Ist das Naturschutz oder kann das weg?

Brandenburgs Sonderausschuss Bürokratieabbau billigt Beschneidung des Verbandsklagerechts

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Brandenburgs Agrarministerin Hanka Mittelstädt (SPD) setzt junge Lachse in der Stepenitz aus.
Brandenburgs Agrarministerin Hanka Mittelstädt (SPD) setzt junge Lachse in der Stepenitz aus.

Beim Entrümpeln von Vorschriften fackelt Brandenburgs Agrarministerin Hanka Mittelstädt (SPD) nicht lange. Im Sonderausschuss Bürokratieabbau des Landtags staunen und loben am Freitag mehrere Abgeordnete von Koalition und Opposition, welches Tempo die mit 38 Jahren jüngste Ministerin des Bundeslandes vorlegt. Ihr Ressort prüft nicht allein Vorschläge wie den des Bauernverbands, die für Landwirte vorgeschriebene Mehrfachmeldung statistischer Angaben an verschiedene Behörden zu begrenzen. Mittelstädt ließ sich davon abgesehen aus den Abteilungen ihres Ministeriums melden, welche Verordnungen nie wirklich gebraucht wurden oder inzwischen überflüssig geworden sind, sodass man sie aufheben könnte. Teils ist das sogar schon geschehen oder zumindest in die Wege geleitet. So fix klappt das in anderen Ministerien nicht.

Als verzichtbar haben sich Mittelstädt zufolge die Wirtschaftsdüngermeldeverordnung und die Abfallverbrennungsabwasserverordnung erwiesen. Für angelnde Kinder bis zum 14. Lebensjahr soll die Fischereiabgabe entfallen. Zuweilen jedoch bedauert Mittelstädt: »Da haben wir auf Landesebene keine Möglichkeit, etwas zu machen.« Oder sie sagt im Ausschuss Sätze wie: »Da sind wir auf die EU angewiesen.«

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Dagegen erlaubt das Bundesnaturschutzgesetz den Bundesländern, Naturschutzverbände nicht mitreden zu lassen, wenn bei einem Vorhaben Auswirkungen auf Natur und Landschaft gar nicht oder nur in geringem Umfang zu erwarten seien. Von dieser Möglichkeit hatte Brandenburg bisher keinen Gebrauch gemacht, will es nun aber tun – und damit den Verwaltungsaufwand reduzieren. Auch das in Brandenburg den Naturschutzverbänden großzügig eingeräumte Recht, etwa gegen Baugenehmigungen zu klagen, soll eingeschränkt werden.

Niedergelegt ist das in einem »Gesetzentwurf zur Verwaltungsvereinfachung in den Bereichen Landnutzung und Umwelt«, den der Sonderausschuss Bürokratieabbau am Freitag bei nur wenigen Enthaltungen billigte. Der Landtag soll das Gesetz noch vor der Sommerpause beschließen.

Damit sind die Naturschutzverbände BUND und Nabu nicht einverstanden. Sie haben eine Petition gestartet, in der sie die Landtagsabgeordneten auffordern, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Innerhalb einer Woche sind bis Freitagnachmittag mehr als 4057 Unterschriften zusammengekommen. »Es geht bei diesem Gesetzentwurf keineswegs um den Abbau von Bürokratie. Vielmehr handelt es sich um einen Angriff auf den Naturschutz im Land«, urteilt der Nabu-Landesvorsitzende Björn Ellner. Er kritisiert auch, dass für sogenannte Agri-PV-Anlagen – Solarmodule auf Acker- und Weideland, unter denen noch Landwirtschaft betrieben werden kann – künftig keine Genehmigung mehr eingeholt werden müsste. Dabei veränderten solche Anlagen das Landschaftsbild erheblich, so Ellner.

»Agri-PV-Anlagen sind nicht schön«, räumt der Landtagsabgeordnete André von Ossowski (BSW) ein. Aber sie würden ja in ihrer Ausdehnung auf jeweils 2,5 Hektar begrenzt. Von Ossowski sagt: »Ich glaube nicht, dass wir hier Abstriche beim Naturschutz gemacht haben.« Er versichert insgesamt: »Der Naturschutz wird nicht aufgehoben. Naturschutz ist wichtig!«

Das sieht die Linke-Landesvorsitzende Katharina Slanina anders. »Es gibt keine Imagekampagne der Landesregierung ohne Hinweis auf die Naturschönheiten Brandenburgs«, erinnert sie. Dennoch werde die Axt an den Naturschutz gelegt. »Mit der Abschaffung von Verbandsklagerechten werden Rechtsverstöße sehenden Auges in Kauf genommen«, sagt Slanina. Denn wo kein Kläger sei, da sei auch kein Richter. Die hohe Erfolgsquote von Klagen der Naturschutzverbände habe gezeigt, wie wichtig die Wächterrolle der Verbände sei.

»Es geht bei diesem Gesetzentwurf keineswegs um den Abbau von Bürokratie. Vielmehr handelt es sich um einen Angriff auf den Naturschutz im Land.«

Björn Ellner Nabu-Landesvorsitzender

Agrarministerin Mittelstädt beziehungsweise ihr Familienbetrieb Ucker-Ei GmbH hatten es schon mit Naturschützern zu tun. Der BUND war juristisch gegen die Genehmigung von zwei Hallen mit je 39 900 Legehennen in Prenzlau vorgegangen. Ab 40 000 Tieren wäre eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig gewesen. Deshalb habe Hanka Mittelstädt gleich daneben eine zweite Halle mit nochmals 39 900 Plätzen vorgesehen, berichtete die »Bild«-Zeitung im Dezember 2024. Das Blatt zitierte BUND-Landesgeschäftsführer Axel Kruschat mit den Worten: »Mit diesem Trick will Frau Mittelstädt eine 80 000er-Anlage ohne Öffentlichkeitsbeteiligung bauen.«

Hanka Mittelstädt wurde im Dezember mit zwei Tagen Verspätung zur Ministerin ernannt, weil ihr Ausscheiden aus der GmbH erst noch notariell beglaubigt werden musste. Denn das Ministergesetz des Bundeslandes schreibt vor, dass die Regierungsmitglieder nebenher kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben dürfen. Das soll Interessenkollisionen vermeiden. Dem »nd« hatte Kruschat damals gesagt, dass er einen Interessenkonflikt sehe, auch wenn die Ministerin sich aus der Ucker-Ei GmbH zurückgezogen habe.

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