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Zittern in Zwickau
Die sächsische Automobilbranche sucht nach einem Plan B
Eigentlich könnte bei Volkswagen in Zwickau Feierstimmung herrschen. Vor wenigen Tagen lief in dem sächsischen Werk das einmillionste E-Auto vom Band. Vor fünfeinhalb Jahren wurde der Standort als Erster im VW-Konzern komplett auf die Produktion batteriebetriebener Fahrzeuge umgestellt; derzeit werden dort sechs Modelle der Marken VW, Audi und Cupra gefertigt. Weltweit, so wurde stolz betont, habe jeder zweite Elektro-VW eine Zwickauer Herkunft.
Doch den Autobauern in der südwestsächsischen Stadt ist derzeit nur bedingt nach Feiern zumute. »Die Stimmung ist schlecht«, sagt Thomas Knabel, der erste Bevollmächtigte der IG Metall in der Region, und fügt an, auf einer Betriebsversammlung in der vergangenen Woche seien »weit drastischere Worte gewählt worden«. Bei der Zusammenkunft ging es noch einmal um das Sparpaket, das der VW-Konzern im Dezember beschlossen hatte. Die Zwickauer Beschäftigten, sagt der Gewerkschafter, treibe noch immer die Frage um, »wie es mit ihrem Standort weitergeht«.
»Es ist noch nicht entschieden, ob die Automobilregion Zwickau eine Zukunft hat.«
Thomas Knabel Regionalchef IG Metall
Das Zwickauer Werk leidet schon seit einiger Zeit unter der Absatzflaute bei E-Autos. Das hat bereits zu Stellenabbau geführt: Die Verträge von 2800 befristet Beschäftigten liefen aus; die letzten 400 müssen im Juni gehen. Auch für die Stammbelegschaft gab es bereits Einschnitte: Das Werk läuft nur noch im Zweischichtbetrieb; die Nachtschichten wurden gestrichen. Ende vorigen Jahres hatte es zeitweise so ausgesehen, als stehe es komplett auf der Kippe: Zwickau war als einer der VW-Standorte gehandelt worden, die geschlossen werden könnten.
Dazu kam es dann doch nicht. Allerdings wird es erhebliche Einschnitte geben. Wichtige Modelle wie die VW-Stromer der ID-Reihe werden künftig in Wolfsburg produziert; Zwickau wird eingedampft. Das sei eine »bittere« Entscheidung einer »fernen Konzernzentrale«, sagt Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter. Der SPD-Politiker, der einen Tag nach dem Beschluss der VW-Führung ins Amt kam, versucht seither, politischen Druck auszuüben. Es gebe ein »klares Bekenntnis« der sächsischen Staatsregierung zu VW in Zwickau: »Wir werden alles tun, um jeden der Arbeitsplätze zu erhalten.« Erst vor wenigen Tagen überbrachte er die Botschaft persönlich in Wolfsburg.
Ob das Erfolg hat, ist offen. Die Lage für VW ist seit Dezember nicht besser geworden. Zwar führen die Modelle des Konzerns in Deutschland die Liste der meistverkauften E-Autos an. Doch die deutsche Automobilindustrie lebt vom Export. China allerdings ist vom wichtigen Absatzmarkt zu einem harten Konkurrenten geworden, und in den USA belasten hohe Einfuhrzölle die Geschäfte. Die Krise der Branche dauert an, und ob Zwickau diese überlebt, ist alles andere als sicher. IG-Metall-Regionalchef Thomas Knabel sagt: »Es ist noch nicht entschieden, ob die Automobilregion Zwickau eine Zukunft hat.«
Dabei geht es längst nicht nur um das VW-Werk. An diesem hängen zahlreiche Zulieferer in ganz Südwestsachsen, wo jeder Vierte sein Geld in der Automobilbranche verdient. Für Sachsen insgesamt, wo es etwa auch noch große Werke von BMW und Porsche in Leipzig gibt, geht man von 95 000 Jobs in der Branche aus, davon 80 Prozent bei gut 800 Zulieferern. An der Automobilfertigung hängen knapp 29 Prozent des sächsischen Industrieumsatzes und fast 40 Prozent der Auslandsgeschäfte.
Entsprechend emsig sind die Bemühungen, so viel wie möglich davon zu retten. Bereits im März hatte Panter Vertreter der Zulieferbranche zu einem Krisentreffen geladen, jetzt gab es in Zwickau einen »Automobildialog« mit rund 100 Vertretern der gesamten Branche. Dabei gelte es zwei Themen zu besprechen, sagte Jens Katzek, Geschäftsführer des Automotive Cluster Ostdeutschland (AMOC): Es brauche einen »Plan B«, falls das VW-Werk in Zwickau tatsächlich noch kippt, und es benötige Überlegungen zur »Revitalisierung« der gesamten Branche in der Region angesichts von Umbrüchen wie dem absehbaren Ende des Verbrennermotors. Die Automobilindustrie in Deutschland habe insgesamt ein Fünftel der Umsätze gegenüber der Zeit vor Corona verloren, sagte Katzek, »und diese werden auch nicht zurückkommen«.
Katzek und Knabel sind sich einig, dass es zur Sicherung des VW-Werks vor allem politischen Druck braucht. Der Gewerkschafter drängt zudem auf eine attraktive »Förderkulisse« und ein »Zusammenrücken aller Akteure«, Katzek auf den Abbau von Bürokratie. Ob all das hilft, wenn VW weiter Probleme hat und sich im Zweifelsfall auf seinen niedersächsischen Stammsitz konzentriert, ist offen. Niedersachsen hat, im Unterschied zu Sachsen, in den VW-Gremien Stimmrecht.
Mancher in Sachsen ist zuversichtlich, dass die 120 Jahre alte Automobiltradition in und um Zwickau auch einen Abschied von VW überleben würde. Hier gebe es exzellente Fachkräfte, viel Erfahrung und ein gutes Netzwerk von vielseitigsten Herstellern, sagt Andreas Wächtler vom Netzwerk der Automobilzulieferer Sachsen (AMZ): »Selbst wenn am Werk die zwei Buchstaben abfallen sollten, könnten wir uns an andere Partner attraktiv vermarkten.« Schon in der Vergangenheit hatte es in der Region Überlegungen gegeben, im Zweifelsfall könne ein anderer, womöglich chinesischer Hersteller das Werk übernehmen. Jens Katzek bringt derweil eine ganz andere Perspektive ins Spiel. Südsachsen könne zur »Modellregion für Verteidigungsfähigkeit« profiliert werden, die Automobilbranche künftig also für den Rüstungsbereich produzieren. Ein Wechsel in diesen Bereich wurde kürzlich schon als rettender Strohhalm für den Waggonbau in Ostsachsen gepriesen. Allerdings ist auch dem AMOC-Chef klar, dass die Vorbehalte erheblich wären. Der Stadtrat Zwickau hatte kürzlich sogar Werbung für die Bundeswehr an den Straßenbahnen der Stadt verboten.
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