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Der Schatz von Halberstadt
Statt zu verrotten, erwies sich das DDR-Geld physisch als überaus langlebig
Vor 35 Jahren verschwand die DDR-Mark von der Bildfläche – aber überraschenderweise dann doch nicht so ganz. Am 1. Juli 1990 war die Deutsche Mark (DM) – bis dahin lediglich in der Bundesrepublik offizielles Zahlungsmittel – im Osten eingeführt worden. Dieser unter Ökonomen umstrittene schnelle Wechsel der Währungen symbolisierte aus Sicht der Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) die politische und zugleich wirtschaftliche Integration der beiden deutschen Staaten. Doch trotz des Endes des DDR-Geldes erwiesen sich die ostdeutschen Banknoten als äußerst widerstandsfähig.
Zunächst hatte die Bundesregierung in Bonn per Gesetz die Zentralbank der DDR in die Staatsbank Berlin umgewandelt. Faktisch wurde diese zu einer Niederlassung der westdeutschen Bundesbank. Mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion im Sommer 1990 war die Mark der Deutschen Demokratischen Republik, so die offizielle Bezeichnung, kein gültiges Zahlungsmittel mehr. Die Staatsbank Berlin sammelte Banknoten und Münzen ein und war fortan für deren Entsorgung verantwortlich.
Die Vernichtung der Münzen – vom Ein-Pfennig- bis zum Zwei-Mark-Stück und den Restbeständen an Gedenkmünzen – verlief offiziell reibungslos. Das Münzgeld wurde eingeschmolzen und das gewonnene Metall an die Industrie verkauft. In den Tresoren verblieben Banknoten mit einem Gesamtgewicht von 376 Tonnen. Dort lagerten auch 200- und 500-Mark-Scheine, die nie in Umlauf gebracht worden waren. Der Nennwert dieses mengenmäßig überschaubaren Papierberges betrug mehr als 100 Milliarden Mark.
Zur Jahreswende 1990/91 wurde das DDR-Papiergeld in acht Tatra-Lastzügen der Nationalen Volksarmee nach Halberstadt in Sachsen-Anhalt transportiert und sinnigerweise »eingemauert«. Die Stollenanlage war 1944 als unterirdische Rüstungsanlage errichtet worden. Eingemauert und mit Kieselerde eingeschlämmt, waren sich die Verantwortlichen sicher, dass der unterirdische Schatz bald verrotten würde. Bestätigt wurde diese Vermutung noch zwei Jahre später durch ein Gutachten.
Journalisten beschrieben die Banknoten daher als »Beute für Mikroben« oder hielten das Ex-Geld für so gesichert wie die Goldreserven der Vereinigten Staaten in Fort Knox. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt am Main, 1948 im Rahmen des US-amerikanischen Marshallplans als Investitions- und Entwicklungsbank des Bundes gegründet, war in Halberstadt zunächst nicht beteiligt. Aber 1994 wurde sie nach der Übernahme der Staatsbank Berlin deren Rechtsnachfolgerin und somit Eigentümerin der eingelagerten DDR-Banknoten. Jahrelang gab es bei Kontrollen keine Zweifel an der Sicherheit der »Einlagerungssituation«.
Eines Tages tauchten jedoch modrige Banknoten auf dem Sammlermarkt auf. Münzhändler informierten die KfW-Bank. Der Verdacht lag nahe, dass die Stollen aufgebrochen worden waren und die Banknoten aus der Untertageanlage Halberstadt stammten. Während eines ersten Ortstermins, den KfW-Vertreter im April 2001 anberaumten, stand man vor verschlossenen Türen: Da die Anlage nicht mehr über Strom verfügte, konnten die unbeschädigten Eingangstore zu den Stollen nicht geöffnet werden, schreibt der Historiker Marc Zirlewagen in seinem reich illustrierten Buch »Der Schatz von Halberstadt« (Henrich Editionen).
Bei einer zweiten Ortsbesichtigung wurde dann festgestellt, dass die Stollen sowohl durch Lüftungsschächte als auch durch Grabungen im Bereich der Gedenkstätte für die Opfer des Konzentrationslagers Langenstein-Zwieberge von außen begehbar geworden waren. Im Inneren der Anlage waren zahlreiche Tore und Türen fachkundig geöffnet worden, wodurch nahezu die gesamte 17 Kilometer lange unterirdische Anlage zugänglich war.
Von der Polizei auf frischer Tat ertappt wurden dann der Lackierer Karsten H. (23) und der Hausmeister Marco K. (21). Beide kamen mit einer Bewährungsstrafe davon. Weitere Täter wurden nie gefasst. Es wird aber davon ausgegangen, dass es einige mehr gab. Ein lukratives Geschäft: Zumindest für die 200- und 500-Mark-Scheine zahlen Sammler zweistellige Preise. Im vergangenen Jahr wurde diese besondere Geschichte von der Westberliner Regisseurin und Schauspielerin Natja Brunckhorst im Kinofilm »Zwei zu eins« verfilmt.
Es zeigte sich, dass die Papiernoten bis zu diesem Zeitpunkt nur teilweise verrottet waren. Der Vorstand der KfW-Bank beschloss daraufhin, die Geldscheine wirklich zu vernichten. Im März 2002 wurden die Stollen aufgebrochen und die mit Kies und Sand vermischten Banknoten in 298 Lkw-Ladungen zur Müllverbrennungsanlage BKB Buschhaus nahe Helmstedt transportiert und dort verbrannt. »Seither«, hieß es kürzlich von der KfW, »gibt es keinen Anreiz mehr für Menschen, auf illegalem und gefährlichem Wege in die Untertageanlage bei Halberstadt einzudringen«.
Einige Hundert Tonnen Schlacke, die aus dem Gemisch von Hausmüll und Banknoten entstanden, wurden als Kiesersatz in Straßen verbaut. Die einst begehrte D-Mark selbst wurde im Jahr 2002 ihrerseits abgelöst: durch den Euro, der nun die gemeinsame Währung in Ost und West darstellt.
Im DDR-Museum in Berlin werden seit diesem Monat originale Geldscheine aus dem Bestand der KfW gezeigt. Die Ausstellung »Endlich Westgeld!« läuft noch bis März 2026.
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