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Klimacamp an der Weser: Schlick, Salz, Schicksal
In Brake an der Unterweser trafen sich Klimaaktivisten, Umweltschützer und Landwirte, um sich gegen die Weservertiefung zu stellen
Wenn der 51 Meter lange Injektionsbagger »Maasmond« auf der Unterweser bei Brake im Einsatz ist, treibt er ein meterlanges Rohr – eine Art Riesenspritze – in den Flussboden, pumpt Wasser hindurch und spült so Schlickablagerungen aus der Fahrrinne, um den Flussabschnitt zwischen Nordseemündung und Bremen schiffbar zu halten. Der Laderaumsaugbagger »Hegemann V« verfährt nach einem anderen Prinzip: Das nur zwei Meter kürzere Schiff saugt den Schlick in seinen 1930 Kubikmeter großen Bauch und entlädt ihn später an sogenannten Klappstellen.
Täglich machen am Nordseehafen Brake, zwischen Bremen und Bremerhaven, imposante 200-Meter-Frachter fest. Hier werden Getreide, Holz und Stahl umgeschlagen – kurzum: alles, was nicht in herkömmliche Container passt. Von dort aus geht es weiter, landeinwärts oder in Richtung Nordsee. Gert Rosenbohm vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Wesermarsch aber hat ein besonderes Auge auf die kleineren Schiffe, die in der Region bleiben. Schiffe wie die »Maasmond«, oder die »Hegemann V«.
Nicht, weil er von ihnen begeistert ist. Die »Maasmond« ist für Rosenbohm ein »Schlickaufwühler«, der Fischen die Kiemen verstopft. »Der Schlick ist eine große Bedrohung für die vielen Fischarten, die dann nicht mehr atmen können«, erklärt er. Eine weitere Weservertiefung, die es noch größeren Schiffen ermöglichen soll, in Brake anzulanden, würde das Schlickproblem nur noch vergrößern, so der Umweltschützer. Rosenbohm bezeichnet das Vorhaben als »Sterbehilfe« für die Weser – denn die Verschlickung ist nur eines von vielen Problemen, die Umweltschützer und Landwirte befürchten.
Das »Wesercamp« beginnt auf dem Festland
Es ist früher Abend, als Rosenbohm auf der Auftaktveranstaltung des »Wesercamps« im Centraltheater in Brake spricht, einem heimeligen Kino, das mit seinen samtroten Plüschsesseln und kleinen Schirmlampen in jeder Sitzreihe gemütlich und zeitentrückt zugleich wirkt. Hinter der Bar prangt – wie kann es anders sein – ein übergroßes Gemälde mit Segelschiffen auf hoher See. Stürmisch ist auch der Streit um die erneute Weservertiefung, der seit den frühen 2000ern tobt. Je nach Zählweise wäre es die zehnte oder elfte seit 1880. Meist sind es vor allem ältere Menschen wie Gert Rosenbohm oder seine Mitstreiterin Annete Chapligin, die sich mit viel Fleiß, Fachwissen und vor Gericht gegen die Vertiefung engagieren. Doch heute ist es anders: Unter die vielen Silberschöpfe haben sich zahlreiche jüngere Gesichter gemischt. An die 100 Klimaaktivist*innen sitzen heute mit im Saal. »Ungefähr 50 davon verschwitzt in Fahrradkleidung zwischen all den Frischgewaschenen«, sagt Jësse Dittmar. Sie hat die Fahrradtour »Landwirtschaft in Bewegung« mitorganisiert, die über zwei Wochen zuvor am Oderbruch in Brandenburg gestartet war und auf den mehr als 1100 Kilometern bis nach Brake »jeden Tag einen anderen landwirtschaftlichen Betrieb« besucht hat, darunter »Solidarische Landwirtschaften« ebenso wie konventionelle Höfe.
»Das 1,5 Grad Ziel haben wir gerissen. Wir sind schon mitten in der Klimakrise.«
Timo Luthmann Bildungsverein Klima-Kollektiv
Geht es nach Timo Luthmann vom Bildungsverein Klima-Kollektiv, soll Brake ein neuer »Kristallisationsort« der Klimabewegung werden. Es geht dabei nicht nur um Umweltzerstörung. Als größter Futtermittelhafen Deutschlands stehe Brake für eine industrielle und wachstumszentrierte Landwirtschaft sowie für neokolonialen Landraub, um im globalen Süden Soja und Ölpalmen anzubauen. Gleichzeitig soll der Ort ein Symbol der neuen Klimakämpfe werden. »Das 1,5 Grad Ziel haben wir eigentlich gerissen«, sagt Luthmann. »Wir sind schon mitten in der Klimakrise«. Deshalb gehe es auch darum, die Folgen abzudämpfen. »Durch die Weservertiefung steigt die Flutgefahr«, sagt er. Der Einfluss der Gezeiten auf die Unterweser würde größer, der Tidehub wachsen, also der Höhenunterschied zwischen Hochwasser bei Flut und Niedrigwasser bei Ebbe. Sturmfluten, die in der Nordsee schon heute keine Seltenheit sind und in Zukunft noch häufiger und höher werden, dringen deshalb immer weiter ins Landesinnere vor.
Kapitalistische Ausbeutung von Natur und Mensch, die Krise der Landwirtschaft, Klimawandelfolgen – für all das soll Brake stehen. »Am Wasser wird die Klimakrise konkret«, sagt Luthmann. Seit zwei Jahren arbeitet er deshalb daran, eine »Wasserbewegung« aufzubauen, die die Klimabewegung ergänzen soll. Zuletzt half er dabei, eine Wasserkonferenz in Bonn zu veranstalten. Nun folgt der nächste Schritt: das Wesercamp.
Mit der »Guntsiet« auf den Harriersand
Nach dem Empfang geht es auf die »MS Guntsiet«. Die Fähre verbindet Brake mit der Flussinsel Harriersand. Einige Dutzend Menschen leben dort, manche betreiben Landwirtschaft, die meisten kommen für die idyllische Natur. Über das Wochenende verwandelt sich der Zeltplatz in ein kleines Klimacamp der sich entwickelnden »Wasserbewegung«. Die Aktivist*innen, etwa 120 sind es, wie Luthmann berichtet, errichten ihre Zelte, während es aus einem großen Kochtopf bereits nach Linsensuppe duftet. Beim Abendessen kommen Einheimische und Aktivist*innen miteinander ins Gespräch – neben Informationen zur Weservertiefung soll im Laufe des Wochenendes auch die Vernetzung eine wichtige Rolle spielen.
Der nächste Tag. In einem der weißen Großraumzelte sitzen Dierk Dettmers, Ralf Degen, Leenert Cornelius und fragen sich, ob sie trotz der leeren Sitzbänke mit ihrem Vortrag beginnen sollen. »Auf einem Klimacamp läuft das alles ein bisschen anders«, beruhigt sie eine Teilnehmerin. Nach und nach füllt sich das Zelt. Genau wie der BUND haben die drei Landwirte in der Vergangenheit erfolgreich gegen die Weservertiefung geklagt. Ihr Land im umliegenden Landkreis Wesermarsch wird im Sommer schließlich über ein Grabensystem mit Wasser aus der Unterweser versorgt. Durch Vertiefungen gelangt aber zunehmend Meerwasser ins Landesinnere – und damit auch auf die Weideflächen sowie ins Tränkwasser für die Rinder. Schon jetzt sei die Vorschrift von 2,5 Gramm Salz pro Liter Wasser häufig nicht mehr einzuhalten, erklärt Dettmers. Die Gesundheitsauswirkungen auf die Tiere spürten die Landwirte schon heute.
Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig hat geurteilt, dass das Wohl der Tiere vor jeder weiteren Weservertiefung sichergestellt sein muss. Ein »Generalplan Wesermarsch« sieht etwa vor, dass Süßwasser aus dem Landesinneren zugeleitet werden soll. Doch konkrete Schritte seien bislang nicht erfolgt, so die drei Landwirte. »Das Planfeststellungsverfahren zur Weseranpassung schreitet stetig voran«, sagt das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Weser-Jade-Nordsee auf Nachfrage des »nd«. Wann es abgeschlossen sein wird, sei indes noch nicht absehbar.
»Es wird höchste Zeit, dass wir uns alle zusammentun.«
Dierk Dettmers pensionierter Landwirt
Der ermüdende Kampf habe ihnen gezeigt, dass sie Verbündete brauchen, sagt Dettmers. Dazu gehöre die Zusammenarbeit mit dem BUND – und hoffentlich in Zukunft mit den Klimaaktivist*innen. »Wir brauchen Sie – und Sie brauchen uns«, sagt er an das Publikum gerichtet. »Es wird höchste Zeit, dass wir uns alle zusammentun.«
Kleine Tour der großen Zusammenhänge
Mittags geht es für eine Hafenrundfahrt zurück auf die »MS Guntsiet«. Während sich an Steuerbord der Harriersand mit seinen Sanddünen entlangzieht, schiebt sich Backbord ein grauer Betonriese neben dem nächsten ins Bild. Getreidesilos wie Hochhäuser. Europas größte freitragende Lagerhalle zur Verwahrung von Soja. Dazwischen rostgefärbte Kräne, Fließbänder, Transportrohre. Eine Tour zwischen Industrieromantik und Globalisierungswahn.
Bevor die »Guntsiet« wendet, schippert sie an einem 180 Meter langen, orangeroten Frachter entlang. Laut einer Schiffsdatenbank transportiert die »Theresa Empat« Pflanzenöle. Brake ist nicht nur der größte Hafen Deutschlands für Sojaimport, hier befindet sich auch die größte Fettraffinerie des Landes. Sie gehört dem Unternehmen Olenex, das laut der Menschenrechtsorganisation Christliche Initiative Romero (CIR) Palmöl von Unternehmen in Zentralamerika verarbeitet, die für Landraub und Vertreibungen verantwortlich sein sollen. Um darauf aufmerksam zu machen, sind die beiden Aktivist*innen Yoni Rivas aus dem honduranischen Aguán-Tal und Gladis Mucú aus Guatemala nach Brake gekommen, beide reisen derzeit durch Deutschland. An der Reling der »Guntsiet« sammeln sich einige Teilnehmende der Rundfahrt hinter Rivas und Mucú und stimmten auf Spanisch an: »Umweltgerechtigkeit für den Aguán«.
Als die Fähre ihre Rückfahrt antritt, sind direkt vor der »Theresa Empat« Aktivist*innen von Robin Wood zu erkennen. Zwischen zwei Anlegepollern haben sie ein gelbes Banner gespannt. Gerade sind sie dabei, es zu entrollen. Erst später wird auf Bildern zu erkennen sein, was darauf stand: »Verfolgung? Vertreibung? Verantwortung! – Kein Palmöl aus Raubbau!«
Dem Schlick auf der Spur
Zurück auf Harriersand legt Gert Rosenbohm eine kleine, braun-weiß gestreifte Muschelschale auf einen hölzernen Gartentisch. Die asiatische Körbchenmuschel, erklärt er, sei eine invasive Art, die jedoch mit dem hohen Salzgehalt in der Unterweser besser zurechtkäme, als die heimischen Süßwassermuscheln. Letztere finde er hier nur noch sehr selten. In einem Karton hat er trotzdem ein paar Exemplare dabei, die er über die Jahre gesammelt hat. Mit Anglerhut, einer roten Schaufel und seiner grünen BUND-Warnweste ausgerüstet macht er sich auf in Richtung Wasser. Ihm folgen etwa 20 Interessierte auf einen Spaziergang, der die Folgen der Weservertiefung zeigen soll. Gerade herrscht Ebbe. Für die Gruppe heißt das: Ab in den Schlick.
Du zunehmende Verschlickung der Unterweser habe mehrere Gründe, referiert Rosenbohm. Durch die Vertiefung gelange mehr Schlick aus dem Wattenmeer in den unteren Flusslauf. Außerdem nehme mit der Abholzung in Ufernähe die Erosion zu. Viele Pflanzen, die das Ufer befestigen sollten, ertrügen darüber hinaus den ständigen Wechsel zwischen Salz- und Süßwasser infolge der Gezeiten nicht mehr. Die Folgen sind überall zu sehen. Rosenbohm zeigt auf eine Düne, die nur sanft aus dem Ufer wächst. Hier sei vor Jahren eine zwei Meter hohe Abbruchkante entstanden. 2017 seien dann »Unmengen« an Sand vorgespült worden, um vor weiteren Abtragungen zu schützen. Doch die Hälfte davon sei schon wieder weg, meint Rosenbohm. Der Fluss hat sie sich genommen.
Dafür wächst in der Weser eine Sandbank heran, die inzwischen bis zum Anleger der Fähre reicht. Schon die nächste Fährfahrt in Richtung Brake macht die Auswirkung deutlich: Die »Guntsiet« muss am anderen Ufer warten, weil am Anleger nicht genügend Tiefgang herrscht. Auch nach einer Stunde, als die Flut etwas mehr Wasser flussaufwärts getrieben hat, braucht die Fähre mehrere Anläufe bis sie anlegen kann. »Im Vergleich zum letzten Jahr ist die Sandbank schon wieder um 10 bis 15 Zentimeter angewachsen« erklärt ein Mitarbeiter. Eine weitere Vertiefung würde die Situation noch verschlimmern – egal wie emsig der Schlickaufwühler »Maasmond« und der Saugebagger »Hegemann V« weiter ackern.
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