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Menschenrechtsbrigaden in Mexiko: Die Globalisierung der Hoffnung

Kontinuität und Wandel der 30-jährigen Geschichte der Brigaden in Chiapas. Gespräch mit einem Anwalt, der Menschenrechtsverletzungen verfolgt

  • Anne Haas
  • Lesedauer: 3 Min.
Beobachter*innen begleiten eine Gruppe Vertriebener bei ihrer Rückkehr in ihr Dorf.
Beobachter*innen begleiten eine Gruppe Vertriebener bei ihrer Rückkehr in ihr Dorf.

Wie ist es Ihnen gelungen, das rein ehrenamtliche Projekt der Beobachtungsbrigaden kontinuierlich über 30 Jahre fortzuführen?

Dieser Tage habe ich eine Mail von einem jungen Mann aus Spanien bekommen. Er schrieb, dass seine Eltern früher an den Brigaden teilgenommen hatten und immer davon erzählten. Jetzt sei er endlich in dem Alter, um selbst teilzunehmen. Solche Nachrichten erfreuen mich und geben mir Hoffnung. Auf alten Bildern sieht man, wie jung die Leute damals waren! Ich denke mir, egal was sie heute arbeiten, sie tragen diese Erfahrung aus Chiapas in sich – und geben eventuell etwas davon weiter. Das Projekt ist der Versuch einer Annäherung an den Frieden, um mit physischer Präsenz die Gewalt abzuschrecken. Es ist ein Projekt der Begegnung, die Brigadistas treffen die Menschen hier aus den Gemeinden und die anderen Gäste – und nicht zuletzt auch sich selbst. In 30 Jahren haben 11 450 Personen aus gut 60 Ländern daran teilgenommen und lebten in insgesamt 140 verschiedenen Gemeinden. Viele Menschen sind dem Projekt sehr treu. Und auch die Zusammenarbeit mit den 30 nationalen und internationalen Kollektiven, die Beobachter anwerben, hat zur Erhaltung des Projekts beitragen.

Wie hat sich die Situation im Vergleich zu den 90er Jahren entwickelt?

Am Anfang ging die Gewalt direkt von staatlichen Akteuren aus: von Beamten, dem Militär, den Paramilitärs. Ab 2006 hat sich das langsam geändert. Es treten immer neue bewaffnete Gruppen auf, nun seit der Pandemie auch mit deutlichen Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Wir mussten unsere Sicherheitsstandards anpassen, auch für die Brigaden. Der organisierten Kriminalität können wir uns nicht so konfrontativ entgegenstellen wie dem Staat, aber natürlich müssen auch diese Verbrechen dokumentiert werden. Daher suchen wir sozusagen »sichere Orte«, von wo aus wir ein Monitoring der Lage betreiben können. Die Beobachtungscamps sind solche Orte für uns.

Interview

Ruben Moreno ist Anwalt und arbeitet seit fast 20 Jahren beim Menschen­rechts­zentrum Fray Bartolomé de las Casas. Er begleitet zahlreiche Fälle von Menschenrechtsverletzungen vor dem Inter­ameri­kanischen Gerichtshof. Darüber hinaus koordiniert er das Projekt der Menschen­rechts­beob­achtung. Anne Haas hat mit ihm über die Zukunft des Projekts und die Kritik daran gesprochen.

Das Projekt basiert auf der Annahme, dass dem Wort der Beobachter*innen aufgrund ihres Passes oder ihres Weißseins von der mexikanischen Regierung mehr Gehör geschenkt wird als den chiapanekischen Betroffenen. Stützt das Projekt damit nicht auch rassistische und koloniale Strukturen?

Tatsächlich habe ich zu dieser Frage von unseren Teilnehmenden besonders aus Europa schon die verschiedensten Meinungen gehört. Ja klar, man kann das so sehen, aber es hängt davon ab, von wo du es betrachtest, was du gelernt hast, wo du dich selbst in diesen Strukturen verortest. Manche gehen in die Gemeinden und sehen zuerst diese Kontinuität. Ich habe versucht, auf anderes zu fokussieren. In der Situation, in der wir uns befinden, geht es doch darum, unsere Kämpfe und Widerstände zu teilen. Wir müssen die Hoffnung globalisieren. Neben der Arbeit der Dokumentation sind die Brigaden eine Chance, sich zu begegnen. Wenn ich zwei Wochen in der Gemeinde sitze und nur über meine Privilegien nachdenke, okay, aber dann passiert eben auch nichts. Trotzdem ist es wichtig, diese Analyse zu machen, um zu sehen, wie wir die gegebenen Elemente dann nutzen. Bedauerlicherweise ist es immer noch so, dass der Staat stärker auf das Wort derer hört, die von woanders kommen. Also nutzen wir das. Und gleichzeitig ist das kein Ausschlusskriterium. Die Compas (Genossen) in den Gemeinden freuen sich über jede Person, die Interesse hat, ihren Kampf kennenzulernen und sich solidarisch zu zeigen.

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