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»Menschen brauchen Bäume«
Bea Linnert plädiert für mehr Experimentierfreude bei Klimaschutzkonzepten in unseren Städten
Bea Linnert, wie wird man Baumsachverständige?
In Deutschland gibt es keine Ausbildung und daher keinen festgelegten Weg, um als Baumsachverständige zu arbeiten. Für die Arbeit als Sachverständige mit Behörden und vor Gericht ist es notwendig, vereidigt zu sein. Und um vereidigt zu werden, wird eine Prüfung abgelegt.
Wie sah denn Ihr Weg zur Baumsachverständigen aus?
Ich war schon als Jugendliche ökopolitisch unterwegs. Nach der Schule habe ich zuerst eine Ausbildung zur Buchhändlerin gemacht und einige Jahre im Buchhandel gearbeitet. Danach bin ich für ein paar Jahre in die USA gegangen. Dort habe ich an einem College Gartendesign mit Schwerpunkt Gehölze studiert und mich anschließend im Zusammenhang mit dem Pflegen von Gehölzen weitergebildet, bevor ich zurück nach Deutschland bin.
Bea Linnert ist vereidigte Baumsachverständige. Die 62-jährige lebt in Bremen und arbeitet selbstständig.
Konnten Sie mit dieser Ausbildung hier gut anknüpfen?
Ehrlich gesagt waren die Menschen hier eher zurückhaltend meiner Expertise gegenüber. Deshalb habe ich die Fortbildung »Fachagrarwirt für Baumpflege« draufgesetzt und dann etwa 15 Jahre in der Baumpflege gearbeitet, also mit Seilklettertechnik Bäume gepflegt, geschnitten und gefällt. Aus Altersgründen – nach dem Motto »Eine kann diesen Beruf nicht für immer machen« – habe ich mich intensiver fortgebildet und hatte dann 2014 meine Vereidigung zur Baumsachverständigen.
Wie sehen Ihre Aufgaben als vereidigte Baumsachverständige aus?
In meiner Arbeit befasse ich mich mit Bäumen, die eine gestaltende Funktion besitzen. Ich beschäftige mich nicht mit Holzwirtschaft, dafür sind Försterinnen und Förster zuständig. Grundsätzlich dreht sich in meinem Job alles um die fachkundige Einschätzung von Bäumen. Da geht es zum Beispiel um Baumstatik, darum, Pflege anzuordnen und Pflegekonzepte zu schreiben. Ich begleite Baumaßnahmen und ermittle den Wert von Bäumen. Ein grundsätzlich wichtiger Teil ist die Verkehrssicherheit.
Also geht es einerseits um den Schutz des Baums, andererseits um den Schutz der Menschen vor dem Baum?
Menschen brauchen die Bäume mehr als Bäume die Menschen. Bei Stadtbäumen steht der Nutzen, den Menschen haben, im Zentrum. Bäume bedeuten unter anderem Luftkühlung, Staubbindung, Schattenwurf und sie binden Kohlenstoff. Bäumen fehlen in Städten wichtige Aspekte zu ihrem Wohlergehen. Der natürliche Baumstandort ist ein Wald. Aber Standortbedingungen wie in einem Wald finden Stadtbäume so gut wie nie vor. Das wirkt sich auf die Gesundheit und Lebenserwartung der Bäume aus.
Was fehlt den Stadtbäumen denn genau?
Prinzipiell sehen wir in unseren Städten Altbaumbestand, das heißt, es ist durchaus möglich für Bäume, in Städten zu wachsen und alt zu werden. Was wir oberirdisch bei Bäumen sehen, also die Baumkrone, ist das, woraus wir Menschen Nutzen ziehen. Für Bäume hingegen sind die Wurzeln und der unterirdische Wurzelraum wesentlich. Dieser wird in der Stadt zum Beispiel durch Verdichten, das engmaschige Leitungsnetz und Hundeurin beschädigt. Das sind definitiv Faktoren, an denen wir etwas ändern können.
Welche Maßnahmen werden schon umgesetzt, um die Wuchsbedingungen für Stadtbäume zu verbessern?
Grundsätzlich müssen ein Standort und die Baumartenwahl zusammenpassen. Das heißt der Baumstandort muss für das gesamte geplante Baumleben hinreichende Wuchsbedingungen bereitstellen. Der Bereich für die Wurzeln muss also groß genug sein, um ihr Wachsen langfristig zu ermöglichen. Das zur Verfügung gestellte Bodenvolumen ist heutzutage häufig größer als vor Jahren. Das ist grundsätzlich gut und kann noch besser werden. Große Baumstandorte kosten jedoch auch mehr Platz und Geld.
Und freie Fläche ist in unseren Städten eher Mangelware.
Wir müssen anfangen im urbanen Raum an Besitzstände heranzugehen, zum Beispiel an Parkplätze. Wenn ein parkendes Fahrzeug oder ein guter Baumstandort zur Alternative steht, dann sollten wir überlegen, wie wir das Parken anders lösen, vielleicht über Hochgaragen. Weitermachen wie bisher ergibt keinen Sinn. Bäume, die Funktionen erfüllen sollen, sind keine Lückenfüller, sondern ein Teil eines zukunftsträchtigen Klimakonzepts für kommende Generationen.
Was könnten wir noch ausprobieren, um Stadtbäumen ihr Wachstum zu erleichtern?
Ich finde, es ist durchaus berechtigt, darüber nachzudenken, ob der Einzelbaum grundsätzlich in der Stadt eine kluge Lösung ist oder ob es vielleicht schlauer wäre, vermehrt Baumgruppen zu setzen. Bäume als Gruppe haben einen gemeinsamen Wurzelraum. Das braucht weniger Platz und ist für die Bäume besser.
Hat sich in den vergangenen Jahren hinsichtlich Klimaschutz und Stadtbäume etwas zum Positiven entwickelt?
Viele Menschen befassen sich damit im Zusammenhang mit dem durch Menschen verursachten Klimawandel. Und Bäume werden zunehmend als etwas Wertvolles wahrgenommen.
Weshalb bestimmen Baumsachverständige überhaupt den Wert von Bäumen?
Juristisch sind Bäume Sachwerte, sie können Privatpersonen oder Kommunen gehören. Wenn an einem Baum ein Schaden ausgeübt oder er unrechtmäßig gefällt wird, werden die Baumbesitzenden entschädigt. Oder ein weiteres Beispiel: Ein durch eine Baumsatzung geschützter Baum soll gefällt werden. Wenn eine solche Fällung genehmigt wird, richtet sich die Ausgleichsmaßnahme oft nach dem Wert des Baumes. Es muss also der Baumwert ermittelt werden.
Wie wird der Wert eines Baumes festgestellt?
Die einzige anerkannte Wertermittlungsmethode für Bäume, mit der ich mich befasse, heißt »Methode Koch«. Aus der Sicht eines Kollegen und meiner gibt es in dem Zusammenhang mit den Gesetzen zu Artenschutz allerdings Probleme, die nicht mehr ignoriert werden können. Seit sieben Jahren arbeiten wir daran, die Wertermittlungsmethode für Bäume an die Veränderungen unserer Gesellschaft, also an die Klimakrise und das überarbeitete Bundesnaturschutzgesetz, anzupassen. Gerade sieht es so aus, als würde diese Kugel ins Rollen kommen.
Was würde dann angepasst werden?
Nach »Methode Koch« muss für einen Schaden am Baum ein Abzug vorgenommen werden. Ein Schaden kann derzeit auch eine Spechthöhle, also ein Lebensraum, sein. Das widerspricht unserem Bundesnaturschutzgesetz, dort steht, dass das Spechtloch eine streng geschützte Struktur ist. Wir haben uns überlegt, wie wir innerhalb der juristisch anerkannten Wertermittlungsmethode so etwas wie ein Spechtloch nicht als Mangel, sondern als Wertschätzung im Sinne des Umweltschutzes bewerten können.
Wie finanzieren wir diese ganzen Ideen zum Klimaschutz?
Bäume als solche stellen als CO2-Speicher eine Ökosystemleistung zur Verfügung und aus meiner Sicht steuern die privaten Baumbesitzenden diese Leistung zum Gemeinwohl bei. Es ist möglich zu sagen: Wer ein Grundstück mit Bäumen hat, muss ja reich sein und kann der Gemeinschaft etwas zur Verfügung stellen. An der Argumentation ist was dran, dennoch trifft sie oft auch nicht zu. Grundsätzlich wird der Erhalt vieler Bäume privat geleistet. Auch auf Grundstücken, deren Besitzende nicht reich sind, stehen Bäume. Wie wäre es, wenn Baumbesitzende sagen könnten: »Ich brauche finanzielle Unterstützung bei der Pflege der Bäume«. Eine Finanzierungshilfe aus Steuergeldern könnte zum Baumerhalt und damit unmittelbar zum Wohle der Menschen und der Umwelt heute und in der Zukunft beitragen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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