Berlin: »Der Neubau des Jahnstadions ist ein Problem«

Der Bürgerverein Gleimviertel über die Folgen der Baupolitik im Prenzlauer Berg

  • Interview: Ralf Fischer
  • Lesedauer: 6 Min.
Blick über Prenzlauer Berg, im Hintergrund der Jahnsportpark: »Die bauliche Aufwertung wird vom sozialen Austausch begleitet.«
Blick über Prenzlauer Berg, im Hintergrund der Jahnsportpark: »Die bauliche Aufwertung wird vom sozialen Austausch begleitet.«

Herr Nelken, Sie sind Vorstand des Bürgervereins Gleimviertel im Prenzlauer Berg. Ihr halber Kiez wird derzeit durch zwei große Bauvorhaben versperrt: Einerseits wird der Falkplatz saniert und andererseits das Stadion im Jahnsportpark abgerissen. Wie wirkt sich dies auf die Lebensqualität im Kiez aus?

Die Sperrung des Falkplatzes ist ein Problem, das aber dadurch gemildert wird, dass Teile des Mauerparks endlich fertiggestellt beziehungsweise saniert und zur Nutzung freigegeben wurden. Kritik gibt es aber an der größeren Versiegelung des Platzes. Dies ist in Zeiten des Klimawandels anachronistisch.

Abriss und Neubau des Jahnstadions stellen dagegen ein erhebliches Problem für den Kiez dar. Das Vorhaben ist materiell viel zu aufwendig dimensioniert und finanziell zu kostspielig. Zudem ist die Planung unökologisch und von geringem Nutzen für den lokalen Vereins- und Schulsport sowie den unorganisierten Freizeitsport der Anwohner. Die Umsetzung des Vorhabens führt zur Vernichtung wertvoller Grünbereiche und einer Verdrängung von Vögeln und anderen Tieren.

Bei dem Abriss des Stadions wurde just Asbest entdeckt. Sind die eingeleiteten Maßnahmen ausreichend, um Sporttreibende im Park sowie Anwohner zu schützen?

Nein. Das Vorgehen des Bausenats ist ein weiteres Glied in der Kette von Versagen und politischer Unfähigkeit. Dass das Stadiongebäude asbestbelastet war, war bekannt. Für fast eine Million Euro wurde vor dem Abriss eine Asbestsanierung durchgeführt, offenbar aber unzureichend. Nunmehr wurden nach dem Asbestfund im Abrissmaterial hektisch »Schutzmaßnahmen« ergriffen. Dies geschah anscheinend wieder oberflächlich und unzureichend, sodass in den vergangenen Tagen die Abdeckungen des Bauschutts mehrfach nachgebessert werden mussten, um eine weitere Ausbreitung des asbesthaltigen Staubes im Sportparkgelände und in den anliegenden Wohnkiezen zu verhindern. Dem waren Wochen des vollkommen ungeschützten Abrisses vorausgegangen, bei dem es immer wieder zu heftigen Staubemissionen kam, während sich Anwohner in unmittelbarer Nähe aufhielten. Auch die Nutzer der umliegenden Sportflächen waren davon betroffen. Inwiefern es durch diese Sorglosigkeit zu Ablagerungen von asbesthaltigem Staub in der näheren Umgebung gekommen ist, wird vom Senat nicht mitgeteilt. Viele Anwohner sind in großer Sorge über die möglichen Folgen für ihre Gesundheit und die Pflanzen und Tierwelt im Kiez.

Auf den Karten des Berliner Umweltatlas wird der Jahnsportpark als Hitzeinsel ausgewiesen. Die Versiegelung von Grünflächen – derzeit beispielsweise am Falkplatz – schreitet immer weiter voran. Wie reagieren Sie als Bürgerinitiative auf diese Entwicklung?

Der Jahnsportpark hat aufgrund seiner schon jetzt großen Versiegelung in sehr warmen Sommertagen nur eine begrenzte Entlastungswirkung für die umliegenden Wohnblöcke. Aber bei Umsetzung der aktuellen Planungen würde diese völlig entfallen und der Jahnsportpark zur Aufheizung des Quartiers beitragen, statt es zu kühlen. Wir fordern deshalb eine Reduzierung der geplanten Baumassen, inklusive des Erhalts der südlichen Wallanlagen und deren vollständiger Bepflanzung, den Erhalt der Sportwiese in ihrer heutigen Ausdehnung und die Reduzierung der versiegelten Verkehrsflächen gegenüber dem Ist und der Planung. Auch beim Falkplatz sollte durch eine Umplanung der Umfang der Versiegelung reduziert werden, für die erforderlichen Verkehrsflächen sollten so weit wie möglich wasserdurchlässige Materialien verwendet werden.

Interview

Michail Nelken ist zweiter Vorsitzender der Bürgerinitiative Gleimviertel, die 2001 aus der Bürgerinitiative Falkplatz entstand.

Wie könnte ein Verkehrskonzept bei Großveranstaltungen im Jahnsportpark aussehen, das die Interessen der Anwohner inkludiert?

Dass die Besucher der großen Sport- und Kulturevents zu Fuß kommen, ist sehr zu begrüßen. Im Allgemeinen sind die Fußwege im Kiez auch breit genug, um Fußgänger und Außengastronomie konfliktarm aufzunehmen, wenn keine anderen Hindernisse wie abgestellte E-Roller oder auch Fahrräder die Fußwege zustellen. Die Reduzierung der Parkflächen auf den Straßen zugunsten von Fahrradabstellmöglichkeiten wäre ein erster Schritt, dies muss aber mit einem exklusiven Parken für Anwohner und Gewerbeverkehr verbunden werden. Für Veranstaltungsbesucher mit Ausnahme mobilitätseingeschränkter Personen dürften keine Parkmöglichkeiten vorgehalten werden. Durch die Errichtung eines bundesligatauglichen Großstadions für 20 000 Zuschauer würden sich die
Verkehrsbelastungen vervielfachen, ist ein Verkehrschaos vorprogrammiert. Solche Zuschauerströme gab es im Jahnstadion trotz einer ähnlichen Sitzplatzzahl in den vergangenen Jahrzehnten nicht mehr. Diese völlige Missachtung der Folgeprobleme des teuren Stadionneubaus ist typisch für die kurzsichtige Baupolitik des aktuellen Berliner Senats.

Ende dieses Jahres soll die Sanierung der Schönhauser-Allee-Brücke beginnen, über einen Zeitraum von fünf Jahren soll der Schwerlastverkehr durch Umgehungsstraßen geleitet werden. Was bedeutet diese immense Baubelastung für die Anwohner?

Hinzu kommt auch noch der Neubau der Schönfließer Brücke über die Ringbahn. Wir fordern, dass keinerlei Bau- oder Schwerlastverkehr durch das Gleimviertel geleitet wird. Der Baustellenverkehr für den Stadionneubau, für den wir eine reduzierte Neuplanung fordern, muss ausschließlich über den Südeingang an der Eberswalder Straße erfolgen. Das erfordert auch die Absicht, Sportbetrieb im Jahnsportpark während der Bauzeit des Stadions fortzuführen. Der Nordzugang über die Max-Schmeling-Halle und der Ostzugang von der Cantianstraße müssen deshalb für große Baufahrzeuge tabu sein. Das wird eine Herausforderung für die Baulogistik. Die bekanntgewordene Planung der Kfz-Verkehre im Gleimviertel während der Erneuerung der Schönhauser-Allee-Brücke liquidiert einerseits den belastenden Durchgangsverkehr, macht andererseits aber das Viertel auch für Anwohner und Besucher mit dem Kfz schwer erreichbar.

Welche Erfolge erzielte die Bürgerinitiative während der Sanierung des Gleimviertels in den vergangenen 25 Jahren?

Für die Schaffung des Mauerparks auf den Flächen des vormaligen Bahngeländes der Nordbahn haben die Anwohner aus dem Gleimviertel zusammen mit Leuten aus den angrenzenden Nachbarvierteln 30 Jahre lang gegen die Bebauungsvorhaben des Berliner Senats kämpfen müssen. Zu den wichtigsten Themen, bei denen in den vergangenen drei Jahrzehnten teilweise auch Erfolge erzielt wurden, gehören außerdem verbesserte Infrastruktur wie zum Beispiel die Spielplätze, der »Moritzhof«, der Kletterfelsen und die Gestaltung des Schulgeländes. Auch in Verkehrsfragen war der Bürgerverein aktiv und konnte die Parkraumbewirtschaftung und einige Maßnahmen der Verkehrsberuhigung durchsetzen.

Welche Folgen zogen Sanierungen in den vergangenen 30 Jahren für die Bewohner nach sich?

Die bauliche Entwicklung des Wohngebiets ist hinsichtlich der Bausubstanz, der Modernisierung der Ausstattung und der Fassaden auf den ersten Blick erfolgreich und umfassend. Allerdings war dies mit einem sozialen »Totalschaden« verbunden. Die bauliche Aufwertung wird von einem sozialen Austausch der Gebietsbevölkerung begleitet. Von der ursprünglich angestammten Wohnbevölkerung haben nur sehr wenige (unter fünf Prozent) standgehalten. Die neue Bevölkerung ist wesentlich jünger, hat höhere Einkommen und Bildungsabschlüsse und ist hinsichtlich ihrer Herkunftsorte auffällig international.

Welchen Einfluss hatte die Baupolitik auf die Gentrifizierung?

Die Städtebaupolitik des Senats hat diesen Prozess beschleunigt, weil sie auf »Aufwertung« und die Mobilisierung privaten Kapitals für die Modernisierung gerichtet war. Die Sanierungsförderung aus Städtebaumitteln war nicht nachhaltig, alle Belegungs- und Mietpreisbindungen für geförderte Wohnungen sind inzwischen ausgelaufen, die Wohnungen weitgehend in Eigentumswohnungen umgewandelt und die Mieten für Durchschnittsverdiener nicht bezahlbar. Das vom Senat installierte Quartiersmanagement investierte Städtebaufördermittel in die Aufwertung des Wohnumfeldes. An sich eine gute Sache, aber damit wurden zugleich die Verwertungsbedingungen für die Wohnhäuser verbessert und somit wurde die soziale Verdrängung noch befördert.

Konnte der Milieuschutz für das Gleimviertel diesen Prozess beeinflussen?

Nein, die Milieuschutzsatzung für das Gleimviertel konnte nichts ändern. Sie kam 1997 zu spät und war ohne konsequentes Umwandlungsverbot und ohne Mietobergrenzen weitgehend unwirksam. Die Mietsprünge durch die Umlagen aus genehmigungspflichtigen Modernisierungsmaßnahmen waren für viele Bestandsmieter nicht leistbar. Diese waren gezwungen, ihren Kiez zu verlassen.

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