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Spielen auf krebserregenden Trümmern
Besonders Kinder und Schwangere im Gazanstreifen sind durch die Langzeitfolgen der monatelangen Bombardements der israelischen Armee bedroht
Der Gaza-Krieg verursacht langfristige Umweltschäden, die weitgehend unbeachtet bleiben. Experten im Gazastreifen selbst haben nicht die Mittel, systematische Untersuchungen durchzuführen. »Es ist nahezu unmöglich, in Gaza wissenschaftlich zu arbeiten. Israel erlaubt nicht, dass biologisches Material exportiert wird und es gibt keine Einrichtungen im Land, die Analysen durchführen könnten, weil Israel den Import der notwendigen Geräte verbietet«, sagt Hosam Al-Nadschar von der Islamischen Universität in Gaza. Solides wissenschaftliches Vorgehen sei dadurch kaum möglich, vieles bleibe im Dunkeln: »Wir wissen schlicht nicht, was diese Bomben anrichten.«
Hosam Al-Nadschar arbeitet mit anderen Experten an dem Projekt »War and Geos«, das die Verbindungen zwischen Krieg und Umwelt untersucht. Projektleiter Mark Griffiths berichtete während einer Veranstaltung an der Technischen Universität Dortmund über die Lage vor Ort.
Kinder spielen auf verseuchter Erde
Hosam Al-Nadschar beschrieb, wie Kinder zwischen Trümmern auf verseuchter Erde spielen. Krebserregende Giftstoffe könnten sich so über Staub in ihren Lungen verbreiten, aber über die Nachwirkungen machten sich die Menschen in Gaza noch keine Gedanken. In erster Linie seien sie froh, den Bomben entkommen zu sein, so Hosam. Ob sie morgen noch leben werden, wissen sie nicht. »Ich esse das, von dem ich genau weiß, dass es mich krank macht. Sonst gibt es nichts«, erzählte er Mark Griffiths am Telefon.
Während des Gaza-Konflikts 2014 wurden giftige Metalle im Gewebe von Kriegsverletzten gefunden – ohne eine Spur von Metallsplittern, wie eine medizinische Untersuchung ergab, die im Fachjournal BMC International Health and Human Rights veröffentlicht wurde.
Toxische Schwermetalle bedrohen die Gesundheit
Mark Griffiths zufolge können toxische Schwermetalle wie Kobalt und abgereichertes Uran schwerwiegende Folgen für Zivilisten in Kriegsgebieten haben. Was diese Metalle den Menschen in Form von Munition antun, wurde bereits in Falludscha im Irak klar, als die USA sie einsetzten. Griffiths und sein Team führten in Falludscha Tests an Probanden durch, die nach Kriegsende in ihre kontaminierten Häuser zurückkehrten. »In Falludscha kann man Gazas Zukunft sehen«, warnte Mark Griffiths.
Abgereichertes Uran wurde in den Knochen von 29 Prozent der Testpersonen gefunden, Blei bei allen. Noch heute kommt in Falludscha die Hälfte aller Neugeborenen mit Fehlbildungen zur Welt. Dieselben mit Kobalt-Munition beladenen F16-Kampfjets und Bomben, die von den USA im Irak eingesetzt wurden, würden von Israel in Gaza benutzt, sagte Mark Griffiths.
Schwangere und Neugeborene besonders gefährdet
Wenn Bomben einschlagen, verteilen sie toxische Rückstände über die Luft und den Staub, womit sie das Leben aller Bewohner Gazas gefährden. Die Folgen bei Kontakt mit diesen Metallen sind Krebs, Nierenschäden, Atemwegserkrankungen, Unfruchtbarkeit und eine Schwächung des Immunsystems, was Betroffene allgemein anfällig für Krankheiten macht.
Schwangere und Neugeborene sind ganz besonders gefährdet, wenn sie schädlichen Substanzen ausgesetzt sind. Wie auch in Falludscha kann es zu Fehlgeburten, Totgeburten sowie Fehlbildungen im Mutterleib kommen. Für die gesunde Entwicklung eines ungeborenen Kindes ist das B-Vitamin Folat notwendig. Eben jene Substanzen, die die Verstoffwechselung dieses Vitamins stören, können sich in der Luft und im Boden verbreiten.
Weißer Phosphor macht Böden unfruchtbar
Auch weißer Phosphor, der laut Griffiths von Israel in Gaza eingesetzt wurde, kann langfristige Folgen mit sich bringen. Die Rückstände belasten die Luft und führen zu Atemwegserkrankungen und saurem Regen. Gerade in Gaza, wo sauberes Trinkwasser kaum zugänglich ist, hat dies akute Auswirkungen. Gelangt der Phosphor in den Boden, macht er die Erde unfruchtbar. Der Anbau von Nahrungsmitteln ist dann nicht mehr möglich.
Schon zu Beginn des Krieges sprach der israelische Armee-General Bar Sheshet darüber, wie Gazas Erde sein wird. »Wer auch immer hierher zurückkehrt, falls überhaupt jemand zurückkehrt, wird verbrannte Erde vorfinden. Keine Häuser, keine Landwirtschaft, nichts. Sie haben keine Zukunft.«
Gefahren beim Wiederaufbau
Wenn Vertriebene zu ihren zerstörten Häusern zurückkehren und mit dem Wiederaufbau beginnen, besteht die Gefahr der Kontamination. Von Gesundheitsstellen wird empfohlen, Schals und Masken zu tragen, damit giftige Partikel nicht in die Atemwege gelangen. Trümmer zu vergraben, anstatt zu verbrennen, soll auch verhindern, dass Schadstoffe sich in der Luft ausbreiten. Schwangeren wird empfohlen, nicht beim Reinigen zu helfen, da sie mit Staub in Berührung kommen könnten.
Der beste Weg, um Krankheiten zu vermeiden, sei aber, dass man gar nicht erst bombardiert, so Mark Griffiths. Laut US-Angaben wurden seit Kriegsbeginn bis Juni 2024 mehr als 45 000 Bomben in Gaza abgeworfen – mehr als die Anzahl aller Bomben, die im Zweiten Weltkrieg auf Hamburg, Dresden und London abgeworfen wurden.
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