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Krieg und Wasser
Die Atommächte Indien und Pakistan standen kurz vor einem großen Krieg. Interview mit dem pakistanischen Gewerkschafter Nasir Mansoor
Nach einem Massaker kaschmirischer Rebellen, bei dem Ende April 26 indische Touristen in der Kleinstadt Pahalgam getötet wurden, griff Indien Pakistan militärisch an. Einige Tage lief alles auf einen Krieg zwischen den beiden Atommächten hinaus. Am vergangenen Wochenende wurde dann ein Waffenstillstand ausgehandelt, der zu halten scheint.
Wir hatten wirklich Angst vor einem großen Krieg. Die Medien in beiden Ländern haben Öl ins Feuer gegossen, die Rechte sich gegenseitig hochgeschaukelt. Leider sind auch Linke auf diesen Kurs eingeschwenkt. Die Kommunistische Partei Indiens, die wichtigste linke Partei in der Region, hat sich hinter die hindu-nationalistische BJP-Regierung gestellt. Ähnlich war es auch bei uns in Pakistan, obwohl die politische Linke hier deutlich schwächer ist. Es war eine Situation, die an Europa vor dem Ersten Weltkrieg erinnerte, als sich die Arbeiterparteien ja auch auf die Seite nationaler Bourgeoisien geschlagen hatten.
Nasir Mansoor ist stellvertretender Generalsekretär des pakistanischen Gewerkschaftsdachverbands National Trade Union Federation (NTUF). Er repräsentiert vor allem Textilarbeiter und war eine führende Stimme bei den internationalen Kampagnen gegen die Arbeitsbedingungen in den süd- und südostasiatischen Textilindustrien.
Wie groß ist die Gefahr, dass der Konflikt neu eskaliert?
Was schon mal gut ist: Die einfachen Leute wollen keinen Krieg, laut Umfragen 70 Prozent der Pakistanis. Der Waffenstillstand wurde hier auf den Straßen gefeiert. Außerdem denke ich, dass die indischen Vorwürfe, Pakistan stehe hinter dem Anschlag von Pahalgam, falsch sind. Dieses Massaker an 26 Unschuldigen ging auf das Konto religiös-fundamentalistischer Gruppen. Es stimmt, dass Pakistan die Opposition in Kaschmir früher unterstützt hat. Aber heute hat Pakistan selbst mit bewaffneten religiösen Gruppen zu schaffen. Es gibt die pakistanischen Ableger der Taliban, die Lage in Belutschistan ist unsicher ... Verantwortlich für das Massaker waren meiner Meinung nach fundamentalistische Gruppen, die im Westen Pakistans unter Druck stehen und deshalb die Aufmerksamkeit der pakistanischen Armee auf die Grenze zu Indien im Osten lenken wollten. Indiens rechte Regierung wiederum hat den Angriff genutzt, um gegen Moslems und Pakistan zu mobilisieren.
Der Kaschmir-Konflikt wird immer als Konflikt zwischen zwei Staaten interpretiert. Aber viel eher geht es doch um Kolonialismus.
Ja, es ist ein komplexer Konflikt, der eng mit der Unabhängigkeit von 1947 verknüpft ist. Unserer Ansicht nach gehört Kaschmir den Kaschmiri, die selbst über ihre Zukunft entscheiden sollten. Und tatsächlich gab es anfangs eine kaschmirische Befreiungsbewegung, in der alle Religionen der Region präsent waren – Muslime, Hindus und Buddhisten. Diese Bewegung kämpfte nicht nur für eine Unabhängigkeit von Indien, sondern auch von Pakistan. Aber die pakistanische Regierung hat die religiöse Komponente gezielt gestärkt und dafür gesorgt, dass aus dem Befreiungskampf ein Heiliger Krieg wurde. Alle demokratischen Strukturen in der Befreiungsbewegung wurden zerstört und durch – ich würde sagen – religiös-faschistoide Strukturen ersetzt. Das hat es der indischen Rechten erleichtert, den ganzen Konflikt als muslimischen Terrorismus gegen Hindus darzustellen. 2019 hat die indische Regierung dann den Sonderstatus, den Kaschmir laut Artikel 370 der indischen Verfassung genießt, suspendiert und das an der Grenze zu China gelegene Ladakh aus dem Bundesstaat Jammu und Kashmir herausgelöst. Kaschmir hat seine Autonomie damit verloren.
Wie ist die pakistanische Position dazu?
Pakistan fordert eine Volksabstimmung für Kaschmir. Aber man muss auch sagen, dass in der pakistanischen Bevölkerung kaum jemand bereit ist, für Kaschmir in den Krieg zu ziehen. Die einfachen Leute wollen, dass verhandelt wird, ohne dass Handel und Grenzübertritte beeinträchtigt werden. Pakistan und China haben trotz territorialer Streitigkeiten viele Milliarden Dollar in einen gemeinsamen Wirtschaftskorridor investiert. So etwas Ähnliches würden sich die meisten Pakistani wahrscheinlich auch mit Indien wünschen.
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Eine entscheidende Dimension des Konflikts ist der Zugang zu Wasser. Pakistan mit seinen 250 Millionen Einwohnern ist fast vollständig vom Wasser aus dem Himalaja abhängig. Viele Quellen liegen in Indien, und die Modi-Regierung hat die Wasserversorgung Pakistans unterbrochen. Wie muss man sich das vorstellen: Kann Indien sein Nachbarland verdursten lassen?
Das ist wirklich ein enormes Problem. Indische Regierungen und vor allem jetzt Modi stellen immer wieder das Indus-Wasserabkommen von 1960 infrage. Damals ging das Wasser der drei westlichen Flüsse Indus, Jhelam und Chenab an Pakistan, Indien bekam die Nutzungsrechte für die drei östlichen Flüsse Ravi, Beas und Satluj. Schon vor der Eskalation der letzten Wochen forderte die hindu-fundamentalistische Bewegung in Indien einen neuen Vertrag. Aufgrund des Klimawandels führen die Flüsse nämlich spürbar weniger Wasser als vor einem Jahrzehnt. 250 Millionen Pakistanis und ihre Lebensmittelversorgung hängen fast vollständig vom Wasser aus dem Himalaja ab.
In Indien leben mehr Muslime als in Pakistan, fast 200 Millionen Menschen, die vom Hindu-Fundamentalismus rassistisch angegriffen werden. Spielt das eine Rolle im Konflikt zwischen den beiden Staaten?
Etwa 15 Prozent der Inder sind muslimisch, und die halbfaschistische BJP mobilisiert gegen sie und andere Minderheiten. Allerdings ist die indische Verfassung ziemlich säkular und demokratisch. Deshalb gibt es Widerstände gegen diese Diskriminierung. Auch in Pakistan mobilisiert die Rechte gegen religiöse Minderheiten, übrigens auch gegen muslimische Minderheiten. Aber sie ist nicht in der Mehrheit. Die Demokratie in Pakistan mag viele Mängel haben, aber anders als in Indien haben wir bisher keine rechtsextreme Regierung gewählt.
Gibt es Versuche der Gewerkschaften, sich gegen die nationale und religiöse Stimmungmache zu positionieren?
Wir sind in der Gewerkschaftsinternationalen und haben natürlich auch Beziehungen zu indischen Gewerkschaften. Leider messen viele in unseren Gewerkschaften dieser Kooperation keine besonders große Bedeutung bei. Aber wir haben auf eine gemeinsame Erklärung gedrängt, die jede Form des religiösen Extremismus verurteilt, sich gegen die Gewaltanwendung der Staaten ausspricht und den Waffenstillstand begrüßt. Wir müssen begreifen, dass die Stärkung der politischen Rechten immer mit einer Beschneidung demokratischer Grundrechte für die arbeitende Klasse auf beiden Seiten der Grenze einhergeht.
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