Im Regen stehen und laufen

nd-Redakteur Jirka Grahl stellt sich beim Marathon-Training seiner Angst-Disziplin

Das große Warten auf das Runners High
Das große Warten auf das Runners High

Am Sonntagabend war’s so weit. Meine Stunde der Wahrheit. Über Wochen hatte ich sie hinausgezögert, aber mein Triathlonprojekt, der Start auf der Olympischen Distanz im September, umfasst nun mal drei Sportarten. Und dazu gehört auch meine Angstdisziplin: Laufen. Ich hasse Joggen, es strengt mich wahnsinnig an, selbst im Schneckentempo komme ich ins Keuchen.

Aber es musste sein. Draußen nieselte es, kurz überlegte ich, das erste Lauftraining ein weiteres Mal zu verschieben. Doch die Luft roch so schön nach Holunder, es war windstill und mild. Wann, wenn nicht jetzt? Also los. Fröhlich schmatzten die Joggingschuhe in den Pfützen, als ich mich in Bewegung setzte. Eine erste Runde durch meine Rosenthaler Kleingartenkolonie. Wie schnell würde ich sein?

Eine Orientierung hatte mir ChatGPT gegeben, bei dem ich mich zuvor nach einer schlauen Trainingssteuerung erkundigt hatte. Die KI setzte einen Schnitt von 6:00 Minuten pro Kilometer für mich an. Auf den Fehmarn-Triathlon umgerechnet bedeutet das, die zehn Kilometer in einer Stunde zu rennen. Oha! Kein Spitzentempo für trainierte Läufer, aber für mich? Nun ja: mutig!

Probetraining
Jirka Grahl
Foto: nd

nd-Redakteur Jirka Grahl probiert Neues, zum Auftakt Triathlon. 1500 m Schwimmen, 43 km Rad, 10 km Lauf. Am 14.9. ist Wettkampfpremiere: beim Fehmarn-Triathlon.

Womöglich hatte ich der KI meine Fähigkeiten etwas übertrieben geschildert? Ich fing an zu laufen, und versuchte, gleich auf den ersten Metern mal umzusetzen, was ich in den Youtube-Tutorials »gelernt« hatte – Schultern stabil, besser viele Schritte als zu wenig, mit der ganzen Sohle aufsetzen und die Arme stets im Läufer-Dreieck halten: also unter 90 Grad angewinkelt und eng am Körper geführt. Dann geht das Laufen fast wie von selbst.

Ich lief an einer Hauptstraße entlang, auf dem nassen Bürgersteig fühlte sich alles richtig an. Die ersten Schritte waren kinderleicht, die Atmung aber schon intensiv. Vorbeifahrende Autos ließen die Wasserlachen zu Fontänen aufstieben, doch ich tänzelte einfach leichtfüßig nach rechts, ein Lächeln auf den Lippen. Nach dem ersten Kilometer standen 6:03 Minuten auf der Uhr. Na bitte!

300 Meter weiter aber kam der Hammer. Immer kürzer der Atem, dröhnend der Herzschlag in meinem Kopf. Mir ging die Puste aus. Ich musste ins Schritttempo übergehen. Irgendwann stand ich sogar mal kurz und hechelte. Ich dachte an meinen Anruf bei Daniel Unger, »High Performance Trainer« bei der Deutschen Triathlon Union. Ihn hatte ich im Vorfeld zu meinem Vorhaben befragt (das Interview finden Sie auf unserer Website). Unger war 2007 Weltmeister auf der Olympischen Distanz, bald trainiert er Australiens Triathleten. Ein Kenner.

Als wichtigsten Tipp für Anfänger hatte Unger mir die goldene Regel des Ausdauertrainings mit auf den Weg gegeben: »Häufigkeit geht vor Umfang geht vor Intensität.« Oder lang gefasst: Öfter zu trainieren ist wichtiger als umfangreich zu trainieren, hochintensives Training wird nur sparsam und gezielt eingesetzt. Und ich? Hatte gleich dagegen verstoßen.

Ich lief wieder los, changierte noch ein bisschen zwischen Gehen und Laufen, am Ende standen 3,96 km auf der Uhr, in 26:26 min. Meine Stunde der Wahrheit dauerte nicht mal eine halbe. Die Erkenntnis indes war eindeutig: Es wird anstrengend.

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