Luke Mockridge und Florian Schroeder: Baden gegangen

Was der Fall Luke Mockridge abermals zutage förderte: Meinungen über Menschen mit Behinderungen haben meist die Falschen

  • Frédéric Valin
  • Lesedauer: 6 Min.
Sevilay Ozturk beim Aufwärmen während der Paralympics 2024. Im besten Fall weiß sie bis heute nicht, wer Luke Mockridge überhaupt ist.
Sevilay Ozturk beim Aufwärmen während der Paralympics 2024. Im besten Fall weiß sie bis heute nicht, wer Luke Mockridge überhaupt ist.

Florian Schroeder gilt als einer der schlaueren Comedians in diesem Land, damit ist schon viel gesagt über das deutsche Humorniveau. Schroeder gefällt sich in der Rolle des reflektierten Beobachters, der zu allem eine gesunde Äquidistanz hält und deswegen zu vernünftigen, abgewogenen Urteilen kommt – im Gegensatz zu allen anderen Diskussionsteilnehmer*innen, die rein aus dem Affekt sprechen. Ironischerweise ist das Affektlose die Affektiertheit des Florian Schroeder, eine reine Masche, der diskursive Reflexe zugrunde liegen und kein Erkenntniswillen. Es ist eine reine Inszenierung.

Entsprechend fiel auch sein Urteil zur Diskussion rund um den – von vielen als Komiker bezeichneten – Luke Mockridge erwartbar abgehangen aus: »Die reflexhafte mitleidige Verteidigung von behinderten Menschen ist in ihrer Selbstbesoffenheit am Ende fast so diskriminierend wie Lukes Witz selbst. Es macht die behinderten Menschen so klein, wie sie selbst niemals sein wollen.« Luke Mockridge hatte in irgendeinem Podcast spekuliert, dass bei den Paralympischen Spielen Leute ohne Gliedmaßen ins Wasser geworfen würden und dann alle ersöffen.

Florian Schroeder übergeht nonchalant, dass die Kritik ursprünglich von behinderten Personen kam: Kristina Vogel, zweifache Olympiasiegerin und selbst querschnittsgelähmt, war es, die auf Mockridges Versuch, sich bei den Podcast-Hosts anzubiedern, aufmerksam machte. Es ist mitnichten so, dass da Leute ihre moralische Überlegenheit zelebrieren, das hätte auch Schroeder merken können, wenn er zugehört hätte. Aber statt jenen zuzuhören, die von sich erzählen und den Diskriminierungen, die sie erleben, geht Schroeder lieber in die bequeme Äquidistanz: als würden Behinderte innerhalb dieser Diskussion gar nicht stattfinden. Kann er machen, ist halt der letzte Scheiß. Wenn er Behinderte Menschen groß machen will, müsste er sie zuerst einmal wahrnehmen; das scheint ihm aber nicht gegeben. Dafür gibt es ein Wort: Ableismus.

Was Florian Schroeder und die Handvoll Leute, die es ähnlich abgehangen versuchen, nicht begreifen, ist: Das Sprechen von, über und mit Behinderten muss ständig neu gelernt werden. Das geht freilich nur, wenn man nicht so ideologisch verkrustet ist wie Schroeder. Wenn er es ehrlich meinen würde, müsste er jetzt selbst mit lauter ableistischen Sprüchen auftreten, um die woke cancel culture zu entlarven, und um dann zu sehen, dass die Öffentlichkeit schlicht weiter ist als er: aber er meint es nicht ehrlich. Er ist, was er anderen vorwirft: ein bateau ivre in den Diskursstürmen, dem nichts Besseres einfällt, als sich immer wieder an sich selbst zu klammern. Sein Ziel, das sagt er auch immer wieder, ist nicht, zu verstehen, sondern zu irritieren. Dass Ironie voraussetzt, schon etwas verstanden zu haben, versteht er nicht.

Was Florian Schroeder nicht begreift, ist: Das Sprechen von, über und mit Behinderten muss ständig neu gelernt werden.

Aber genug zu Schroeder, der im Grunde nur ein Symptom des Sowohlalsauchismus ist. Genauso wie seine derberen (und damit ehrlicheren) Kolleg*innen Mario Barth oder Didi Hallervorden, die sich alle zum Auftrag gemacht haben, das Denken zu verkrusten unter dem Vorwand, es zu befreien.

Das Sprechen über Behinderung krankt am Umgang mit Behinderung in der Gesellschaft. Der Begriff, wie er heute verwendet wird, hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert und bezeichnet eine Einbuße der erwartbaren Leistungsfähigkeit – darauf basiert auch der Witz von Mockridge, was ihn eben so schlecht macht, die Pointe ist schlicht fast 200 Jahre alt. Der Behinderung zugrunde liegt eine medizinische Diagnose, woraufhin diese Behinderung dann therapiert wird. Das kann mehr (Prothesen, Cochlear) oder weniger erfolgreich verlaufen.

Ohne den Begriff der Leistungsfähigkeit ist Behinderung nicht zu verstehen. Das ist das Tragische an der Geschichte der Emanzipation von Behinderung: Diese Geschichte ist auch eine, die immer wieder zu zeigen versucht, dass auch Behinderte leistungsfähig sind. Das ist der Grund, warum es heute noch das Wort »Idiot« gibt; dieses Wort hat eine erstaunliche Geschichte hinter sich gebracht.

Einst bezeichnete es so viel wie Privatperson: Menschen, die in den Gesellschaften der griechischen Stadtstaaten aus öffentlichen Fragen herausgehalten wurden. Im antiken Rom verschob sich die Bedeutung hin zu einem Synonym für Laien. Im 19. Jahrhundert dann machte der Arzt Édouard Séguin den Begriff für die Psychiatrie fruchtbar. Er gilt als Vater der Behindertenpädagogik, ein Vorreiter der Inklusion, und versuchte, mit dem Konzept der »Idiotie« einen neuen, menschenfreundlicheren Ansatz zur Beschreibung vor allem von Kindern mit sogenannter geistiger Behinderung zu etablieren. Von ihm stammt auch die Idee des »idiot savant«, das Inselbegabungen im Autismus-Spektrum beschreibt, ein Konzept, das hundert Jahre später in dem Film »Rain Man« ein ungebrochenes Revival erlebte. So wirkmächtig sind die Ideen, die individuelle Abweichungen zurück ins System erzählen wollen.

Natürlich haftete auch diesem Konzept etwas Paternalistisches an, und dieses repressive Potenzial wurde – zeitgleich mit dem Verfall der Psychiatrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts – immer offenbarer, bis im Nationalsozialismus eine schon lang davor begonnene Diskussion in die Ermordung sogenannter »Idioten« mündete. Die Vernichtungsanstalten der verschiedenen Vernichtungsaktionen standen mitten in Deutschland, und trotzdem blieb der Widerstand gegen die Tötungen sogenannten »lebensunwerten Lebens« sehr überschaubar.

Der Begriff der Idiotie (oder eben zu Deutsch Schwachsinn) verlor seine diagnostische Bedeutung und wurde abgelöst von dem Konzept der sogenannten »geistigen Behinderung«. In Deutschland haben den Begriff Eltern betroffener Kinder in Zusammenarbeit mit Fachleuten 1958 eingeführt. Hinterher stellte sich heraus, dass einige dieser Fachleute mit für die Mordaktionen während der NS-Zeit verantwortlich waren.

Der Begriff der »geistigen Behinderung« ist inzwischen wieder überholt: Was soll das auch sein, dieser Geist, der behindert wird? Es mag vielen Unbeteiligten albern vorkommen, in welcher Frequenz neue Selbst- oder Fremdbezeichnungen aufscheinen; andererseits sind erfahrungsgemäß die Zeitfenster sehr eng, in denen Menschen mit Behinderung überhaupt Gehör finden.

Die Morde an Behinderten sind bis in die Achtziger komplett verschwiegen worden, Mediziner*innen und Pfleger*innen, die daran beteiligt waren, sind in der Mehrzahl nicht belangt worden. Die Praxis einer durchgehenden Sterilisation, die sich im »Dritten Reich« etabliert hatte, wurde im Westen bis in die 70er Jahre flächendeckend umgesetzt. Dafür übernimmt niemand Verantwortung, weil das noch teuer werden könnte. Wenn Schroeder einmal darüber nachdenken würde, was die Leute so klein macht, hätte er da vielleicht einen Ansatz.

Was Schroeder und Konsorten nicht verstehen: Die Empörung über Mockridge entspringt auch dem Wissen darüber, dass die Lage für Behinderte de facto prekärer wird: Es ist fünfzehn Jahre her, dass die deutsche Bundesregierung die Behindertenrechtskonvention unterschrieben hat. Der im letzten Jahr veröffentlichte Prüfbericht der WHO stellte fest, dass es kaum Verbesserungen gab, in manchen Bereichen sogar Rückschritte.

Zeitgleich hat sich mit der Pandemie ein neues ableistisches Narrativ etabliert, als nämlich die »Risikogruppen« erfunden wurden, die mitzudenken anderthalb Jahre gerade noch so okay war und die dann sich selbst überlassen wurden. Der Druck, den jetzt nicht nur, aber gerade die CDU auf arme Menschen aufbaut (Jens Spahn und Carsten Linnemann wollen sogenannten »Totalverweigerern« alle Leistungen streichen und damit die Verfassung brechen) wird so 1:1 bei behinderten Menschen ankommen. Mockridges Witz darüber, dass man Behinderte ins Wasser schmeißt, um mal zu gucken, wie lang sie oben bleiben, spiegelt sehr gut diesen Sadismus, dem sich Behinderte jetzt wieder ausgesetzt sehen.

Es geht hier nicht nur um Befindlichkeiten und semantische Übungen. The struggle is real, aber davon weiß man halt nix, wenn man sich nur für sich selbst interessiert.

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