Die DFB-Kicker sind auf der Suche nach Resilienz

Nations League: Das verdiente 1:2 gegen Portugal zeigt, dass es der deutschen Nationalelf an Kaderbreite mangelt

  • Maik Rosner, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Altmeister: Portugals Cristiano Ronaldo (M/vorn) beim Kopfball, Jonathan Tah (r.) kommt zu spät.
Der Altmeister: Portugals Cristiano Ronaldo (M/vorn) beim Kopfball, Jonathan Tah (r.) kommt zu spät.

Als Joshua Kimmich, Marc-André ter Stegen und weitere deutsche Spieler nach und nach auf das kleine Podest hinter dem Kabinengang in der Münchner Arena kletterten, um über das 1:2 (0:0) gegen Portugal zu sprechen, ging ausnahmsweise nichts schief. Das musste betont werden an diesem misslichen Mittwochabend, an dessen Ende sie bei der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) eine völlig verdiente Niederlage im Halbfinale des Final Four bilanzierten.

Mit dem angestrebten Titelgewinn in der Nations League wird es also nichts, um sich und vor allem auch das Selbstverständnis für die WM in einem Jahr zu bestärken. Stattdessen geht es vor dem Spiel um Platz drei am Sonntag in Stuttgart zunächst um die Ursachenforschung für den herben Stimmungsdämpfer, nach dem Kapitän Kimmich besonders scharfe Kritik übte. »Da waren viele Dinge sehr schlecht. Wir waren zu weit weg von unserem Limit in allen Bereichen des Spiels«, sagte er nach seinem 100. DFB-Einsatz. »Man hat nicht gemerkt, dass wir eine Siegermentalität haben, eine gewisse Gier, dass wir ins Finale wollen.« Das sei ihnen in den vergangenen anderthalb Jahren »nicht so häufig passiert, dass wir so weit weg waren von unserer Topperformance«. Rumms!

Gelungen war der Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann wahrlich nicht viel. Nicht einmal das Aufwärmen, wofür das DFB-Team allerdings nicht in die Verantwortung genommen werden konnte. Kaum hatte ter Stegen begonnen, sich auf sein erstes Länderspiel seit dem 2:2 in den Niederlanden im September (mit Patellasehnenriss) vorzubereiten, musste er den Rasen schon wieder fluchtartig verlassen, weil Hagelkörner in Kichererbsengröße auf sein Haupt trommelten.

Am Ende konnte der 33 Jahre alte Torwart trotz des Rückschlags immerhin in eigener Sache auf eine gelungene Rückkehr blicken. Mit mehreren Paraden hatte er die deutsche Mannschaft vor einer deutlich höheren Niederlage bewahrt. Es sei nach einer langen Verletzung schön, wieder dabei zu sein und um einen Titel zu kämpfen, »auch wenn es leider frühzeitig vorbei ist«, sagte ter Stegen. Es gehe nun darum, am Sonntag »zumindest noch den dritten Platz zu holen«.

Zudem konnten die deutschen Fans gegen Portugal ein solides Debüt von Stürmer Nick Woltemade und vor allem die hübsche Führung beklatschen, als die deutsche Elf im Pressing den Ball eroberte, ehe Kimmich auf Florian Wirtz lupfte, der per Kopf vollendete (48.).

Doch danach habe die Mannschaft »den Betrieb eingestellt«, monierte Nagelsmann und übte auch indirekt Selbstkritik, als er zugab, man könne »über die Wechsel diskutieren«. Gemeint war vor allem der Dreifachtausch Serge Gnabry, Robin Gosens und Niclas Füllkrug für Leroy Sané, Maximilian Mittelstädt und Nick Woltemade nach einer Stunde. Spätestens danach ließ sich ein Bruch im bereits lahmenden Spiel der DFB-Elf feststellen. Die erste Halbzeit sei noch ordentlich gewesen, »in der zweiten Halbzeit war es gar nichts mehr«, kritisierte Kimmich, es sei »eines unserer schlechtesten Spiele« der vergangenen anderthalb Jahre gewesen.

Kimmich warf damit indirekt eine unangenehme Frage auf: Warum hatten Gier und Intensität gefehlt? Auch Nagelsmann wurmte dieser Umstand besonders, er will den Ursachen nachgehen. »Natürlich fehlt uns sehr viel Qualität«, erinnerte Kimmich an die Ausfälle von sechs Stammkräften wie Jamal Musiala und Antonio Rüdiger. Aber für das Spiel gegen den Ball »braucht man nicht so viel Qualität, um Energie und Mentalität auf den Platz zu bringen. Das war deutlich zu wenig.«

So aber hatte sich gezeigt, dass die deutsche Mannschaft die Abwesenheit von Leistungsträgern nicht auffangen kann. Das fiel besonders auf, weil die Portugiesen im scharfen Kontrast jede Menge Qualität einwechselten, darunter den zum Spieler des Spiels gekürten Francisco Conceição. Der 22-Jährige ließ vor seinem Ausgleich Gosens stehen und traf nach einem ungestörten 30-Meter-Lauf prächtig per Schlenzer (63.).

Fünf Minuten später gab die deutsche Abwehr erneut Räume frei, ehe der 40 Jahre alte Cristiano Ronaldo zu Portugals erstem Sieg gegen Deutschland seit 25 Jahren einschob. »Was wir von der Bank gebracht haben, das hat gar nicht funktioniert«, urteilte der Weltmeister von 2014, Per Mertesacker, in seiner Rolle als ZDF-Experte. Zur Weltspitze fehle der Mannschaft »die Kaderbreite«. Woltemade wird am Sonntag auch noch fehlen. Der Stuttgarter verabschiedete sich zur U21, die sich auf die EM vorbereitet.

So betrüblich die Erkenntnisse auch waren: Es ist in Nagelsmanns Amtszeit nicht das erste Mal, dass die Mannschaft Schwächen offenbart. Zugleich hat sie schon nachgewiesen, die richtigen Lehren ziehen, dann mit den Topnationen mithalten und sie sogar schlagen zu können. Die dafür nötige Resilienz wird nun wieder gesucht, um trotz Ausfällen ein zuverlässiges Niveau zu erreichen. Nagelsmann sagte: »Wir brauchen von allen immer 100 Prozent.« Das war schon eine Forderung für das Spiel um Platz drei.

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