- Wirtschaft und Umwelt
- Lateinamerika
Kolumbien: Wo Umweltschutz lebensgefährlich ist
Aktivistinnen werden systematisch bedroht – dahinter stecken oft wirtschaftliche Interessen
»Ich habe drei Attentate und mehrere Drohungen hinter mir«, sagte die kolumbianische Umweltaktivistin Yuly Velásquez bereits im Sommer 2024 gegenüber »nd« über ihre Erfahrungen. Sie steht unter dem Schutz der Nationalen Schutzeinheit. »Es ist gewöhnungsbedürftig, zwei fremde Männer dauerhaft wie einen Schatten hinter sich zu haben«, erzählt sie. »Dafür fühle ich mich etwas sicherer. Ich hatte zuvor ein schlimmes Erlebnis: Meinem ehemaligen Beschützer wurde ins Gesicht geschossen.« Das Ereignis habe sie traumatisiert, unterstreicht Velásquez. Ihre Aussagen werfen ein Schlaglicht auf die Bedrohungslage in Kolumbien – einer der weltweit gefährlichsten Staaten für Menschen, die sich für den Schutz von Natur, Wasser und Land einsetzen.
Eine kürzlich veröffentlichte investigative Recherche des britischen Rundfunksenders BBC bestätigt viele der Warnungen, die Velásquez seit Jahren äußert. Die Untersuchung beleuchtet die Rolle des staatlich dominierten kolumbianischen Ölkonzerns Ecopetrol. Laut BBC ist das Unternehmen verantwortlich für massive Umweltverschmutzungen in artenreichen Feuchtgebieten und von Wasserquellen, die die Lebensgrundlage zahlreicher Gemeinschaften bedrohen. Besonders alarmierend sind die Verbindungen zwischen Ecopetrol, privaten Sicherheitsdiensten und bewaffneten Gruppen wie dem Clan del Golfo, einem der mächtigsten kriminellen Netzwerke Kolumbiens.
Die Recherche basiert auf Daten eines Whistleblowers und internen Dokumenten, die mehr als 800 Fälle von Ölverschmutzung im Zeitraum von 1989 bis 2018 aufzeigen. In vielen dieser Fälle hatte Ecopetrol die Behörden nicht informiert oder die Umweltschäden nicht gemeldet. Trotz der umfangreichen Beweislage zeigt die BBC auf, dass das Unternehmen oft ungestraft bleibt. Der Konzern bestreitet jedoch jegliche Verantwortung und behauptet, alle gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Systematische Bedrohung und Straflosigkeit
Velásquez selbst ist direkt von diesen Missständen betroffen. Sie berichtete, dass sie in ihrer Region zahlreiche Beschwerden gegen Ecopetrol wegen Verschmutzung eingereicht habe: »Die Beschwerden, die wir bei den Behörden eingereicht und in den sozialen Medien geäußert haben, waren auf die Verschmutzung zurückzuführen, für die wir Ecopetrol verantwortlich machen.« Gleichzeitig erlebt sie die Gewalt und Einschüchterung, denen Umweltaktivist*innen in Kolumbien regelmäßig ausgesetzt sind. So fand sie kürzlich eine Drohbotschaft an ihrer Hauswand: »Raus – Clan del Golfo«. Der kriminelle Clan ging aus paramilitärischen Strukturen hervor sowie aus anderen bewaffneten Gruppen wie Segunda Marquetalia, einer Farc-Splittergruppe. Teilweise sind sie in der Region im Auftrag von Unternehmensinteressen aktiv.
Die systematische Einschüchterung und Gewalt gegen Umweltaktivist*innen sind nicht einzigartig für Kolumbien, sondern weltweit ein wachsendes Problem. Der Global Witness-Bericht 2023 dokumentiert 196 Morde an Umwelt- und Landverteidiger*innen. Davon ereigneten sich 166 in Lateinamerika, wobei Kolumbien erneut trauriger Spitzenreiter ist. Allein im Jahr 2023 wurden dort 79 Aktivist*innen getötet – mehr als in jedem anderen Land. Diese Zahl unterstreicht die enormen Risiken, denen sich diejenigen aussetzen, die sich gegen mächtige Wirtschaftszweige stellen.
Die Täter bleiben vielfach straflos. So etwa im Fall von Dom Phillips, einem britischen Journalisten, und Bruno Pereira, einem führenden indigenen Aktivisten, die 2022 im Amazonasgebiet ermordet wurden, was weltweit Schlagzeilen machte. Der Prozess gegen die Verdächtigen wurde 2024 erneut verschoben, die Drahtzieher des Verbrechens sind nach wie vor auf freiem Fuß.
Wirtschaftliche Interessen gegen Umweltschutz
Die wirtschaftlichen Interessen hinter dieser Gewalt sind nicht zu übersehen. Die Produkte, um deren Schutz es in diesen Konflikten geht, landen in westlichen Supermärkten – ein Beispiel ist Açaí, das tropische Superfood, das immer populärer wird. Doch die Produktion des gesunden Nahrungsmittels geht zunehmend auf Kosten der Umwelt und der indigenen Gemeinschaften im Amazonasgebiet. Große Monokulturen werden angelegt; häufig handelt es sich dabei um Land, das durch Landraub oder illegale Abholzung gewonnen wurde. Der wachsende Açaí-Markt in Europa profitiert von Strukturen, die Umweltzerstörung, Landraub und Gewalt begünstigen.
In Kolumbien und vielen anderen Ländern sind die Opfer oft indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften sowie Kleinbäuer*innen, die Land und Wasser gegen großflächige Agrar- oder Energieprojekte verteidigen. Es sind nicht nur politische Aktivist*innen, die zum Ziel von Gewalt werden, sondern auch Journalist*innen.
Solange Unternehmen in den globalen Lieferketten keine Transparenzpflichten einhalten müssen und Staaten wie Kolumbien Umweltaktivist*innen nicht wirksam schützen, bleibt der Kampf für den Umweltschutz für viele lebensgefährlich. Dass mutige Stimmen wie die von Yuly Velásquez überhaupt noch zu vernehmen sind, ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.