Femizide: Es sind schlimme Zeiten für Frauen

Livia Sarai Lergenmüller fordert Konsequenzen aus der neuen Femozid-Statistik

Blumen und Kerzen nach einem tödlichen Messerangriff vor einem Hauseingang in Berlin-Friedrichsfelde im August dieses Jahres
Blumen und Kerzen nach einem tödlichen Messerangriff vor einem Hauseingang in Berlin-Friedrichsfelde im August dieses Jahres

Es war wirklich kein guter Herbst für Frauen. Anfang September ging die Geschichte der ugandischen Olympia-Läuferin Rebecca Cheptegei um die Welt, die von ihrem Partner getötet wurde. In der gleichen Woche wurden in Berlin gleich zwei Frauen durch ihre Ex-Partner umgebracht. Zeitgleich begann der beispiellose Vergewaltigungsprozess gegen Dominique Pelicot in Frankreich, der seine Frau über zehn Jahre hinweg betäubt und Männern im Internet zur Vergewaltigung angeboten haben soll. Als Anfang November dann der verurteilte Sexualstraftäter Donald Trump erneut zum Präsidenten der USA gewählt wurde, verfestigte sich, was man vorher ahnte: Die Zeiten sind nicht gut für Frauen, vor allem aber werden sie schlimmer.

Jetzt gibt es für dieses Gefühl Zahlen. Diese Woche stellten Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundesfrauenministerin Lisa Paus erstmals das Lagebild »Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023« vor. Es ist der Versuch, umfassend die geschlechtsbezogene Kriminalität gegenüber Frauen und Mädchen zu erheben und darzustellen.

Die Zahlen sind drastisch: 360 Mädchen und Frauen wurden 2023 getötet. Das Bundesinnenministerium spricht davon, dass es statistisch gesehen fast jeden Tag zu einem Femizid in Deutschland gekommen sei. Zwar haben sich die Autoren des Lageberichts mangels allgemeingültiger Definition dazu entschieden, einfach alle Tötungen von Frauen mit in die Statistik aufzunehmen. Doch auch wenn man die Methodik hinterfragen kann, bleibt der Befund eindeutig. Denn 80 Prozent dieser Tötungen fanden im Zusammenhang mit partnerschaftlichen Beziehungen statt, denen meist ein geschlechtsspezifisches Motiv vorausgeht.

Livia Sarai Lergenmüller

Livia Sarai Lergenmüller schreibt als freie Journalistin über Kultur und Gesellschaft mit einem Schwerpunkt auf geschlechtsspezifische Gewalt.

Und auch sonst ist jede Gewaltform gegen Frauen in der Statistik gestiegen: häusliche Gewalt um 5,6 Prozent, Delikte gegen Frauen im Menschenhandel – etwa der Prostitution – um 6,9 Prozent, digitale Gewalt um 25 Prozent, Sexualstraftaten stiegen um 6,2 Prozent – von den 52 000 betroffenen Frauen und Mädchen war die Hälfte unter 18 Jahre alt. Ob die Zahlen nun aufgrund einer höheren Anzeigebereitschaft oder aufgrund eines tatsächlich höheren Vorkommens gestiegen sind, ist dabei zweitrangig. Die Zahlen sind hoch und beschämend für Deutschland.

Zum Thema: Das Patriarchat schützt die Täter – Veronika Krächer hält Gewalt an Frauen in einer männerdominiserten Gesellschaft für etwas Normales

Es gibt natürlich allerhand diskutierte politische Maßnahmen, um gegen diesen eklatanten Notstand anzukämpfen: das seit Jahren hinausgezögerte Gewalthilfegesetz zum Beispiel. Doch da das FDP-geführte Bundesfinanzministerium bis zuletzt blockiert hat und man auf den neuen Bundeskanzler in spe Friedrich Merz (CDU) nun wirklich nicht setzen will, muss man seine Hoffnungen langfristig an jemand anderes richten. Denn politische Maßnahmen sind ohne einen gesellschaftlichen Wandel nichts wert.

Der Lagebericht ist nicht bloß eine Zusammenstellung von Statistiken – hinter all diesen Zahlen stehen Menschenleben. Gewalt gegen Frauen als eine gesamtgesellschaftliche Bedrohung anzuerkennen ist kein moralisches Zugeständnis, sondern eine dringende Notwendigkeit. Wir alle müssen an einer Kultur arbeiten, in der Frauen nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen.

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