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Schöne Aussicht für Knödelfans
Der Südtiroler Knödelkönig Paul Grüner kämpft seit Jahrzehnten für seine Lieblingsspeise
Hier oben, 2845 Meter über dem Meer geht es nur noch um zwei Dinge. Zwei Südtiroler Berühmtheiten, die man auch in New York oder Sidney kennt: Ötzi und Knödel. Ambitionierte Bergsteiger kommen auf die »Schöne Aussicht«, eine Schutzhütte hoch droben im Schnalstal, um sich von dort immer weiter in die Ötztaler Alpen vorzukämpfen. Sie queren Gletscher, streifen 3000er und quälen sich, um irgendwann die Ötzi-Fundstelle zu erreichen. Die anderen sind da, um das legendäre Knödel-Menü zu genießen. Fünf Gänge aus Brot, Ei, Milch und raffinierten Zutaten, die schmecken sollen wie der Himmel auf Erden. Und dem Himmel sind wir ja schon ein Stück näher.
Das findet auch Paul Grüner, dem die »Schöne Aussicht« gehört. »Ich mag den Spirit hier oben.« Die Gäste seien viel entspannter als im Tal, die Erwartungshaltung geringer. »Die kleinen Dinge des Alltags sind in der Hütte entrückt. Man kann sich mehr auf das Wesentliche konzentrieren.« Grüner muss es wissen, schließlich betreibt er in Karthaus, am Eingang des Schnalstals, ein nobles Hotel. Dort trifft man auch Filmstars und Schwerreiche. Den ein oder anderen bringt Grüner auch mal dazu, die »Schöne Aussicht« zu besuchen. Und siehe da: Selbst die vermeintlich Komplizierten werden lockerer.
Seit 40 Jahren pendelt Grüner zwischen Hotel und Hütte. Sommer wie Winter. Auf die Frage, wo es ihm besser gefällt, antwortet er nicht mit Worten. Er klopft auf das alte Holz in der Hüttenstube und lächelt. Grüner ist Koch, Wirt, Gastronom, Hotelier, vor allem aber ist er der Knödel-König. Kein anderer hat in den vergangenen Jahrzehnten so für das Image des einstigen Arme-Leute-Essens gekämpft.
In den 80er Jahren waren Knödel noch hip, gingen weg wie warme Semmeln. Dann kam ein erstes Knödeltief und Grüner mit seiner Vision ums Eck: »Mein Plan war es, ein cooles, trendiges Lifestyle-Essen zu entwickeln.« Speck weg – dafür Scampi oder Trüffel als edle Zutaten. Grüner ernannte sich zum Knödelbotschafter, reiste mit einer frühen Version eines Foodtrucks von Messe zu Messe. Im Gepäck hatte er seine Knödelbox. Zu Hause im Schnalstal produzierte eine Gruppe Hausfrauen die runden Dinger für ihn, die eingefroren wurden. Am Bodensee eröffnete Grüner seinen ersten »Knödelpoint« mit Restaurant und Verkauf. Ein Franchise-System lag fertig entwickelt in der Schublade. Aber wieder kam ein Einbruch an der Knödelfront, und Grüner ließ die Pläne fallen.
Der 61-Jährige hat akzeptiert, dass es mit dem Knödel immer wieder auf und ab geht wie mit einer Fahrstuhl-Mannschaft im Fußball, die mal erste Liga spielt und dann wieder runtermuss ins zweite Glied. Niemand weiß, wie lange dieses Gesetz schon gilt. In einem Punkt sind sich die Wissenschaftler aber ziemlich sicher: Knödel hat man im heutigen Südtirol schon vor rund 900 Jahren gegessen.
Um sich den Beweis näher anzusehen, muss man von der »Schönen Aussicht« absteigen nach Kurzras. Rein ins Auto, raus aus dem Schnalstal und ab Richtung Süden. Es geht auf die Burg Hocheppan, ein beliebtes Ausflugsziel nahe Bozen. Der Aufstieg ist kurz, aber steil. Oben gibt es natürlich ein Restaurant, natürlich Knödel, wenngleich nur die Klassiker mit Käse oder Speck.
Aber wir sind ja nicht zum Essen gekommen, sondern um die Kapelle zu sehen. 1131 erbaut im romanischen Stil, um die Rundbogenfenster ranken sich Passionsblumen. Drinnen findet man byzantinische Fresken. Es geht vor allem um Leid und Leben von Jesus, einmal wird er wie ein König dargestellt. Er liegt und lässt sich Essen reichen. Direkt unter ihm befindet sich eine Frau, eine Vorkosterin. Das, was sie da probiert, ist ziemlich rund. Knödel eben.
Kritiker wenden ein, dass damals sicher auch rundes Brot existierte. Wer die Vorkosterin anzweifelt, muss sich mit einer Legende zufriedengeben, die im 15. Jahrhundert spielt: Soldaten stürmten einen Bauernhof in Südtirol und verlangten nach Essen. Vorrätig waren nur hartes Brot, Eier, Zwiebeln, Speck, Milch und Mehl. Die Hausfrau machte einen Teig, formte Kugeln und warf sie ins heiße Wasser.
Knödel lassen sich nicht so einfach nebenbei machen. Das merkt man bereits nachmittags auf der Hütte. In der Küche sind alle Mitarbeiter über Stunden damit beschäftigt, das Menü für den Abend vorzubereiten. »Der Knödel ist einfach und doch schwierig. Er darf nicht zu fluffig, aber auch nicht zu hart werden«, sagt Grüner.
Immerhin spielt seine Lieblingsspeise aktuell wieder in der höchsten Liga. »Der Zeitgeist führt uns zurück zu den Wurzeln, zu regionalen Produkten, zu Null-Kilometer-Menüs. Das macht den Knödel wieder voll salonfähig.« Grüner, ein großer, kräftiger Mann, muss den Kopf einziehen, als er durch den Türrahmen in die Stube tritt. Er wartet nicht lange, bis Ruhe einkehrt, sondern legt sofort los, erzählt seine persönliche Knödelstory und erklärt das Menü. Er endet mit den Worten: »Knödel sind das Essen von uns Menschen in den Bergen. Und jetzt seid ihr dran.«
Der erste Knödel kommt mit einem kräftigen Herz aus Käse, Nummer zwei ist ein zartes Trüffel-Exemplar. Im Suppengang schwimmen zwei kleine, zurückhaltende Kräuterknödel. Beim Hauptgericht wird der eigentliche Hauptdarsteller, das Rindfleisch, zur Nebenrolle. Man genießt einen Topfen-Lauch-Knödel, der sich das Prädikat »Leicht und locker« verdient. Zum Finale tischt Grüner, der stets mit anpackt, wenn es hoch hergeht, einen Schokoknödel auf. Das Einzige, was man danach noch sagen kann, ist: »Schnaps.« Knödel machen garantiert satt, auch wenn man zuvor zur »Schönen Aussicht« hochgestiegen ist.
- Anreise: Mit der Bahn bis Naturns. Von dort per Bus ins Schnalstal. Am Endhaltepunkt Kurzras steigt man in den Sessellift Roter Kofel, danach eine Stunde Aufstieg zur Hütte. Alternativ mit der Gletscherbahn auf 3212 Meter, dann Abstieg und kurzer Gegenanstieg zur »Schönen Aussicht«.
- Unterkunft: Die Hütte ist vergleichsweise komfortabel mit warmen Duschen, Saunahütten und Outdoor-Pool. Die Sommersaison geht bis einschließlich Oktober.
www.schoeneaussicht.it
Als Basisstation im Schnalstal bietet sich das Hotel »Zur Goldenen Rose« an. Jeden Tag steht ein anderer Knödel auf der Karte. www.goldenerose.it - Burg Hocheppan: Die Burg ist nur zu Fuß erreichbar und vor allem am Wochenende ein beliebtes Ausflugsziel. Wer dort essen möchte, sollte vorab einen Platz reservieren. Ab Parkplatz Hocheppan rund 45 Minuten.
www.hocheppan.it
20 Minuten von der Hütte entfernt liegt ein Gletschersee. In jungen Jahren hat Grüner dort Tretboote vermietet und eine Segelschule installiert. »Mit dem Wind hat es aber nie gepasst.« Es bleibt unbeantwortet, ob es eine ernste Geschäftsidee war oder Grüner sich vielmehr seinen eigenen Traum erfüllte. Schließlich kann er sich am besten erholen, wenn ihm der Segelwind um die Nase weht. In den Ferien chartert er gerne ein Boot in Kroatien oder anderswo am Mittelmeer. »Sonst sehe ich das ganze Jahr ja nur Steine und Gletscher.«
Grüner hat sogar daraus etwas gemacht. Eine Kosmetiklinie nämlich. Schon als junger Mann beobachtete er, wie die Gletscher die Felsen abschleifen. Zurück bleibt feiner Abrieb. »Ich dachte mir, da machen wir ein Peeling draus.« Diese Idee ließ sich nicht umsetzen. Heute nutzt ein Kosmetikhersteller im Auftrag von Grüner die Mineralien des Steinstaubs, um damit Hand-, Tages- oder Sonnencreme zu produzieren. »Schauen Sie mich an. Es hält jung«, witzelt Grüner. Vielleicht liegt es aber auch an der klaren Luft auf 2845 Metern und den Knödeln. »Die kann ich eigentlich jeden Tag essen.«
Die Recherche wurde unterstützt von IDM Südtirol.
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