Für ein besseres Deutschland allzeit treu die Tuba gespielt

Broschüre mit Erinnerungen an das Wachregiment »Felix Dzierzynski«

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch die vielen Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit, die nicht dem Wachregiment angehörten, hatten Uniformen.
Auch die vielen Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit, die nicht dem Wachregiment angehörten, hatten Uniformen.

Hilmar König ist 89 Jahre und muss seinem Alter Tribut zollen. Er bewegt sich an einem Rollator durch ein Berliner Pflegeheim und bekommt über einen Schlauch Sauerstoff in die Nase. Trotzdem wuchtet König seine schwere Tuba hoch, greift hinter sich zu einem Liederbuch der FDJ aus dem Jahr 1947 und spielt in kräftigen Tönen das alte Arbeiterlied »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit«. Frieden und Gerechtigkeit sind ihm bis heute wichtig.

Das Tubaspielen hat Hilmar König im Posaunenchor der evangelischen Kirche gelernt. Ab 1957 diente er im Wachregiment des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit – und spielte dort Tuba im Orchester des Regiments bis Anfang 1990. Mit Andenken von Urlaubsreisen, darunter bunt bemalten Rumba-Rasseln aus Kuba, hat der 89-Jährige sein Zimmer ausgestaltet – und mit vielen Fotos. Das größte Foto zeigt seine vor drei Jahren verstorbene Frau als 16-jähriges Mädchen. Hilmar König selbst ist bei Auftritten seines Orchesters zu sehen. Die alten Uniformen hängen im Schrank. Auch eine Mütze der Reichsbahn, bei der König einst eine Schlosserlehre absolvierte, hat er aufgehoben.

An die 60 Männer und eine Frau gehörten dem Orchester an. König hält zu etlichen noch Kontakt. Doch musste er schon hinter viele der Namen in seiner Telefonliste ein Kreuz setzen. Einstudiert hatte das Orchester fast alle Nationalhymnen der Welt. Denn bei der Amtseinführung von Botschaftern oder beim Empfang von Staatsgästen zogen die Musiker mit klingendem Spiel und an der Seite einer Ehrenformation vor das Staatsratsgebäude in Berlin. Zum Repertoire gehörten aber auch klassische Stücke und Tanzmusik, traten die Musiker doch auch vor Ostsee-Urlaubern auf, bei Frauentagsfeiern und Betriebsvergnügen. Rundfunk und Fernsehen übertrugen Konzerte. Hilmar Königs Tuba ist nun auf Seite 46 einer Broschüre über das Wachregiment »Felix Dzierżyński« abgebildet. Ebenfalls abgebildet ist auch ein Band der Chronik des Musikkorps, die der 89-Jährige aufbewahrt hat. Sechs Seiten sind dem Orchester gewidmet.

Ansonsten sind in der Broschüre etwa Uniformen, Orden und Urkunden zu sehen, Dienstordnungen und ein Einsatzbefehl. Es gibt nur wenig Text. Der Fahneneid ist aufgenommen. Die Soldaten schworen, ihrem Vaterland DDR »allzeit treu zu dienen«, es »gegen jeden Feind zu schützen«, »unbedingten Gehorsam zu leisten« und die Ehre des Ministeriums für Staatssicherheit zu wahren. Sollten sie jemals ihren Eid verletzten, so möge sie »die harte Strafe der Gesetze unserer Republik und die Verachtung des werktätigen Volkes treffen«.

In einer kurzen Einleitung beschreibt der ehemalige Politoffizier Lothar Tyb’l den Werdegang des Regiments. Am 4. November 1949 als Wachbataillon der Volkspolizei gebildet, wurde es im Januar 1951 dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt und sicherte dessen Objekte. Ab 1967 trug das Regiment den Namen von Felix Dzierżyński, Kopf des sowjetrussischen Geheimdienstes Tscheka. Anfang 1990 dienten 11 000 Mann im Wachregiment, die bis Ende März ausgemustert wurden. Das Regiment beendete seinen Dienst »ohne Waffengewalt, friedlich«, wie Tyb’l festhält.

14 Männer halfen beim Zusammenstellen der Publikation, die für 23,50 Euro verkauft wird. Um die Gestaltung kümmerte sich mit Erwin Meißler einer, der weder zum Regiment gehörte noch überhaupt Wehrdienst geleistet hatte. Doch der heute 69-Jährige, der im sowjetischen Donezk Volkswirtschaftsplanung studierte, hatte mit dieser Ausbildung nach der Wende keine Perspektive mehr. Mit seinem Schwiegervater, einem alten NVA-Oberst, gründete Meißler deshalb einen kleinen militärwissenschaftlichen Verlag. »Ich bin kein Militär, überhaupt nicht. Aber mich interessiert die Geschichte«, sagt Meißler.

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