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FC Barcelona gegen Inter: Die Mentalitätsmonster des Hansi Flick
Barça wahrt mit einem 3:3 gegen Inter Mailand die Finalchance in der Champions League
Kurz vor Anpfiff wurde es unruhig im Olympiastadion Lluís Companys in Barcelona: Der 17-jährige Lamine Yamal brach vorzeitig das Aufwärmtraining ab und begab sich in die Hände der Physiotherapeuten. Sollte der hochbegabte Youngster sein bereits hundertstes Pflichtspiel für die erste Mannschaft des FC Barcelona wegen muskulärer Probleme doch nicht bestreiten können? Es war falscher Alarm, eher keine der Finten von Yamal, mit denen er in den folgenden 93 Minuten seine Gegenspieler zuhauf in Verlegenheit bringen würde.
Nicht auszudenken, ob der FC Barcelona nach dem Fehlstart gegen Inter Mailand im Halbfinale der Champions League ohne Lamine Yamal zurückgekommen wäre. Der nach einer Verletzung frisch genesene französische Nationalspieler Marcus Thuram, ehemals Borussia Mönchengladbach, schoss schon nach 30 Sekunden ein fabulöses Hackentor. Auf Vorlage des ebenfalls aus einer Verletzung erstmals wieder in die Startelf zurückgekehrten niederländischen Nationalspielers Denzel Dumfries. Ohne diese beiden hatte Inter Mailand zuletzt in drei Spielen kein Tor geschossen, sich aus dem italienischen Pokal verabschiedet und in der italienischen Liga die Tabellenführung eingebüßt. Inter kam im Krisenmodus in Barcelona an, davon war allerdings nichts zu sehen. Stattdessen eine Mannschaft, die effektiv ihre wenigen Chancen nutzte: in der 21. Minute traf Dumfries mit einem spektakulären Seitfallzieher nach einer Ecke.
Das Verteidigen von Standardsituationen gehört zu den wenigen Schwächen, die das vom deutschen Trainer Hansi Flick auf spektakulären Offensivfußball geeichte Team von Barça hat, eine gewisse Konteranfälligkeit kommt obendrauf. Doch was der als deutscher Nationaltrainer gescheiterte 60-jährige Flick seiner jungen Truppe nebst mit von Gegenpressing geprägtem Tempofußball eingeimpft hat, ist, nie aufzugeben, den riskanten Stil mit einer hoch stehenden Abwehr beizubehalten, unabhängig vom Spielverlauf. In der vergangenen Samstagnacht wurde so im spanischen Pokalfinale der Erzrivale Real Madrid nach zwischenzeitlichem 1:2 Rückstand in der Verlängerung mit 3:2 doch noch niedergerungen.
Am Mittwochabend war es der jüngste Spieler, der das Team auf seine Schultern nahm und mit seinem sensationellen Anschlusstreffer in der 24. Minute wieder in die Spur brachte. Yamal knöpfte Thuram den Ball ab und trat zu einem unwiderstehlichen Sololauf an, den er mit einem unhaltbaren Schlenzer ins obere linke Eck krönte. Und gerade mal zwei Minuten später legte Yamal fast nach, doch Inter-Torwart Yann Sommer gelang es dieses Mal, den Ball an die Latte zu lenken.
Yamal steht wie kein Zweiter für jugendliche Unbekümmertheit, noch macht er sich über seinen Status keinen Kopf, er ist schon Europameister, Superpokal- und Pokalsieger, einen Führerschein und einen langfristigen Profivertrag hat er noch nicht, das steht erst ab 13. Juli an, wenn der zum Pokalfinale frisch Blondierte 18 wird. »Ich versuche, Spaß zu haben, ich glaube, das ist das Geheimnis. Ich versuche, den Leuten Spaß am Fußballspielen zu vermitteln. Ich habe noch viel zu leisten und ich hoffe, dass ich im Rückspiel so weitermache«, sagte der Jungspund nach dem Spiel.
Auf seinen Anschlusstreffer folgte den Rest der ersten Hälfte Dauerdruck von Barcelona, Inter Mailand kam kaum noch aus der eigenen Hälfte heraus und Yann Sommer, der Schweizer Nationaltorwart mit Bundesliga-Vergangenheit, konnte sich mehrfach auszeichnen. Erst in der 38. Minute musste er sich nach einer schönen Kombination dem Treffer von Ferran Torres geschlagen geben, der anstelle des verletzten Robert Lewandowski auf der Mittelstürmerposition spielte.
In der zweiten Hälfte konnte Barcelona die Intensität des Dauerdrucks nicht ganz aufrechterhalten, in der Endphase einer kräfteraubenden Saison mit Spielen alle drei Tage nur allzu verständlich. Doch die Mentalität stimmt: Auch vom Kopfballtor von Dumfries in der 64. Minute nach einer Ecke ließen sich die Jungs von Flick nicht unterkriegen, sondern glichen schon eine Minute später durch einen Gewaltschuss des Brasilianers Raphinha aus, der von der Latte an den Rücken Sommers und dann ins Tor sprang. Doch die Querlatte war nicht immer Sommers Feind. Zweimal rettete sie ihn bei Schüssen von Yamal, einmal kurz vor Schluss bei einem erneuten sagenhaften Schlenzer, der keine missglückte Flanke auf Raphinha war, wie Yamal klarstellte: »Die Wahrheit ist, dass ich Raphinha nicht gesehen habe. Ich wollte schießen.«
Inter-Coach Simone Inzaghi war voll des Lobes über Yamal. »Er hat viele Probleme gemacht. Lamine Yamal ist ein Phänomen, das alle 50 Jahre geboren wird. Er hat mich heute wirklich beeindruckt.«
Yamals bisherige Karriere ist in der Tat beeindruckend: 22 Tore und 28 Torvorbereitungen hat er nach seinen ersten 100 Spielen für Barcelona zu Buche stehen, und das vor Vollendung seines 18. Lebensjahres. Er selbst lebt im Augenblick und richtet derweil schon den Blick auf das Rückspiel: »Ich habe viel Vertrauen in meine Mannschaft. Ich glaube, dass wir im Rückspiel alles geben und weiterkommen werden.«
Trainer Hansi Flick sieht das ähnlich. »Die Mentalität der Mannschaft war stark, wie sie zurückgekommen ist nach dem Rückstand, wie Lamine die Mannschaft auf seine Schultern gepackt hat. Wir werden in Mailand unserem Stil treu bleiben. Hoffentlich reicht es dann fürs Finale.« Am 6. Mai kommt es zum Show-down im Stadion San Siro von Mailand. Ein ähnliches Spektakel wie in Barcelona ist nicht ausgeschlossen.
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