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Rassismus: »Hemmschwelle gegenüber Schwarzen Menschen niedrig«

Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland über die Tötung von William Chedjou und den Umgang mit rassistischer Gewalt

  • Interview: Nora Noll
  • Lesedauer: 6 Min.
»Gerechtigkeit für William«, forderten am 20. Juli etwa 2000 Demonstrierende in Berlin nach dem Tod von William Chedjou.
»Gerechtigkeit für William«, forderten am 20. Juli etwa 2000 Demonstrierende in Berlin nach dem Tod von William Chedjou.

Am 11. September ist es genau zwei Monate her, dass der Kameruner William Chedjou im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen am helllichten Tag und in aller Öffentlichkeit erstochen wurde. Anlass war wohl der Streit um einen Parkplatz. Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland hat die Tat als »Spitze des Eisberges« von Anti-Schwarzem Rassismus bezeichnet. Inwiefern lässt sich der Tod von William Chedjou in Zusammenhang mit einer gesellschaftlichen Entwicklung stellen?

Wir nehmen schon seit einiger Zeit zur Kenntnis, dass die Hemmschwelle gegenüber Schwarzen Menschen und Menschen afrikanischer Herkunft immer mehr sinkt und mehr Gewalt gegen Schwarze Menschen im öffentlichen Raum stattfindet. Und das in allen möglichen Kontexten: nicht nur auf offener Straße, sondern auch bei Behörden, durch die Polizei und in staatlichen Einrichtungen wie beispielsweise Geflüchtetenunterkünften. Und wir betrachten mit Sorge, dass dieser Entwicklung nichts wirklich Adäquates entgegengestellt wird. Es wird immer von Einzelfällen gesprochen, dabei wird aber nicht deutlich, dass es ein systemisches Problem in Deutschland gibt. Es kommt immer wieder zu tödlichen Übergriffen und Vorfällen, aber niemand fragt: Woran liegt das? Was sind die Ursachen dafür, dass dieser Anti-Schwarze Rassismus immer mehr um sich greift? Was motiviert Menschen, so gewalttätig aufzutreten, wenn es um so geringfügige Dinge geht wie um einen Parkplatz?

Interview

Tahir Della arbeitet als Pressesprecher für die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) und als Referent für diasporische Perspektiven in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit im Berliner Promotorenprogramm.

Weder Sie noch sonst jemand kann dem Täter in den Kopf schauen – derzeit ist nur bekannt, dass der Beschuldigte 29 Jahre alt ist und einen türkischen Migrationshintergrund hat, aber nichts über seine politischen Überzeugungen, Vorstrafen oder andere Indizien für eine rassistische Motivation. Warum handelt es sich für Sie dennoch um eine rassistische Tat?

Wir machen das deshalb so deutlich, weil wir der Meinung sind, dass bei jedem Angriff auf eine Schwarze Person erst mal von einer rassistischen Motivation ausgegangen werden muss. Solche Angriffe können bewusst rassistisch motiviert sein oder durch unterbewusste Haltungen verübt werden. Das muss kein Nazi oder bekennender Rassist sein – es reichen die Bilder, die wir von Kindesbeinen an vermittelt bekommen. Diese führen dazu, dass Menschen glauben, mit Schwarzen Menschen könnten sie alles Mögliche machen, auch gewalttätig werden, ohne Konsequenzen. Wir vertreten hier ein sehr breites Verständnis von Anti-Schwarzem Rassismus. Wenn sich dann in einem Fall herausstellt, dass doch kein rassistischer Hintergrund besteht, dann ist das natürlich gut. Aber meistens wird Rassismus gar nicht erst mitgedacht.

In Ihren Augen bräuchte es also dieses breite Verständnis von Rassismus, das auch unterbewusste Haltungen mitdenkt, um Anti-Schwarzem Rassismus konsequent entgegenzutreten?

Ja. Es kann nicht nur darum gehen, in jedem konkreten Fall dem Täter nachweisen zu können, bewusst rassistisch gehandelt zu haben. Es kam ja im Fall von William Chedjou, soweit ich weiß, nicht zu rassistischen Äußerungen, es gab keine verbale Auseinandersetzung, die rassistisch fundiert war. Und trotzdem zeigt sein Tod, dass die Hemmschwelle gegenüber Schwarzen Menschen sehr, sehr niedrig ist. Das muss adressiert werden und es muss vermittelt werden, dass rassistisches Handeln ohne bewusste Haltung stattfinden kann.

Welche unterbewussten rassistischen Vorstellungen meinen Sie, die zu einer niedrigeren Hemmschwelle führen? Reden wir hier über das Stereotyp vom gefährlichen Schwarzen Mann?

Ja, absolut. Das sind Aussagen, gemäß derer vor allem junge Schwarze Männer eine höhere Gefährdung als weiße junge Männer darstellen. Dieses Bild wird auch in öffentlichen Debatten reproduziert, wenn man zum Beispiel Gewalt gegen junge Geflüchtete mit der Begründung rechtfertigt, sie stellten eine Gefährdung dar. Eines der schrecklichsten Beispiele ist für mich der Tod von Mouhamed Dramé. Der junge Senegalese wurde in Dortmund von der Polizei mit der Maschinenpistole erschossen, obwohl er niemanden gefährdet hat, außer sich selbst. In einem solchen Fall ist es nicht angemessen, sofort mit Gewalt zu reagieren, sondern es braucht Fachkräfte, die deeskalierend einwirken können, um das Schlimmste zu verhindern.

Angehörige und Freund*innen von William Chedjou vermissen eine Reaktion antirassistischer deutsch-türkischer Organisationen. Auch sonst gab es kaum öffentliche Antworten auf den Fall, abgesehen von der beeindruckenden Demonstration, die von der afrikanischen Diaspora in Berlin selbst organisiert wurde. Hat die Mehrheitsgesellschaft Schwierigkeiten, hier Rassismus zu erkennen, weil der mutmaßliche Täter wahrscheinlich einen türkischen Migrationshintergrund hat und damit selbst von Rassismus betroffen wäre?

Es ist zumindest ein Beleg dafür, dass Anti-Schwarzer Rassismus nicht vor migrantischen Menschen haltmacht und dass wir auch spezifisch darüber sprechen müssen. Es ist kein Problem, das nur von der weißen Mehrheitsgesellschaft ausgeht, sondern rassistische Vorstellungen gibt es überall auf der Welt. Natürlich geht es nicht darum, eine Spaltung aufzumachen zwischen Menschen, die Rassismus erfahren. Aber es gibt eine globale kollektive Erfahrung, die Schwarze Menschen machen, egal wohin sie gehen. Sie müssen einfach überall davon ausgehen, dass ihnen rassistisch begegnet wird. Diese kollektive Erfahrung wird leider vom Rest der Gesellschaft zu wenig zur Kenntnis genommen und dadurch wird vergessen, dass auch migrantische Menschen rassistisch gegenüber Schwarzen Menschen sein können.

Wie haben Sie denn die Berichterstattung nach dem Tod von William Chedjou wahrgenommen? Fand hier eine politische Einordnung statt?

Leider nein. Es gab natürlich Berichterstattung unmittelbar nach dem Vorfall, aber kaum eine wirkliche Auseinandersetzung über die Hintergründe in den Medien. Auch das ist Teil des Problems. Es wird selten nachgeforscht, was eigentlich passiert ist. Und was bei den Ermittlungen, zum Beispiel über die Täter, herauskommt. Es ist eben nicht einfach nur ein Zwischenfall oder ein Streit um einen Parkplatz, sondern wesentlich mehr. Unsere Presseerklärung wurde überhaupt nicht aufgegriffen.

Kameruner*innen in Berlin berichteten auf den Gedenkkundgebungen, dass sie sich seit William Chedjous Tod nicht mehr sicher fühlen. Bislang galt Berlin als Zufluchtsort für Geflüchtete aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Was denken Sie, kann Berlin ein sicherer Ort für Schwarze Menschen sein?

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Berlin und den üblichen verdächtigen Bundesländern, also Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen. Berlin wird erst einmal als eine Stadt wahrgenommen, die von Migration geprägt ist und schon immer war. Gleichzeitig habe ich nicht unbedingt das Gefühl, dass es dadurch automatisch besser wird. Meiner Wahrnehmung nach kommt es auch in Berlin gehäuft zu Gewalt und auch der Rechtsschwung macht nicht vor der Stadt halt. Es wäre eine Illusion, zu glauben, dass in Berlin die Uhren anders ticken als in anderen Ost-Bundesländern. Aber was insgesamt fehlt, sind Statistiken. Wir brauchen endlich Zahlen: Wie oft sind Schwarze Menschen von Gewalt betroffen und von tödlicher Gewalt, sowohl durch Polizei als auch durch Zivilisten. Diese Statistiken gibt es nicht.

Immerhin konnte die erste Befragung Schwarzer Menschen in Deutschland, der Afrozensus, einen umfassenden Blick auf die unterschiedlichen Lebensrealitäten Schwarzer Menschen werfen.

Ja, und der bestätigt leider, dass alle rassistische Erfahrungen in den unterschiedlichen Strukturen, also im Bildungsbereich, im Arbeitsbereich oder auf dem Wohnungsmarkt, machen – und zwar relativ unabhängig davon, ob Menschen vor Kurzem hierhergekommen sind oder in der sechsten Generation hier leben, und unabhängig vom Wohnort.

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