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Gipfel der Zukunft
Die Vereinten Nationen suchen nach einem Neuanfang
»Die Menschheit steht vor einer klaren und dringenden Entscheidung: Zusammenbruch oder Durchbruch.« Mit dieser dramatischen Warnung hatte sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, vor drei Jahren an die UN-Mitgliedstaaten gewandt und Empfehlungen zum Umgang mit den globalen Herausforderungen vorgelegt. Dabei schlug er auch vor, einen »Summit of the Future« (Zukunftsgipfel) abzuhalten. Dieser wird nun im Rahmen der 79. UN-Generalversammlung am 22. und 23. September in New York stattfinden. »Multilaterale Lösungen für ein besseres Morgen« – so lautet das Leitmotiv des Gipfels, auf dem ein »Zukunftspakt« verabschiedet werden soll. Deutschland spielt hierbei mit Namibia eine wichtige Rolle: Gemeinsam bereiten beide Länder den Zukunftsgipfel vor und moderieren die Verhandlungen. Der Ausgang dieses Prozesses ist dabei für Deutschland durchaus bedeutsam, da das Land im kommenden Jahr die Präsidentschaft der UN-Generalversammlung übernehmen und sich 2026 erneut auf einen nichtständigen Sitz im Weltsicherheitsrat bewerben wird. Ein erfolgreicher Gipfel käme da vorab überaus gelegen.
Die Uno in der Krise
Dass die internationale Gemeinschaft – und in ihrer Mitte die Vereinten Nationen – neue Wege gehen muss, ist angesichts des desaströsen Zustands der Welt offensichtlich. Doch während sich die internationalen Krisen und Konflikte häufen, scheinen die Vereinten Nationen immer weniger in der Lage zu sein, ambitionierte Kompromisse zu finden. Und wo solche doch vereinbart werden, scheitert die Umsetzung, wie das Schicksal des seinerzeit gefeierten Pariser Klimaabkommens illustriert. Ein weiteres Beispiel hierfür bietet das Scheitern der sogenannten nachhaltigen Entwicklungsziele, die alle Staaten gemeinsam bis 2030 umsetzen wollen. Die Zwischenbilanz fällt ernüchternd aus: Nur noch sechs Jahre hat die Weltgemeinschaft, um die Nachhaltigkeitsziele ihrer »Agenda 2030« zu erreichen. Derzeit liegen die Länder indessen bei weniger als einem Fünftel der Zielvorgaben im Plan, bei fast der Hälfte gibt es lediglich minimale oder moderate Fortschritte, und bei rund einem Drittel lassen sich Stagnation oder gar Rückschritte konstatieren. Kurz: Die selbst gesteckten Ziele werden nach derzeitigem Stand dramatisch verfehlt. Weil finanzielle Zusagen der reichen Länder aus dem globalen Norden nicht eingehalten werden, nehmen Armut und Hunger zu.
Es steht außer Frage: Eigentlich bräuchte es eine Uno, die entschlossen agiert – gerade angesichts der wachsenden Zahl der Konflikte und Kriege. Schließlich stand der Einsatz für ein friedliches Miteinander Pate bei der Gründung der Weltorganisation vor bald 80 Jahren. Zurzeit fordern insbesondere der Krieg Russlands gegen die Ukraine und Israels Krieg in Gaza, aber auch die Kriege im Sudan, im Jemen und anderswo die internationale Ordnung heraus. Die Vereinten Nationen scheinen rat- und machtlos, da sich im Sicherheitsrat die Vetomächte (USA, China, Russland, Frankreich und Vereinigtes Königreich) wechselseitig blockieren. Und so befindet sich die Uno derzeit in ihrer wohl größten Glaubwürdigkeitskrise. Die Weltorganisation ist unterfinanziert, ihre Strukturen sind veraltet, und ein echter Multilateralismus, der auf der gleichberechtigten Mitwirkung der Mitgliedstaaten beruht, ist weiterhin nicht in Sicht. Zudem erheben insbesondere Länder aus dem globalen Süden Vorwürfe hinsichtlich doppelter Standards (mit Blick auf menschen- und völkerrechtliche Verpflichtungen) und nicht eingehaltener finanzieller Zusagen. Fest steht: Die Weltorganisation kann das verloren gegangene Vertrauen nur zurückgewinnen, wenn sie sich und ihre Strukturen auf die Höhe der Zeit bringt. Dazu sind umfassende Veränderungen erforderlich.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterhält mehr als zwei Dutzend Auslandsbüros auf allen Kontinenten. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit »nd« berichten an dieser Stelle regelmäßig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Entwicklungen in den verschiedensten Regionen. Alle Texte auf: dasnd.de/rls
Streit um Entwicklungsfinanzierung
Der Startschuss hierfür soll im September beim Zukunftsgipfel in New York fallen. Bereits 2023 hatten sich die Mitgliedstaaten darauf verständigt, dass es auf dieser Zusammenkunft um nachhaltige Entwicklung und Entwicklungsfinanzierung, Frieden und Sicherheit, Wissenschaft und Technologie, Jugend und künftige Generationen sowie die Umgestaltung der Global Governance gehen soll. Der Zukunftspakt wird von den Mitgliedstaaten im Konsens verhandelt und beschlossen. Das bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten am Ende jedem einzelnen Wort des Dokuments zustimmen müssen, was einen intensiven Verhandlungsprozess voraussetzt, in dem um Kompromisse gerungen wird. Es liegt in der Natur eines solchen Verfahrens, dass es sehr schwer werden dürfte, die notwendigen, weitreichenden Reformbeschlüsse zu fassen. Den Status quo zu bekräftigen, ist hingegen viel leichter.
Zu Beginn der Verhandlungsphase veröffentlichten die Ko-Moderator*innen aus Deutschland und Namibia im Januar 2024 einen 20-seitigen Entwurf des Zukunftspakts. Die Mitgliedstaaten reichten in Reaktion darauf so viele Änderungs- und Ergänzungsvorschläge ein, dass der Text am Ende auf über 200 Seiten anwuchs. Im Mai wurde ein zweiter Entwurf veröffentlicht, nach Verhandlungen im Juli und August dann weitere überarbeitete Fassungen. In der Präambel wird nun zwar auch die Notwendigkeit ambitionierter Antworten formuliert; Kritiker*innen wie Barbara Adams vom Global Policy Forum halten die in den einzelnen Kapiteln enthaltenen Maßnahmen allerdings weiterhin für nicht ausreichend.
Bis zu dem Zukunftsgipfel wird es um die Klärung strittiger Fragen und um die Feinabstimmung des Textes gehen. Ein besonders wichtiger Punkt ist dabei die Reform des UN-Sicherheitsrats. Hier geht es vor allem darum, die Zahl der ständigen Mitglieder des Rats so zu erhöhen, dass künftig alle Weltregionen repräsentiert werden. Derzeit sind weder das bevölkerungsreichste Land der Welt, Indien, noch der afrikanische Kontinent oder Lateinamerika in diesem Gremium vertreten. Erste Reformvorschläge liegen vor. Wie genau die Zusammensetzung aussehen soll, wird allerdings erst in weiteren Verhandlungen entschieden. Dass es Änderungen am Vetorecht der ständigen Mitglieder geben wird, gilt allerdings als nahezu ausgeschlossen. Auch wenn die Reform des Sicherheitsrats ein wichtiger Punkt sein dürfte, sollte man die Beurteilung des Zukunftsgipfels nicht allein daran messen. Denn ähnlich bedeutsam sind die Forderungen zur Entwicklungsfinanzierung und zur angestrebten Reform der internationalen Finanzarchitektur.
Viel wird davon abhängen, wie weit die Reformbestrebungen gehen, beispielsweise hinsichtlich finanzieller Zusagen für die bedürftigen Staaten oder auch hinsichtlich institutioneller Reformen wie der Stimmrechte im Internationalen Währungsfonds (IWF). Werden die entscheidenden Diskussionen im Rahmen der Vereinten Nationen stattfinden, in denen alle Mitgliedstaaten mitentscheiden, oder in exklusiven Gruppen wie G7 oder G20, in denen die meisten UN-Mitgliedstaaten nicht mitreden können? Positiv hervorzuheben ist, dass im derzeit vorliegenden Entwurf des Abschlussdokuments Verweise auf eine Sondersteuer für Superreiche und eine UN-Steuerkonvention enthalten sind. Es bleibt abzuwarten, was davon Eingang ins Abschlussdokument findet.
Die Zukunft des Multilateralismus
Der Zukunftspakt ist zwar nicht bindend, bestimmt aber als offiziell verhandeltes Dokument die Parameter für die Form und den Umfang künftiger Global-Governance-Prozesse. Damit bietet er zugleich die Möglichkeit, institutionelle Reformprozesse anzustoßen. Neben der Frage, ob es gelingen wird, Kompromisse bei den divergierenden Positionen zum Sicherheitsrat und zur internationalen Finanzarchitektur zu finden, wird es vor allem darum gehen, ob sich die Mitgliedstaaten zum Multilateralismus und zu den damit einhergehenden Verpflichtungen bekennen, oder ob sich letztendlich doch ein »Multilateralismus à la carte« durchsetzen wird. Den immer noch mächtigen Staaten des Westens ist bewusst geworden, dass viele Länder des Südens nicht länger bereit sind, Verstöße gegen die Charta der Vereinten Nationen nur dann zu verurteilen, wenn sie von nichtwestlichen Staaten begangen werden, während deren eigene Verstöße (wie die der »Koalition der Willigen« im Irakkrieg) folgenlos bleiben. Ob aus dieser Erkenntnis nun folgt, dass man bereit ist, den Staaten des Südens bei ihren Anliegen entgegenzukommen, wird ein wichtiger Maßstab für die Bewertung des Zukunftsgipfels sein.
Das grundsätzliche Dilemma liegt auf der Hand: Während mit Blick auf die Diagnose – das Scheitern der globalen Zusammenarbeit – weitgehend Einigkeit herrscht, liegen die Ansichten darüber, wie die künftige Global-Governance-Struktur und Bewältigung der globalen Ungleichheiten und Bedrohungen aussehen sollten, weit auseinander. Die Erfahrungen zeigen, dass ein Erfolg nur dann möglich ist, wenn das Abschlussdokument so genau und verbindlich ist, dass es auch umgesetzt werden kann – und die Fortschritte in der Folge überprüft werden können. Die verhandelten Abschlussdokumente, allen voran der Zukunftspakt, können bestenfalls den Fahrplan vorgeben. Auf jeden Fall müssen in den ersten beiden Jahren nach dem Gipfel spezifische Maßnahmen folgen, wenn es zu nachhaltigen Veränderungen im multilateralen System kommen soll.
Der Zustand unseres Planeten erfordert mutige Schritte. Die Erwartungen an den »Summit of the Future« sind deshalb zu Recht hoch. Aber sie sollten mit Blick auf die Akteure realistisch formuliert werden. Wenn es den Vereinten Nationen gelänge, ein Forum zu organisieren, in dem sich alle Staaten auf einen Konsens verständigen können, wäre schon viel erreicht. Auf diese Weise könnte die Uno nämlich zugleich das Vertrauen in den Multilateralismus stärken, der – gerade angesichts der globalen Renaissance des Nationalismus – für die künftigen Aufgaben der Weltgemeinschaft unverzichtbar sein wird. Im derzeitigen Entwurf für den Zukunftspakt liest sich das so: »Wenn wir unseren Kurs nicht ändern, laufen wir Gefahr, in eine Zukunft mit anhaltenden Krisen und Zusammenbrüchen zu stürzen. [...] Doch dies ist auch ein Moment der Hoffnung und der Chance. […] Fortschritte in Wissen, Wissenschaft, Technologie und Innovation könnten den Durchbruch zu einer besseren und nachhaltigeren Zukunft für alle bedeuten. Wir haben die Wahl.« Das sind gut gewählte Worte. Hoffen wir, dass ihnen auch Taten folgen.
Till Bender ist Referent für Internationale Politik und Nordamerika, Stefan Liebich leitet das Büro New York der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
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