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Mirze Edis: »Es bleibt ein Genozid«
Der Bundestagsabgeordnete Mirze Edis outet sich als Rufer des Wortes, für das Die Linke eine Rüge kassierte
Laut Plenarprotokoll hat jemand von der Linken bei der Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz vergangene Woche gerufen: »Es gibt keinen Krieg! Es gibt einen Genozid!«. Darauf gab es eine Rüge gegen Unbekannt von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), nach deren Darstellung das eine Relativierung des Holocaust ist. Nun outen Sie sich als Zwischenrufer. Worauf haben Sie sich da bezogen?
Mein Zwischenruf kam in dem Augenblick, als Merz über den Krieg Israels gegen Hamas gesprochen hat. Ich habe schon gesehen, dass Frau Klöckner sehr böse zu uns geguckt hat. Ganz ehrlich: Ich war mir in dem Augenblick nicht ganz sicher, ob das richtig war. Und der Merz, glaube ich, war auch erst mal ein bisschen schockiert. Es wird in Gaza nicht einfach Krieg geführt; es ist eine Vertreibung. Menschen werden bewusst ausgehungert. Sie bekommen keine Medikamente, keine Versorgung, kein Wasser. Wir sehen die Bilder von Kindern, die bis auf die Knochen abgemagert sind. Ich denke dann an den Zweiten Weltkrieg, bekomme Gänsehaut, Tränen. Wir können als Menschen nicht mehr zusehen und schweigen zu dem, was dort passiert. Unsere Kinder oder Enkelkinder werden uns dann irgendwann verurteilen – so wie wir die Menschen verurteilen, die ruhig geblieben sind in den letzten Jahrhunderten, als andere Genozide auf dieser Erde passierten. Es wird deshalb doch wohl erlaubt sein, das Kind beim Namen zu nennen. Es bleibt ein Genozid. Wir können das nicht schönreden. Im Übrigen hat auch der Internationale Strafgerichtshof den Begriff verwendet. Und die Vereinten Nationen kritisierten erst vor Kurzem Israels Vorgehen als »ethnische Säuberungen«.
Klöckner begründete ihre Rüge mit der Zeitzeugin Margot Friedländer, die wenige Tage vorher gestorben war und für die im Plenum ein Gedenken angesetzt war. Soll das Wort Genozid also nur für den Holocaust benutzt werden?
Das ist total absurd. Natürlich hat uns das auch sehr traurig gemacht, dass Frau Friedländer an diesem Tag verschied. Sie sollte eigentlich am 8. Mai bei der Gedenkveranstaltung im Bundestag in ihrem Rollstuhl neben unserer Fraktion sitzen. Das hatten wir so besprochen, und es wäre auch für uns eine Ehre gewesen.
Was hat die Rüge für Konsequenzen?
Bisher weiß der Bundestag ja nicht, wer das war. Nun sage ich offiziell: Wer damit ein Problem hat, möge das bitte mit mir ausmachen und nicht eine kollektive Bestrafung der Partei vornehmen. Mal sehen, was da auf mich zukommt.
Mirze Edis ist ein Stahlarbeiter, Betriebsrat der Hüttenwerke Krupp Mannesmann in Duisburg und Politiker der Partei Die Linke. Bei der Wahl im Februar wurde er in den Bundestag gewählt.
Wie hat denn Ihre Fraktion anschließend darauf reagiert?
Das war kein Thema in der Fraktion. Einige Abgeordnete haben mich angesprochen und fanden den Zwischenruf gut. Auch zwei von der SPD haben sich bei mir bedankt. Es gab allerdings auch einige bei uns, die das nicht gut fanden.
Auch Linke-Chefin Ines Schwerdtner erhielt in der ersten Plenarwoche einen Tadel von Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz (CSU), als sie die AfD als »Faschisten« bezeichnete. Heidi Reichinnek rief in deren Richtung »Rechtsextreme« und wurde ebenfalls gerügt. Was ist da los?
Ich habe den Eindruck, dass im neuen Bundestag mehr Verständnis für die AfD gezeigt wird. Die konservative Bundestagspräsidentin zwinkert aus meiner Sicht mit dem rechten Auge. Eigentlich ist genau das eine Relativierung, und wir dürfen das nicht zulassen. Sie sind Faschisten und bleiben es auch. Und das darf man glaube ich auch in diesem Haus sagen.
Wie sollten sich Linkspartei und -fraktion zum Gaza-Krieg verhalten?
Ich kann alle Seiten verstehen. Wir sollten aber schauen, dass jetzt bestimmte Medien sich nicht nur auf dieses Thema bei uns konzentrieren. Ich sage ganz ehrlich: Ich hätte kein Problem damit, mit einer Israel-Fahne in den Bundestag zu gehen, um zu zeigen: Ich bin für eine Doppelstaatenlösung, für das Existenzrecht Israels. Das schließt ja nicht aus, dass wir sagen können, die Regierung von Benjamin Netanjahu betreibt hier einen Genozid.
Das ist interessant, weil Sie ja genau dafür von einem Blog aus NRW angegriffen wurden, der Ihnen unterstellt hat, das Existenzrecht Israels anzuzweifeln.
Wegen dieses Beitrags bei »Ruhrbarone« hat der Oberbürgermeister von Duisburg, mit dem ich im Rat zusammensitze und wo wir gemeinsame Freunde haben, mich sogar als angeblich antisemitisch bei der Polizei angezeigt. Die Staatsanwaltschaft hat das fallengelassen.
Es gab vergangene Woche im Bundestag einen weiteren Zwischenruf, als Merz sagte, er habe »heute« erfahren, dass eine akute Hungersnot in Gaza drohen könnte. War der auch von Ihnen?
Ja. Zum ersten Mal habe ich da von Merz auch gehört, dass er sich bemühen möchte, dass Hilfsgüter nach Gaza reinkommen. Dass er das überhaupt erwähnt, ist eigentlich uns zu verdanken, die wir in der Frage Druck machen. Jetzt müssen die Waffenlieferungen aufhören. Frankreich, Spanien und Irland nennen das Kind ja auch beim Namen. Wir müssen deshalb öffentlichen Druck erzeugen, sodass die Bundesregierung auch mal Klartext mit Israel redet.
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Die Linke hat mit dem Beschluss auf dem letzten Parteitag für die Jerusalem-Erklärung einen solchen Klartext gesprochen. Wie wurde das in der Fraktion diskutiert?
Wir können uns darüber unterhalten, ob das der richtige Zeitpunkt war, aber inhaltlich teile ich das hundertprozentig. Am Wochenende haben wir über zwei Stunden per Zoom über diesen Antrag gesprochen. Alle konnten sagen, was sie denken. Diese Ruhe in der Partei ist wichtig, denn alle haben sehr stark unter Streitereien gelitten. Solche positiven Signale bekomme ich auch von den Mitarbeitern in der Partei oder der Fraktion.
Aus Ihrem Landesverband sind viele prominente Mitglieder zum Bündnis Sahra Wagenknecht abgewandert. Dort inszenieren sie sich jetzt als einzige Stimme gegen den Gaza-Krieg…
Ich habe mir eigentlich vorgenommen, über die nicht zu reden. Und am Ende ist es gut für uns, dass sie gegangen sind. Wir können endlich harmonisch diskutieren – das sagen auch die älteren Bundestagsabgeordneten, die die letzten Jahre unerträglich fanden.
Sie kommen aus einem Arbeitermilieu in Duisburg, waren Betriebsrat bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM). Wie wird da über den Gaza-Krieg gesprochen?
Ich arbeite weiterhin vier Tage im Monat als Betriebsrat, gerade komme ich auch von dort. In der Stahlindustrie bei HKM sind sehr viele Menschen, die interkulturell großgeworden sind – Duisburg ist eine Multikulti-Stadt. Viele sind stolz darauf, dass ich das mit dem Genozid gesagt habe. Über soziale Medien verbreitet sich das gerade.
Wie wird bei den Arbeitern bei HKM über die Gaza-Krieg-Debatte der Linken gesprochen?
Viele finden gut, dass es angesprochen wird und wünschen sich, dass frei darüber diskutiert wird. Meiner Meinung nach müsste auch die jüdische Gemeinde Deutschland sich dazu anders positionieren. Zigtausende Juden sagen, der Gaza-Krieg ist verkehrt. Für diese Leute spricht der Zentralrat nicht.
Wir sind käuflich.
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