- Politik
- Krise der Demokratie
»Neue Generation« ruft Revolution aus
Die Nachfolge-Organisation der Letzten Generation will mit gelosten Bürgerräten die Demokratie retten
Ein gelungenes Comeback braucht einen großen Knall. Oder einen lauten Satz. »Es ist jetzt Zeit für eine friedliche demokratische Revolution«, sagt Emma Durow von der Neuen Generation, einer Nachfolge-Organisation der Klimaschutzgruppe Letzte Generation. »Wir haben keine Forderungen mehr an eine überforderte Demokratie.«
Geht es nach der Gruppe, soll das Fundament für die Neuordnung bereits am Wochenende in Berlin gelegt werden. Nach dem Vorbild eines zufällig gewählten Bürgerrats hat die Neue Generation 60 Personen ausgelost, die drei Tage lang in einem Kuppelzelt vor dem Reichstagsgebäude über die Zukunft der Demokratie sinnieren sollen. Ziel dieses »Parlaments der Menschen« sei es, Prinzipien für eine neue Generation der Demokratie zu erarbeiten, so Durow. »Mit demokratischer Revolution meinen wir, dass es neben dem Bundestag und neben dem Bundesrat einen gelosten Gesellschaftsrat mit echter Gestaltungsmacht gibt.«
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Denn in der Unfähigkeit, angemessen auf die multiplen Krisen unserer Zeit zu reagieren, sieht die Gruppe auch eine Krise der westlichen Staatsform. Eine Krise, die innerhalb des bestehenden Systems nicht mehr zu lösen sei. »Dieses System wird wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen«, prognostiziert Durow. »Und dann werden wir vor der Entscheidung stehen: Entweder wir haben eine friedliche demokratische Revolution (...) oder Faschismus.«
Unterstützung bei der Umsetzung des »Parlaments der Menschen« bekommt die Neue Generation von Jascha Rohr. Der Philosoph, Sozialunternehmer und Berater hat bereits bei dem von der Regierung beauftragten Bürgerrat zum Thema Ernährung mitgewirkt. Bezogen auf den Zustand der hiesigen Demokratie sagt Rohr: »Wir arbeiten eigentlich mit einem Betriebssystem, das 60 Jahre alt ist, (...) da braucht es mal ein Update, denn die Welt ändert sich.«
Passend dazu ist der Titel der Versammlung am Wochenende gewählt: »Aufbruch in eine neue Welt: Wie drängen wir den Einfluss von Geld auf unsere Demokratie und Gesellschaft zurück?«. Dabei sollen die Teilnehmenden Fragen diskutieren wie »Wie würdest du gerne die Erarbeitung oder Änderung von Gesetzen beeinflussen?« oder »Wie würdest du gerne die Arbeit der Parlamentarier*innen kontrollieren?«.
Letzteres ist ein zentrales Anliegen von Marco Bülow. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete (SPD, Die Partei) setzt sich dafür ein, die Macht von »Profitlobbyisten« zurückzudrängen. Bis auf die Einführung einiger Transparenzregeln sei in diesem Bereich nichts erreicht worden. Im Gegenteil: »Der Profitlobbyismus ist ausgeufert.« Bülow kritisiert aber auch andere parlamentarische Gepflogenheiten wie den Fraktionszwang oder die Gewohnheit von Regierungen, Anträge aus der Opposition pauschal abzulehnen.
Ein Vorbild für das Vorhaben der Neuen Generation ist Marlene Engelhorn. Die Nachfahrin eines BASF-Gründers und Millionenerbin berief einen zufällig gelosten Bürgerrat ein, um fast ihr gesamtes Vermögen von 25 Millionen Euro möglichst gerecht »rückverteilen« zu lassen, wie sie es ausdrückt.
Der »Gute Rat für Rückverteilung« wich in seiner Zusammensetzung eigenen Angaben zufolge nur unwesentlich von jener der österreichischen Gesamtgesellschaft ab. »Parlamentarische Arbeit muss repräsentativ sein. Das ist in Deutschland nicht der Fall und deshalb können die Interessen eines großen Teils der Bevölkerung nicht berücksichtigt werden«, so Engelhorn. »Das ›Parlament der Menschen‹ ist ein hervorragender Ansatz, das Vertrauen der Menschen in die Demokratie zu stärken und Politik zu gestalten.«
Auch die Aktivist*innen der Neuen Generation wollen Menschen ausgelost haben, die »so vielfältig wie die deutsche Bevölkerung« sind, wie Durow erklärt. »Dazu wurden aus einem Pool von 300 Interessierten 60 Menschen, die für die deutsche Gesellschaft repräsentativ in den Kriterien Alter, Migrationshintergrund, Bildungsabschluss und Geschlecht sind, ausgelost«, heißt es in einer Mitteilung der Neuen Generation.
Auf Nachfrage von »nd« stellt die Gruppe klar, dass dieser ursprüngliche Pool größtenteils aus Sympathisant*innen der Letzten Generation besteht, wobei allen Menschen die Möglichkeit offenstand, sich in das Losverfahren eintragen zu lassen. Dementsprechend gesteht Lars Werner von der Neuen Generation zu: »Das ist kein repräsentativer Rat für ganz Deutschland.« Allerdings sei geplant, den Pool noch zu erweitern, denn das »Parlament der Menschen« soll in Zukunft regelmäßig tagen und jedes Mal neu ausgelost werden.
Zunächst steht aber kommende Woche eine »Widerstandswelle« in Berlin an. Dort will sich die Neue Generation mit Mitteln des zivilen Ungehorsams, also dem bewussten und friedlichen Überschreiten von Gesetzen, unter anderem gegen den Springer-Konzern richten. Denn dort werde »diese Welt, die uns in eine wirklich düstere, menschenfeindliche und grausame Zukunft führen wird, jeden Tag herbeigeschrieben«, so Werner. Der Konzern bringe Menschen gegeneinander auf, schüre Ängste und verbreite Falschinformationen. »Um den Ergebnissen des ›Parlaments der Menschen‹ Gehör zu verschaffen, braucht es Protest«, rechtfertigt er die Aktionen.
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