Hoffen auf Annäherung

Katholiken im Süden wollen nach dem Regierungswechsel in Seoul den Austausch mit dem Norden voranbringen

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 8 Min.
Katholiken in Seoul beten für Frieden auf der koreanischen Halbinsel.
Katholiken in Seoul beten für Frieden auf der koreanischen Halbinsel.

Mit dem Wahlergebnis ist James Byun sehr zufrieden. »Jetzt kann sich die Lage endlich wieder von einer Feindschaft zwischen den zwei Koreas wegbewegen!«, erklärt der ältere Herr seine Erleichterung. Byun ist kein Politiker, sondern Theologe und Mitglied der koreanischen Vereinigung für Religionsstudien in Südkorea. Dass er viel über Politik nachdenkt, hat mit seiner religiösen Herkunft zu tun. Als Katholik in Südkorea sieht sich Byun nämlich besonders für das politisch verfeindete Nordkorea verantwortlich. Sogar formell: Das Erzbistum Seoul aus der liberalen Demokratie Südkorea verwaltet auch Katholiken im Einparteienstaat Nordkorea.

Diese außergewöhnliche Situation geht auf eine Entscheidung von vor einem halben Jahrhundert zurück: 1975 hat der Heilige Stuhl im Vatikan dem Erzbistum Seoul die »pastorale Autorität über Pjöngjang« übertragen. »Aufgrund der politischen Teilung der koreanischen Halbinsel wäre es zwar unkorrekt, von Jurisdiktion zu sprechen«, betont der Theologe. Zuständig ist Seoul für den Klassenfeind im Norden aber dennoch und trägt eine pastorale Verantwortung. »Bis in Nordkorea eine einheitliche kirchliche Hierarchie etabliert ist.«

Also auf unbestimmte Zeit. Was nach kirchenadministrativem Fachvokabular klingt, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Außerhalb der abgeschotteten Diktatur Nordkorea – die sich seit dem Koreakrieg (1950–53) im Kriegszustand mit dem Süden befindet – ist nicht bekannt, wie es christlichen Menschen im Land geht. Und weil der Vatikan seit Jahrzehnten keine intakten Beziehungen nach Pjöngjang pflegt, soll man sich in Seoul bemühen, irgendwie den Kontakt mit den Katholiken im Norden zu pflegen. In den vergangenen Jahren schien das allerdings unmöglich zu sein.

Doch die jüngsten politischen Entwicklungen in Seoul lassen Katholiken wie James Byun wieder hoffen: Am 3. Juni wählte Südkorea einen neuen Präsidenten, der einen grundlegend anderen Kurs verspricht. Auf den autoritär-rechtsgerichteten Yoon Suk-yeol – der im Dezember das Kriegsrecht ausgerufen hatte, woraufhin er seines Amtes enthoben wurde – folgt nun Lee Jae-myung. Der hat sich vorgenommen, den Austausch zu suchen. Durch Yoon seien die Beziehungen »ihrem Tode nahe«, hat der 61-Jährige kurz nach seinem Wahlsieg erklärt. Jetzt sollen sie zum Leben erweckt werden. Für Katholiken sind es gute Nachrichten. Denn die Erfahrung zeigt: Annäherungen zwischen Nord und Süd gelingen vor allem unter demokratischen Regierungen.

Um zu verstehen, welche Bedeutung dieser Regierungswechsel haben könnte, lohnt ein Blick zurück: Der letzte kirchliche Austausch mit dem Norden reicht zurück in die Zeit vor 2022, als der rechtsgerichtete Hardliner Yoon zum Präsidenten des Südens gewählt wurde. Yoon trat überaus großspurig auf und kündigte an, Nordkoreas Diktator Kim Jong-un »Manieren beibringen« zu wollen. Mehrmals drohte er mit Krieg, was dazu führte, dass der zaghafte Aufbruch, den es zuvor gegeben hatte, wieder abbrach.

Vertreter der süd- und nordkoreanischen katholischen Organisationen hatten sich im Februar 2019 rege ausgetauscht und zogen sogar einen Besuch des damaligen Papstes Franziskus in Nordkorea in Erwägung. »Daran zeigte sich Nordkoreas Optimismus«, erinnert sich James Byun. Dieser Optimismus war damals nicht unbegründet: Er speiste sich aus der Aussicht auf ein historisches Gipfeltreffen zwischen Kim Jong-un und dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Eine Woche später sollten diese beiden Chefs zweier ebenso verfeindeter Staaten – die USA kämpften im Koreakrieg aufseiten des Südens und sind bis heute ihr wichtigster Sicherheitspartner – in Hanoi zu Verhandlungen treffen. Sie wollten über ein Ende der UN-Sanktionen gegen Nordkorea reden und über eine mögliche nukleare Abrüstung des Nordens.

Doch die Gespräche platzten. Und als sich Nordkoreas Kim Jong-un und US-Präsident Trump den Rücken kehrten, war es auch um die Nord-Süd-Beziehungen der Katholiken schlecht bestellt. »Damit brachen auch die letzten verbliebenen religiösen Kontakte ab«, erzählt Byun, der damals in die Gespräche involviert gewesen war. Menschen aus dem Norden und dem Süden konnten immer seltener miteinander in einen Austausch treten.

Diese Entwicklung wirft grundsätzliche Fragen auf: Warum sollte ausgerechnet die Kirche im Süden Einfluss auf Geschehnisse in Nordkorea ausüben? Und warum gibt es in Nordkorea – einem offiziell kommunistisch organisierten Staat mit einer religiös anmutenden Staatsphilosophie, die auf die Führerfamilie Kim ausgelegt ist – überhaupt christliche Institutionen? Die Antwort führt weit in die Geschichte zurück, in eine Zeit vor der koreanischen Teilung.

Ab dem späten 18. Jahrhundert breitete sich der Glaube im eigentlich buddhistisch geprägten Land aus. Während auch Protestanten missionierten, waren für den Katholizismus vor allem deutsche Benediktiner verantwortlich. Sie etablierten das Christentum auch im Norden als eine der führenden Religionen. Doch diese religiöse Landschaft sollte sich dramatisch ändern: Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Korea die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Japan erlangte, wurde die Halbinsel wenig später geteilt – mit verheerenden Folgen für die christlichen Gemeinden.

Der Norden ist seitdem autoritär geprägt, der Süden kapitalistisch. 1950 erfolgte dann der Angriff des Nordens. Die Opferzahl im drei Jahre andauernden Krieg war hoch, weil es der erste Stellvertreterkonflikt im Kalten Krieg wurde. Gegen von den USA angeführte UN-Truppen an der Seite des Südens unterstützten China und die Sowjetunion den Norden.

In diesem ideologischen Konflikt gerieten die Katholiken im Norden schnell zwischen die Fronten: Sie standen unter dem Verdacht, als Agenten des Südens zu agieren. Viele Christen wurden von Anhängern des Regimes verschleppt. Im Süden gelten die Verschwundenen bis heute als Märtyrer. Und sie sind ein Grund, warum sich die katholische Kirche weiter um Austausch mit dem Norden bemüht hat. Darüber hinaus möchte man im Süden auch Gläubige im Norden taufen. Geistliche aus dem Süden bräuchten dazu allerdings eine Einreiseerlaubnis sowohl aus Seoul als auch aus Pjöngjang.

Die zu bekommen, ist mittlerweile schwierig geworden. Doch immerhin, betont James Byun, gebe es formal gesehen Religionsfreiheit in Nordkorea und auch eine katholische Kirche. Diese paradoxe Situation entstand in einem historischen Moment der geopolitischen Unsicherheit: »In Vorahnung des Zusammenbruchs des Ostblocks in den späten 1980er Jahren wandte sich die nordkoreanische Regierung an die internationale Gemeinschaft und auch den Vatikan«, so der Theologe. Sie bemühte sich um Kontakte außerhalb ihrer bisherigen Verbündeten. »Im Juni 1987 wurde dann eine Delegation des Vatikans in den Norden eingeladen.«

Im folgenden Jahr lud der Vatikan zu Ostern auch die Katholiken aus Nordkorea nach Rom ein. Dieser Austausch führte zur Gründung einer Organisation, die den Katholizismus in Nordkorea repräsentieren sollte. Im Oktober 1988 wurde dann die Changchung-Kirche Pjöngjang gebaut. Doch was für Optimisten wie ein Schritt in Richtung Religions- und Meinungsfreiheit aussah, verstanden viele als Lippenbekenntnis.

Zu den Skeptikern gehört auch Kim Geum-hyok, Berater für die Konservative Partei und Youtuber: »Nordkoreas Regierung unterhält heute zwei oder drei Kirchen in Pjöngjang. Aber das macht sie nur, um behaupten zu können, dass sie Christen nicht verfolge.« Was ihr aber niemand im Norden glaube. »Wenn westliche Touristen ins Land kommen, zeigt man ihnen die Kirchen. Aber das ist nichts als Show!«

Auch James Byun glaubt nicht, dass es noch viele Christen in Nordkorea gibt. Vor mehreren Jahren wurde die Zahl auf 3000 geschätzt. Die aktuelle Lage sei völlig unklar. Sofern es Gottesdienste gebe, dann wohl von Laienpriestern. »Ich vermute, die meisten Menschen in Pjöngjang wissen nicht mal, dass es in der Stadt eine katholische Kirche gibt.« Offizielle wüssten natürlich Bescheid. Aber für die Bevölkerung im Norden könnten die Kirchengebäude schlicht irgendein seltsames Bauwerk sein.

»Nach dem gescheiterten Gipfel zwischen Kim Jong-un und Donald Trump sowie der Corona-Pandemie sind tatsächlich alle Kanäle in den Norden abgerissen«, wiederholt Byun. »Wir wissen im Moment nicht einmal, ob die Changchung-Kirche in Pjöngjang überhaupt noch in Betrieb ist.« Aber was, wenn mit dem Demokraten Lee Jae-myung keine Kriegsdrohungen mehr aus Südkorea kommen, sondern eine ausgestreckte Hand? Könnte dann die katholische Kirche zu einem Schlüsselspieler werden?

Moon Chung-in, emeritierter Politikprofessor der Yonsei Universität in Seoul und einstiger Berater der Demokratischen Partei, glaubt nicht daran: »Im Jahr 2018, als es noch Austausch gab, betrachtete Nordkorea die Beziehung zu Südkorea als eine besondere, mit dem ultimativen Ziel der Wiedervereinigung.« Aber von dieser Idee hat sich Nordkorea mittlerweile sogar offiziell mit einer Verfassungsänderung verabschiedet. »Persönlich würde ich es mir wünschen, dass es auf Ebenen wie Religion oder auch Sport mehr Austausch gibt. Aber vorm Hintergrund der Rhetorik der vergangenen Jahre glaube ich das nicht mehr.«

Die katholische Kirche lässt sich von solcher Skepsis jedoch nicht entmutigen. James Byun blickt bereits optimistisch ins Jahr 2027 – und sieht dort eine konkrete Chance. Sollte es dem neuen Präsidenten Lee Jae-myung bis dahin gelingen, die feindliche Atmosphäre zwischen Nord und Süd zu lockern, gäbe es dann einen aus katholischer Sicht großen Anlass zum Austausch: »In zwei Jahren wird der Vatikan den Weltjugendtag in Seoul abhalten. Erzbischof Peter Soon-Taick Chung hat schon seinen Wunsch ausgedrückt, junge Menschen aus Nordkorea einzuladen.«

Natürlich hängt dies von den Beziehungen zwischen Nord und Süd ab. Aber die koreanische Geschichte zeigt: Auf der Halbinsel können sich die Verhältnisse schnell ändern – in die eine oder andere Richtung. Insofern scheint eine neuerliche Entspannung durchaus möglich.

- Anzeige -

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -