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KI: Die Macht in Schach halten

Yuval Noah Harari offeriert eine kurze Geschichte der KI

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.
Humanoide Roboter bei der World Robot Conference 2024
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Wir könnten, wenn wir es richtig machten! Wir könnten die drohende Klimakatastrophe verhindern, uns vor als unheilbar geltenden Krankheiten schützen, wir könnten Kriege vermeiden. Wir könnten aber auch das Ende der Menschheit einläuten, wie wir sie kennen. Vor 75 Jahren entwickelte Karl Jaspers in seinen geschichtsphilosophischen Betrachtungen »Vom Ursprung und Ziel der Geschichte« den Begriff der Achsenzeit, in der die geistige Grundlegung der gegenwärtigen Menschheit erfolgt sei. Folgen wir dem 1967 geborenen Historiker und Philosophen Yuval Noah Harari von der Hebrew University of Jerusalem, dann leben wir heute in einer Weichenzeit, in einer Zeit der Weichenstellungen. Nur kann sich eine Weiche viel dramatischer auswirken als eine Achse. Deshalb schlägt Harari Alarm. Der Weichenpunkt ist nach ihm die Künstliche Intelligenz.

In »NEXUS« bietet der Weltbestsellerautor eine Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis in die Gegenwart. Er definiert in seiner glänzend geschriebenen und treffend übersetzten Monographie Schlüsselbegriffe wie Information, Wahrheit, Intelligenz, Populismus und Wirklichkeit, grenzt sie voneinander ab und beschreibt deren Besonderheiten je nach Ort und Zeit, nach Art der Gesellschaft. Am gegenwärtigen Weichenpunkt tritt ein vollkommen neues Informationsnetzwerk auf den Plan, dessen Umgang mit bislang unvorstellbaren Datenmengen einerseits Problemlösungen ermöglicht und andererseits Gefahren für eine vom Menschen gestaltete und verantwortete Gesellschaft heraufbeschwört.

Harari sieht die Gefahren für die Demokratie durch eine manipulierende Einflussnahme auf Menschen, die eigentlich gar keine Wahl mehr haben, weil sie durch die Verwischung von Wirklichkeit, Wahrheit und Information Entscheidungen treffen, die ihnen von Maschinen vorgegeben werden. Der Autor befürchtet das Ende von jeglicher Privatsphäre, wenn die millionenfache Überwachung durch Kameras, über die Smartphone-Benutzung, Onlinebanking oder Internetbestellungen zu Persönlichkeitsprofilen führen, die von Profiteuren ausgenutzt werden können. Die Dramatik dieser Entwicklung besteht darin, dass die KI schon jetzt und ständig zunehmend eigene Inhalte, eigene Zwecke, von menschlicher Intelligenz und Gefühlswelt abgeschnittene Inhalte acht Milliarden Menschen in Bruchteilen von Sekunden senden kann.  

Harari zählt Beispiele aus der Vergangenheit auf, wie schon durch »klassische« Netzwerke ganze Bevölkerungen oder große Minderheiten zu Opfern wurden. Um wie viel größer seien die Gefahren einer totalen Überlassung der weltweiten Information an von Menschen nicht mehr kontrollierte Informationsplayer wie die KI. Diesen Gefahren stehen Gewinnmöglichkeiten für die Gesellschaft gegenüber, die das, was wir bisher nur andeutungsweise berechnen konnten, besser oder überhaupt lösen können. Gefahren und Gewinne dürfen nach Harari aber nicht miteinander verrechnet werden. Er schreibt: »Je mächtiger ein Netzwerk wird, desto wichtiger werden seine Selbstkorrekturmechanismen. Wenn eine Supermacht des Siliziumzeitalters über schwache oder gar keine Selbstkorrekturmechanismen verfügt, könnte das sehr wohl das Überleben unserer Spezies und zahlloser anderer Lebensformen gefährden.« Goethes »Zauberlehrling« malte schon vor 200 Jahren die Gefahr an die Wand, dass wir uns von unseren eigenen Schöpfungen manipulieren lassen.

Yuval Harari hält jedoch auch eine gute Nachricht für seine Leserinnen und Leser bereit: »Wenn wir Selbstgefälligkeit und Verzweiflung vermeiden, sind wir in der Lage, ausgewogene Informationsnetzwerke zu schaffen, die ihre eigene Macht in Schach halten.« Wir alle sind hier aufgefordert.

Yuval Noah Harari: NEXUS. Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz. A. d. Engl. v. Jürgen Neubauer und Andreas Wirthensohn. Penguin, 655 S., geb., 28 €.

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