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Imaginärer Soundtrack
Zwei neue Platten lassen musikalische Sehnsucht nach den 70ern aufkommen
Der besondere Zauber des Vergangenen liegt darin, dass es sich gegen Verklärung nicht wehren kann. Nicht einfach Nostalgie lässt den Rückblick schön werden – oder zumindest nicht nur. Im Pop meint »besser« nicht das moralisch oder gesellschaftlich Bessere, sondern das Intensivere, das stilistisch Sicherere, das Interessantere. Und alles das ist verknüpft mit den alten Versprechen: dass ein richtiges, zumindest aber ein wundervolles Leben im Falschen möglich sei.
In der Retro-Ästhetik kehren diese Versprechen zurück, aber eben aus der Ferne: So sah der Pop von vor, sagen wir, 50 Jahren aus. Am überzeugendsten ist Retroästhetik dann, wenn sie sich dem vergangenen Charakter von der Musik bewusst ist, die sie heraufbeschwört.
Das Stuttgarter Duo Mondo Sangue spielt seit über zehn Jahren Soundtracks imaginärer Filme, die dem italienischen Kino der 60er- und 70er Jahre entsprungen sein könnten. Seine Musik ist dicht, aber rhythmisch entspannt: sanfte Grooves, dezente Bläser und Streicher, Bongos, Lounge-Gitarren, Hammond-Orgel, opulent und ironisch klingt das.
Das neue Album »Diamantik« liefert den Score zu einem Agentendrama, das es nicht gibt. Das kann man sich dann im Kpof zusammensetzen. Schon der Titelsong (»Main Theme from Diamantik«) reimt »Diamantik« auf »Elegantik«, und so klingt das ganze Werk: elegant konstruiert, aber mit einer Skurrilität gesegnet, die aus einem liebevoll gebauten Mikrokosmos herüberweht. Was die Stücke im Inneren außerdem zusammenhält, ist stilistischer Feinsinn und eine verspielte Affinität zu freundlich-bizarren Kindermelodien.
Mitunter erinnert das an Stereolab in ihrer mittleren Phase, allerdings ohne deren krautrockige oder experimentelle Exkurse – vielmehr stets mit dem Cocktailglas und der Pool-Liege im Blick. Und doch zieht es diese Musik immer wieder in die Nacht und ins Unheimliche. Der Bandname bedeutet nicht zufällig »Welt des Blutes«. Auch die Pseudonyme der beiden Musiker*innen – Christian Bluthardt und Yvy Pop – fügen sich stimmig ins Bild. Unterstützt werden sie auf dem Album unter anderem von Rocko Schamoni, Bela B und Stefanie Schrank.
Das Album der Woche. Weitere Texte unter dasnd.de/plattenbau
»Diamantik« klingt so stilsicher und ausgereift, dass es die 60er Jahre – im Rückblick eine Epoche des Aufbruchs und der guten Stilentscheidungen – realer erscheinen lässt als das historische Material selbst. Zu Letzterem zählt unweigerlich das Werk des Komponisten Peter Thomas, der in den 60er und 70er Jahren zahllose Kino- und Fernsehproduktionen vertonte, darunter viele Edgar-Wallace- und Jerry-Cotton-Filme. Im Zentrum seines Schaffens steht die zu Recht legendäre Musik zur Science-Fiction-Serie »Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion«. Noch in den Nuller- und Zehnerjahren wurde dieser Sound von Easy-Listening- und Elektronik-Fricklern zitiert, gesamplet und ironisch reflektiert, etwa von Pulp oder den erwähnten Stereolab.
Das Label Mocambo Records hat nun bislang unveröffentlichtes Material aus dem Nachlass des 2020 verstorbenen Komponisten zugänglich gemacht. Die Sammlung »The Tape Masters Vol. 1 – Library Music« bietet einen eindrucksreichen Einblick in Thomas’ musikalisches Universum: Das Schlagzeug treibt, die Bläser schwelgen, alles swingt und glänzt. Die Gegenwart wird weichgezeichnet, verliert an Schärfe, alles wird angenehm entrückt, und die Zukunft war früher auch besser. Im Zusammenspiel mit »Diamantik« ergibt sich eine der schönsten Retro-Rutschen der vergangenen Jahre.
Mondo Sangue: Diamantik (Allscore / Indigo)
Peter Thomas Sound Orchester: The Tape Masters Vol. 1 – Library Music (Mocambo Records)
Das neue Album »Diamantik« liefert den Score zu einem Agentendrama, das es nicht gibt.
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