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80 Jahre ohne Niederlage

Die deutsche Gedenk- und Verantwortungskultur hat Weltniveau, findet Andreas Koristka

  • Andreas Koristka
  • Lesedauer: 3 Min.
Andreas Koristka
Autorenfoto von Andreas Koristka am Donnerstag, den 10. Oktober ...

Andreas Koristka ist Redakteur der Satirezeitschrift »Eulenspiegel«. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter dasnd.de/koristka.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier könnte kommende Woche wieder erzählen, wie toll Deutschland aufarbeitet.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier könnte kommende Woche wieder erzählen, wie toll Deutschland aufarbeitet.

Man darf durchaus hibbelig sein, denn bald ist es so weit: Am 8. Mai feiert Deutschland 80 Jahre ohne Niederlage! Schon jetzt werden die Innenstädte auf Hochglanz gebracht und die Brillengläser des Bundespräsidenten poliert. Denn Steinmeier soll seine Gedenkrede im Bundestag fehlerfrei ablesen können. Kein Haspeln soll den Genuss trüben, wenn die Deutschen die Worte ihres Präsidenten mit offenen Ohren bestaunen.

80 Jahre! Das ist eine beeindruckende Spanne. Und so wird der Tenor der präsidialen Wortmeldung auch dieses Mal sein, dass es zwar ganz schön viel Schlechtes im Dritten Reich gab (Autobahnen ausgenommen), aber das wirklich Tolle ist doch, wie die Deutschen diese schreckliche Vergangenheit gewuppt haben. Nun können die Menschen in anderen weniger demokratischen Ländern anerkennend zu uns aufblicken.

Deutschland ist eine friedliebende Nation geworden. Kein Schuss fiel, als Lidl und Aldi in Polen einmarschierten. Heute kann man in ganz Europa Karlsquell und Solevita-Apfelsaft kaufen. Unsere Wunderwaffe heißt nicht mehr V2, sondern »Supermarkt«. Ja, dieses Land hat einst schreckliche Verbrechen begangen, aber im Hier und Jetzt profitiert ein ganzer Kontinent von Barissimo-Filterkaffee im Angebot. Am deutschen Verkaufswesen ist die Welt genesen.

Aber man darf natürlich nicht locker lassen mit der Erinnerungskultur. Steinmeier spricht in dem Zusammenhang gern vom »Bekenntnis zur Verantwortung«. Wegen dieses Bekenntnisses haben wir in Berlin das beste, größte und schönste Holocaust-Mahnmal der Welt errichtet. Nirgendwo sonst wird derart nachhaltig und verantwortungsvoll der eigenen Schand- und Missetaten gedacht. In Amerika jedenfalls haben sie den Indianern nichts Vergleichbares gebaut. Und für die Frauen, denen Trump an die Pussy gegrabbt hat, gibt es noch gar kein Denkmal. Da kann man mal sehen, wie gut es die Juden haben …

Deutschland hat sich seit dem letzten Weltkrieg grundlegend geändert. Die deutsche Gesellschaft ist so offen und vielseitig wie nie. Selbst unsere Faschisten sind divers. Die AfD-Vorsitzende lebt in einer lesbischen Beziehung mit einer Nicht-Arierin, Maximilian Krah hat mit einem chinesischen Spion zusammenarbeitet und Björn Höcke verzichtet gänzlich auf das Tragen von Uniformen. Dabei würde ihm braun sehr gut stehen.

Acht Jahrzehnte, da winkt schon die runde 100! Und die Statistik sähe noch beeindruckender aus, wäre die Sache mit Afghanistan nicht gewesen. Zu der man aber sagen muss, dass die eigentlichen Schlachten gewonnen wurden und sich Deutschland nur aus Bocklosigkeit zurückgezogen hat. Das kann man nicht mit einer Kapitulation vergleichen. Daher war es absolut richtig, dass sich Angela Merkel nach dem Rückzug der Bundeswehr im Kanzlerbunker keine Kugel in den Kopf gejagt hat.

Jetzt gilt es, das Niveau des Bekenntnisses zur Verantwortung gleichbleibend hochzuhalten, damit sich Geschichte nicht wiederholen kann. In einem Land, in dem Frank-Walter Steinmeier hervorragende Reden hält, braucht es keine Parteiverbote, um die Faschisten in Schach zu halten.

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