Oregon: Im Bann des Ozeans

Nebelwälder, Dünenberge, Klippen, Strände, Flussmündungen und Gezeitentümpel: Die Sand- und Felsenküste Oregons ist an Vielfalt kaum zu übertreffen

  • Carsten Heinke
  • Lesedauer: 5 Min.
Im Gezeitentümpel: Meeresbiologin Alanna Kieffer vor einem der Muschelfelsen
Im Gezeitentümpel: Meeresbiologin Alanna Kieffer vor einem der Muschelfelsen

Auf dem Ocean Highway wird es Tag. Als wir in Seaside starteten, war es noch dunkel. Das Urlaubsörtchen am Pazifik, in dem wir übernachteten, liegt anderthalb Autostunden von Oregons größter Stadt Portland entfernt. Viele ohnehin schon breite Strände an der 560 Kilometer langen Küste des »Biberstaates« verwandeln sich bei Ebbe zu unendlich weitem, feuchtem Sandland. Auch in Seaside.

Von September bis April sieht man dort Tausende »Gezeitenjäger«. Mit speziellen Rohren bohren sie im weichen, nassen Boden nach ihrer Lieblingsbeute: Schwertmuscheln. Denn weicht der Ozean zurück, vergraben sich die bis zu 25 Zentimeter großen Schalentiere schnell, um bis zur nächsten Flut nicht zu vertrocknen. Ihr saftiges und festes Fleisch schmeckt süßlich-nussig und ist sehr begehrt.

Wir wollen die Natur der Küste Oregons jedoch vor allem lebend sehen. Die Felsenklippe Tillamook Head, die sich am Rand der Stadt 360 Meter hoch erhebt, markiert den Anfang des Ecola State Parks. Dieses Refugium von Spezies, die alle Überlebenskünstler sind, ist unser nächstes Ziel.

Wirklich hell will es nicht werden – erst recht nicht, als sich über uns das Dach aus Baumkronen verdichtet und in Wolken hüllt. Wir steigen aus und laufen weiter. Es tropft und plätschert. Jedes andere Geräusch wird von den weichen Pflanzenpolstern und der nassen Luft verschluckt. Uralte Nadelbäume tragen zottelige Pelze, gewebt aus leuchtend grünem Moos und Flechten. Mit Wasser vollgesogen, triefen sie wie Schwämme. Es riecht nach unbekannten Kräutern, Harz und feuchter Erde.

In Dunst und Dickicht lässt sich nur erahnen, dass etliche der hochbetagten Sitka-Fichten, Hemlocktannen und Gewöhnlichen Douglasien kerzengerade bis zu über 70 Meter in den Himmel ragen. Die Küsten-Salish, Ureinwohner des pazifischen Nordwestens, schufen aus den strammen Stämmen ihre Totempfähle. Kaum einen Steinwurf weit reicht unser Blick. Alles Folgende verschwimmt im Nieselnebel.

Feuchtes Wetter sei von Herbst bis Frühjahr ganz normal an Oregons Pazifikküste, erklärt Alanna Kieffer, die uns an den Picknickplätzen über Indian und Cannon Beach erwartet. »In den Sommermonaten dagegen ist es Glück, wenn man den Regenwald von Ecola wie heute Morgen ganz in seinem Element erlebt«, meint die junge Meeresbiologin.

Bei Ebbe so wie jetzt erstreckt der Strand sich scheinbar bis zum Horizont. Doch Alanna weiß: »Was wir von hier oben sehen, gehört vor allem zur Gezeitenzone – bei Flut bedeckt vom Ozean.« Der Indian und der Canyon Creek, die in ihn münden, versickern zwischenzeitlich nur im Sand.

Die Bucht, die sich trotz kargen Lichts in ihrer ganzen Schönheit präsentiert, sei das Zuhause sehr spezieller Tier- und Pflanzenarten. »Sie haben sich den krassen Unterschieden der Gezeiten perfekt angepasst«, erklärt die Wissenschaftlerin, die ihr Labor in die Natur verlegte, um die rätselhafte Welt des Lebens zwischen Flut und Ebbe zu erforschen. Interessierte weiht sie gerne ein.

»Viele Meerestiere graben sich bei Niedrigwasser ein, manche suchen Zuflucht in den Felsenpools«, sagt die 34-Jährige und zeigt uns solch ein Becken, das Fachleute Gezeitentümpel nennen. Wir entdecken darin Anemonen, Schnecken, Krebse sowie Seesterne in allen Größen. Die lila- und orangefarbenen Stachelhäuter lockt ihre Lieblingsspeise: Miesmuscheln. Deren Kolonien füllen nicht nur ganze Wasserlöcher. Sie bedecken auch komplette Felsen.

»Könnt ihr sie hören?« Diese Frage meint Alanna ernst. Unsere Ohren an den Muscheln, vernehmen wir ihr vielstimmiges »Flüstern«. Auch eine Überlebenstaktik, wie Alanna uns verrät: »Sobald der Meeresspiegel sinkt, machen sie die Klappen dicht und zehren von dem Wasser zwischen ihnen bis zur Flut. Beim Zirkulieren produzieren sie das Knistern.« Noch mehr Sound erzeugen Miesmuscheln durch ihre selbstgemachten Superfäden, mit denen sie sich an die Felsen und auch aneinanderheften. Indem sie diese beim Bewegen dehnen und zerreißen, verursachen sie schnipsende Geräusche.

Von den gar nicht stummen Meerestieren dicht bevölkert ist auch Haystack Rock. An einen Heuhaufen soll seine Form erinnern. Der 72 Meter hohe Brocken aus Basalt zählt weltweit zu den größten Küstenmonolithen. Bei Hochwasser umspült, erreichen wir ihn jetzt zu Fuß – fast trocken. Vögel nutzen Haystack Rock als Nistplatz, Filmemacher als dramatische Kulisse.

Vom Riesenstrand mit den Gezeitentümpeln fahren wir zu Cascade Head. Auf dem erloschenen Vulkan wächst seit fast 100 Jahren ein Versuchswald, in dem Arten wie schon vor Jahrtausenden zusammenleben – darunter Pumas, Schwarzbären, Wapitihirsche. Wir begegnen im Oregon Aquarium in Newport Seeottern, durch Jagd und Pelzhandel an dieser Küste schon seit Langem ausgerottet. Engagierte Wissenschaftler arbeiten emsig an der Wiederansiedlung der klugen Meeressäuger.

Von Cape Perpetua, einer Landzunge mit hohen Steilwänden, wandern wir hinab zu Devil’s Churn. Wenn ein- und auslaufende Wellen in dieser Felsenenge aufeinanderkrachen und dicke Gischt aufschlagen, gleicht sie wirklich »Teufels Butterfass«. Als lohnenswerte Stopps bei dieser Küstentour erweisen sich die Leuchttürme. Elf insgesamt gibt es in Oregon. Der älteste noch funktionierende ging 1870 in Betrieb und steht am Cape Blanco, dem westlichsten Punkt des Bundesstaates.

Der mit über 28 Metern höchste reckt sich auf der Halbinsel Yaquina Head über die Klippen, der kürzeste mit 13 Metern auf Cape Meares an der Tillamook Bay. Vom Frühling bis zum Herbst lassen sich dort Grauwale beobachten. Bei unserem Besuch der Sea Lions Caves bei Florence sehen wir außer Seelöwen auch den strahlkräftigsten Leuchtturm auf der Landzunge Heceta Head gleich vis-à-vis. Sein Licht reicht 34 Kilometer weit.

Zwischen Florence und Coos Bay verblüffen uns die Oregon Dunes – ein bis zu 150 Meter hohes, 60 Kilometer langes Sandgebirge, in dem mehr Vögel heimisch sind als in den Wäldern ringsherum. Obwohl es die Natur gefährdet, sind stellenweise Sandboarding und Freizeitfahrzeuge wie Dünen-Buggys, Quads und Motorcrossräder erlaubt. Wir beschränken uns aufs Wandern, lauschen dem Gezwitscher und freuen uns, den Ozean zu Füßen, auf den nächsten Strand.

Die Recherche wurde unterstützt von Travel Oregon und CRD Touristik.

Tipps
  • Reisezeit: Optimal sind die Monate von Mai bis Oktober. In dieser Zeit sind die Temperaturen angenehm und Niederschläge eher selten.
  • Anreise: Condor bietet in den Sommermonaten dreimal wöchentlich Direktflüge von Frankfurt nach Portland an (10 h 40 min, hin und zurück ab ca. 460 €, www.condor.com).
  • Rundreisen: Der Spezialreiseveranstalter CRD Touristik bietet Mietwagenrundreisen sowie individuelle Touren an, z. B. 13 Tage (11 Übernachtungen) inkl. Flug ab/bis Portland pro Person im DZ ab 2529 € (www.crd.de).
  • Auskünfte: www.traveloregon.de

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