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Die gute alte Freiheit
Drei Stars in den 70ern, die in den 70ern bekannt wurden: Bruce Springsteen, Iggy Pop und Neil Young waren in Berlin
Alte weiße Rockmusiker unterwegs. In den letzten vier Wochen waren drei Stars in den 70ern, die alle in den 70er Jahren berühmt wurden, bei Berliner Open-Air-Konzerten zu sehen: Bruce Springsteen, Iggy Pop und Neil Young. Im Olympiastadion, in der Zitadelle Spandau und in der Waldbühne, alles ausverkauft.
Man kennt die drei zur Genüge: Rockstars, die bis ins hohe Alter stoisch weitermachen, wie ihre Kollegen im Jazz und Blues. Überraschend ist da nichts; diese Auftritte sind wie eine Mischung aus teuer, aber gut essen gehen und Sehenswürdigkeiten anschauen in echt, im Gedränge mit anderen Leuten, sagen wir: den Trevi-Brunnen in Rom. Dort kann man eine Münze reinwerfen und glauben, das bringe Glück. Oder man weiß, das Konzert wird gut, wenn Neil Young gleich als zweites Lied »Hey hey, my my« spielt (worauf sich im Refrain »Rock and roll can never die« reimt). Dann singt man mit wie im Fußballfangesang.
Bei Bruce Springsteen steht eine Frau vor der Bühne mit einem Schild: »30 shows – time for a hug?« Macht er: Springsteen kommt eine kleine Treppe von der riesigen Bühne runter und umarmt sie. Einmal trinkt er von einem Becher Bier, den ihm ein Fan hinhält. Das kann man auf drei großen Leinwänden sehen, die neben und hinter der Bühne hängen. Es wirkt wie ein Konzertfilm, allerdings mit ziemlich schlechtem Sound. Von meinem Platz in der Kurve genau gegenüber betrachtet, ist der reale Springsteen vielleicht so groß wie mein kleiner Finger. Neben mir sitzt eine Frau, die cremt sich zwischendurch ihre Hände ein, und es riecht nach Kamille.
Nur bei Neil Young in der Waldbühne gibt es keine Bildschirme. Dafür steht einer dieser mannshohen »Big Amps« auf dem Podium, so groß wie ein Kleinlaster. Ist der eigentlich echt oder nur Attrappe und Symbol? Der Sound ist jedenfalls sehr laut und sehr gut, der beste aller drei Konzertorte. Musik, die zu leise ist, wirkt oft wie eine Beleidigung, auf harmlos runtergedimmt. Bei Iggy Pop hat man den Eindruck, seine Musik wird doppelt so laut aufgedreht wie die seiner Vorband aus Berlin, die Verlierer. Die gelten als Punk, sind aber ganz lieb und wünschen gleich zweimal »Viel Spaß mit Iggy!«
Der kommt auf die Bühne, wirft zu »T. V. Eye« sofort seine Lederweste ab und spielt – wie schon immer – oberkörperfrei das kürzeste Konzert dieser drei Legenden, vielleicht 70 Minuten, doch es ist das wildeste. Fast nur schnelle Nummern, 80 Prozent sind Stooges-Songs aus der Prä- und Prototyp-Punkzeit, »Musik, die in den späten 6oern, frühen 70ern zu früh war und heute immer noch nicht zu spät ist«, wie Diedrich Diederichsen, dieses »anbetungswürdige Material« genannt hat und zwar vor 20 Jahren, als er Iggy Pop in Berlin sah.
Daran hat sich nichts geändert, außer Iggy Pops Körper; er ist nicht mehr so durchtrainiert, wie man auf den Leinwänden sehen kann. Jetzt hängt die Haut runter und wackelt mit, wenn er mit seinem Hüftleiden schnell über die Bühne hinkt. Wenn er sich am Mikrofonständer festhält, streckt er lasziv sein linkes Bein ab, eine alte sexy Pose von ihm, die ihm auch mit 78 noch gut steht. Rock ’n’ Roll ist Körper, das ist die Botschaft, die tatsächlich niemals stirbt. Und man kann ihn bewegen, immerzu. Vielleicht ist das der Grund, warum das Iggy-Publikum am meisten gemischt ist: Frauen und Männer in T-Shirts in Jung und Alt, wie auf einer zeitlosen Interrail-Reise, nur ohne Rucksack. Mit 80 Euro Eintritt sind es auch die billigsten Karten – alle müssen stehen, wie auch Iggy Pop auf der Bühne, der sich nur zweimal kurz vor das Schlagzeug setzt.
Sein ganzes Auftreten ist ein einziges Argument gegen Altersdiskriminierung. Sei du selbst – das ist die traditionelle Forderung aus der Zeit, als Springsteen, Pop und Young in der beginnenden Revolte der Hippiezeit erwachsen wurden, und die Iggy Pop weiterhin durchzieht. Auch wenn sich die meisten Menschen seiner Generation zu dick, zu alt oder zu schwach vorkommen mögen.
Springsteen wird dieses Jahr 76. Er ist der jüngste der drei Altstars, hat aber das älteste Publikum. Überwiegend 70 plus und überwiegend Männer. Die einen sehen aus, als kämen sie aus dem Büro, die anderen, als kämen sie aus dem Camper. Ältere Männer neigen dazu, sich zu dick anzuziehen. In der vollen, warmen U-Bahn zum Olympiastadion sehe ich sie in Thermohosen stehen, in Jacken und in Wollpullovern, von denen die vor ihnen sitzende Ehefrau auch mal einen Fussel wegstreicht. Die Springsteen-Fans achten auf sich, im Stadion sieht man kaum jemanden rauchen oder vapen. Und auch dem 7-Euro-Bier (Standardpreis bei allen drei Konzerten) wird wenig zugesprochen.
Bruce Springsteen trägt Anzug mit Weste und Krawatte, die er erst sehr spät auszieht. Dann sieht man, dass sein Hemd völlig durchgeschwitzt ist. Er bewegt sich nicht viel, beginnt Punkt 19 Uhr, spielt dann aber fast drei Stunden durch, die Pause zwischen dem Ende des normalen Sets und den acht Zugaben beträgt vielleicht 30 Sekunden. Langweilig ist es nie. Die Stimmung ist bedächtig ausgelassen. Mit seinem Rummel-Soul-Rock hat er das Publikum sofort im Griff, 1 A dargeboten von einem Dutzend Leuten auf der Bühne, darunter Steven Van Zandt als Chefgitarrist, assistiert von Nils Lofgren, obwohl sie doch mal als Konkurrenten galten, und Springsteens Ehefrau Patti Scialfa in der zweiten Reihe. Es gibt die Hits, die man erwartet (»Hungry Heart«, »Born to Run«, »Dancing in the Dark«) – nur »Born in the USA« kriegt er mit der Stimme nicht mehr hin. Er versucht es milder zu singen, klingt aber nicht so gut.
In den USA ist Springsteen oft damit beschäftigt, den Trumpisten bei ihren Veranstaltungen das Abspielen dieses Liedes (das ja mitnichten die Nationalhymne ist, für die sie es dummerweise halten) zu untersagen. »Wenn das Land reif ist für einen Demagogen, dann kann man sicher sein, dass einer auftaucht«, erklärt er dem Berliner Publikum in insgesamt drei Ansprachen gegen Trump, den er für einen »kriminellen Clown« hält, »der auf dem Thron sitzt und stiehlt, was er niemals besitzen kann«. Springsteen spricht Trumps Namen nicht aus, damit aber alle folgen können, werden seine Ansprachen auf den Leinwänden ins Deutsche übersetzt.
Es geht um die gute alte Freiheit, seit jeher das Versprechen Nummer 1 der Vereinigten Staaten, das Springsteen gleichnishaft im Lied »House of a Thousand Guitars« feiert. Freiheit, auf die okaye, solidarische Weise anstelle der Jeder-gegen-jeden-Variante, die Trump verbreitet, gegen den Springsteen wie ein alter, integrer Sozialdemokrat wirkt, der sich mitunter wie eine Art Gegenpräsident präsentiert. Trump hasst ihn dafür und lässt auf seinen Kanälen ein kurzes Video laufen, in dem er einen Golfball schlägt und damit Springsteen von der Bühne schießt – es ist die Montage eines seiner Anhänger.
Für Neil Young, dessen Publikum eine Mischung aus dem von Springsteen und Pop darstellt (mit den meisten langhaarigen und bärtigen Männern ab 50), besteht die gute alte Freiheit darin, mit seiner Viermannband namens The Chrome Hearts im hymnischen Lärm zu versinken. An der Orgel sitzt Spooner Oldham, der ist noch zwei Jahre älter als Young, der im November 80 wird. Mit Mütze und Joppe sieht Young unspektakulär aus, wie eben auf einer Farm vom Traktor gestiegen. Er hält keine Ansprachen, fragt nur zwei-, dreimal ins Publikum, ob’s gut geht, und versammelt sich meistens mit dem zweiten Gitarristen Micah Nelson (Sohn von Willie Nelson) und dem Bassisten Corey McCormick im Halbkreis. Sie stecken ihre Köpfe und Instrumente zusammen wie Kinder auf dem Schulhof, die ihre Spielkarten tauschen, und lassen diese ausufernden Neil-Young-Songs strömen: So melodisch wie kräftig reißen sie einen rein und nehmen einen auf lange Feedback-Reisen mit. Das kriegt kaum jemand sonst so hin. Das Publikum jubelt oft zu früh, wenn sie noch gar nicht zu Ende sind. Man kann sagen, Neil Young spielt in den Applaus rein. Ein erhebendes Erlebnis.
Obwohl er wie Springstseen Trump ablehnt, erwähnt er ihn nicht. Auch Iggy Pop lässt das bleiben. Aber Neil Young spielt eine Zugabe. Es ist »Keep on rockin’ in the free world«. Vorher sagt er: »Es ist eine verrückte Welt, wir müssen aufeinander aufpassen.« Danach verbeugt er sich in einer Reihe mit der Band.
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