkt oder zur Zollunion. Labour-Insider glauben jedoch, dass sich diese Haltung im Lauf der Zeit ändern könnte.

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