Bidens Frust und Trumps Plan

Trotz wachsender Kritik will sich der US-Präsident nicht zurückziehen. Und was versprechen die Republikaner?

  • Julian Alexander Hitschler
  • Lesedauer: 6 Min.
»Baby Trump« als Alternative zu »Sleepy Joe«? Die Kritik an Biden lenkt auch davon ab, wie gefährlich das republikanische Programm mittlerweile aussieht.
»Baby Trump« als Alternative zu »Sleepy Joe«? Die Kritik an Biden lenkt auch davon ab, wie gefährlich das republikanische Programm mittlerweile aussieht.

Sollte das Weiße Haus darauf gehofft haben, dass sich die Sorgen über Joe Bidens desaströsen Auftritt bei der TV-Debatte gegen Donald Trump am 27. Juni schnell zerstreuen würden, so hat sich dies nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Trotz Bidens Beharrungen, er werde sich nicht aus dem Rennen zurückziehen, werden immer mehr Zweifel aus der Partei und ihrem weiteren Umfeld laut, ob der Präsident der richtige Kandidat ist, um Donald Trump bei der Wahl im November zu besiegen.

Ein Interview mit dem TV-Moderator George Stephanopoulos auf »ABC News« sollte dafür sorgen, Bidens Kompetenz unter Beweis zu stellen. Doch der Amtsinhaber wirkte erneut zerstreut und gereizt, die Quote der vollständigen Sätze ließ zu wünschen übrig. Die Öffentlichkeit erlebte einen Präsidenten, der zumindest verbal, und allem Anschein nach auch kognitiv abgebaut hat. Das Urteil ist recht eindeutig: 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler halten Biden für zu alt, sogar eine Mehrheit derjenigen, die ihm im November trotzdem ihre Stimme geben will.

Bidens Pressekonferenz zum Nato-Gipfel am Donnerstagabend in Washington verlief besser als sein Interview mit Stephanopoulos, konnte die Sorgen seiner Partei aber wohl kaum zerstreuen. Biden verwechselte unter anderem seine Vizepräsidentin Kamala Harris mit seinem Herausforderer Donald Trump und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Auch wenn dies wohl rein verbale Fehlleistungen waren, so kann sich Biden diese derzeit kaum leisten.

»Ich gehe nirgendwo hin!«

Joe Biden US-Präsident

Doch der Präsident untermauert weiter seinen Führungsanspruch. »Ich gehe nirgendwo hin!«, sagte Biden in der Fernsehsendung »Morning Joe«. »Ich würde nicht antreten, wenn ich nicht absolut überzeugt wäre, dass ich der beste Kandidat bin, um Trump 2024 zu schlagen«. Von »Parteieliten, die es besser wissen«, sei er »frustriert«. »Ich habe die Nato erweitert!«, betont Biden – dabei dürften sich die wenigsten unentschlossenen Wähler für Außen- und Bündnispolitik interessieren. Wirtschaftsthemen wie die zeitweise hohe Inflation, die inzwischen wieder auf etwas über drei Prozent gefallen ist, überwiegen in der öffentlichen Wahrnehmung seiner Präsidentschaft. Laut »Politico« zählt Biden vor allem auf die Gewerkschaften und bekannte afroamerikanische Politikerinnen und Politiker, die sich nun innerparteilich hinter ihn stellen sollen.

Eine Mehrheit der Demokrat*innen hält bislang zu Biden. Dies liegt wohl auch daran, dass es den wahrscheinlichsten Ersatzkandidaten, wie Vizepräsidentin Harris oder Verkehrsminister Pete Buttigieg, sowohl an Charisma als auch an politischem Profil mangelt. Der Wahlkampf der Demokraten war bisher auf eine Biden-Wiederwahl zugeschnitten.

Doch die Spekulationen um den Gesundheitszustand des Präsidenten reißen nicht ab. Ein Arzt und Parkinson-Forscher soll mehrmals im Weißen Haus gewesen sein, aus Datenschutzgründen will man dort aber keine näheren Angaben dazu machen. Demokratische Abgeordnete und Senatoren trafen sich in den vergangenen Tagen zu zahlreichen Besprechungsrunden, angeblich teils »unter Tränen«. Bislang wagt nur eine Minderheit, den Präsidenten offen zum Rückzug aufzufordern. Doch der demokratische Senator Michael Bennet aus Colorado räumte am Mittwoch ein, dass Biden höchstwahrscheinlich verlieren werde, möglicherweise deutlich. Eine direkte Rückzugforderung ist das nicht, kommt einer solchen aber sehr nahe. Sein Amtskollege Peter Welch aus Vermont ging weiter und forderte in der »Washington Post«, Biden solle seine Kandidatur aufgeben. Etwas mehr als ein Dutzend demokratische Abgeordnete im Repräsentantenhaus haben es ihm inzwischen gleichgetan, darunter sowohl Vertreterinnen und Vertreter des linksliberalen, als auch des zentristischen Parteiflügels.

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Die liberale Medienöffentlichkeit ist in der Frage gespalten, der Ton zwischen Biden-Loyalistinnen und Zweiflern ist inzwischen recht rau. Im britischen »Guardian« warnte die US-amerikanische Essayistin Rebecca Solnit vor den Gefahren eines Biden-Rückzugs und geißelte das Kommentariat für eine angebliche Kampagne gegen den Präsidenten.

Bei den Demokraten ist man bemüht, die Aufmerksamkeit im Wahlkampf auf andere Themen zu lenken: »Google Project 2025«, twitterte Joe Biden Anfang der Woche mit Verweis auf einen Strategieplan des konservativen Thinktanks Heritage Foundation für eine republikanische Machtübernahme, der es in sich hat: Zehntausende Staatsbedienstete sollen als politische Beamte reklassifiziert und durch loyales Personal ersetzt werden, ein Gesetz aus dem 19. Jahrhundert zum Verbot von Verhütungsmitteln soll wiederbelebt werden. Gegen Menschen ohne Einwanderungspapiere sieht der Plan drakonische Maßnahmen vor: Die Armee soll sie verfolgen und massenhaft in Lager stecken.

Trump will mit dem Vorhaben nach eigenen Angaben nichts zu tun haben. Doch sein offizieller Plan, »Agenda 47« (Trump würde bei einer Wiederwahl als 47. Präsident der USA amtieren), ist kaum gemäßigter: Joe Bidens »Krieg gegen die amerikanische Energieindustrie« soll beendet werden. Gemeint ist Bidens Gesetz für Klimaschutz und den Umbau der Industrie, der Inflation Reduction Act, welcher klimafreundliche Technologien umfassend fördert. Trump möchte aus dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder aussteigen und jedes beantragte Ölförderprojekt genehmigen. Medizinische Behandlung für trans Personen soll vollständig verboten werden. Kliniken, die sie anbieten, sollen ihre Registrierung bei den staatlichen Krankenversicherungsprogrammen für Seniorinnen, Senioren und Geringverdiener, Medicare und Medecaid, verlieren. Der Haftungsausschluss für Polizistinnen und Polizisten, in den USA bereits sehr umfangreich, soll erweitert werden. Für Drogen- und Menschenhandel (worunter möglicherweise auch Fluchthilfe fallen könnte) soll die Todesstrafe gelten.

Doch das Programm enthält neben extremeren Ausformulierungen der republikanischen Parteilinie auch megalomanische Ankündigungen, wie die Förderung von fliegenden Autos und Planstädten auf unbewohntem Land im Besitz der Bundesregierung. Trump bleibt sich hier treu: Seine Politik ist eine verschärfte, autoritärere Version der amerikanischen Konservatismus, gespickt mit Kitsch und Personenkult.

Trumps Programm enthält viele Elemente klassisch republikanischer Prägung, wie etwa umfangreiche Privatisierungen im Bildungswesen. Ebenfalls im »Guardian« weisen Dustin Guastella und Bhaskar Sunkara – bekannte Strategen der sozialistischen Linken in den USA – jedoch darauf hin, dass das offizielle Wahlprogramm der Republikaner in wichtigen Punkten mit der marktliberalen Linie der Vergangenheit bricht. So will die Partei etwa keine Kürzungen bei den (sehr spärlichen) gesetzlichen Renten- und Krankenversicherungsprogrammen vornehmen, ein generelles Verbot von Abtreibungen wird nicht erwähnt.

Ob sich die Partei, ob unter Trump oder einem anderen Präsidenten, langfristig an diese Wahlversprechen gebunden fühlt, darf bezweifelt werden. Doch Guastella und Sunkara warnen zu Recht davor, dass die Partei unter Trump mit dieser Programmatik für einen größeren Teil der Arbeiterklasse wählbar wird. Trump ist eben beides: exzentrischer Egomane und gewiefter Stratege mit scharfen politischen Instinkten. Sollte er die Wahl gewinnen, wird kaum noch ein Republikaner wagen, ihm offen zu widersprechen, seine Kontrolle über die Partei wäre nahezu unangefochten.

Den Republikanern wird derzeit eine Mehrheit im Senat vorausgesagt, das Rennen um das Repräsentantenhaus ist laut Umfragen äußerst knapp. Falls die Partei die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses erreichen sollten, stünde einem autoritären Staatsumbau wenig im Weg.

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