Werbung

Zollpolitik: »Mutter aller Handelskriege«

Ökonomen sehen Parallelen zum wirtschaftlichen US-Nationalismus der 1930er Jahre

Statue des früheren US-Präsidenten Herbert Hoover in Puerto Rico
Statue des früheren US-Präsidenten Herbert Hoover in Puerto Rico

Offene Märkte und Globalisierung hätten in den vergangenen 80 Jahren die Basis für ein regelbasiertes internationales System und eine florierende Weltwirtschaft gebildet, sagte Christine Lagarde dieser Tage in ihrer Berliner Rede. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) sieht diese Weltordnung aner erschüttert. Ohne Donald Trump beim Namen zu nennen, kritisierte Lagarde die US-Handelspolitik und die ständigen Drohungen mit hohen Zöllen. Die gleiche Kritik war kürzlich auch von den Staatschefs auf dem Gipfeltreffen der Schwellenländergruppe Brics zu hören. Das jetzt endende 90-tägige Moratorium für Strafzölle und erste Einigungen mit China änderten nichts daran, dass sich die Weltwirtschaft in einem zumindest kalten Handelskrieg befindet. Wissenschaftler sehen Parallelen zu den 1930er Jahren, als die US-Politik eine globale Krise auslöste.

Seinerzeit führte Präsident Herbert Hoover, Republikaner wie Trump, kurz nach einer Wirtschaftskrise in den USA protektionistische Zölle für Tausende Waren ein. Das Zollgesetz von 1930, der Smoot-Hawley Tariff Act, begann vergleichsweise harmlos mit dem Ziel, notleidenden Landwirten zu helfen, weitete sich dann aber zur völligen Neufassung des US-Zollrechts aus.

Die wichtigsten Handelspartner reagierten mit eigenen Abgaben, Einfuhrbeschränkungen und Boykotten gegen US-Produkte. In der Folge sanken die Ausfuhren der USA in Länder, die Vergeltungsmaßnahmen ergriffen, um bis zu 33 Prozent. Aber auch in Länder, die lediglich mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht hatten, nahmen die Ausfuhren um bis zu 22 Prozent ab, zeigt eine neue Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Der Rückgang war jeweils bei den wertmäßig wichtigsten US-amerikanischen Exportprodukten – namentlich bei Autos und landwirtschaftlichen Erzeugnissen – besonders stark ausgeprägt.

Hoovers Zollhammer verursachte nicht allein einen dramatischen Rückgang des Außenhandels der Vereinigten Staaten. Deutschland und andere Staaten folgten dem US-Beispiel eines ökonomischen Nationalismus. Dadurch schrumpfte der Welthandel bis 1933 um etwa zwei Drittel. Was die internationale Krise dramatisch verschärfte, wenn nicht sogar erst zu einer Weltwirtschaftskrise ausufern ließ.

US-Präsident Donald Trump hat in jüngster Zeit wiederholt behauptet, dass »Handelskriege gut und leicht zu gewinnen« sind. Die historische Perspektive legt jedoch das Gegenteil nahe. »Unsere Analysen zur ›Mutter aller Handelskriege‹ – demjenigen, den die USA 1930 mit anzettelten –, belegen, dass dieser nicht nur für die USA schädlich war, sondern für alle Volkswirtschaften weltweit«, sagt Kirsten Wandschneider. Die IfW-Expertin für Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte hat mit Kollegen die Studie »Handels- und Währungskriege – Lehren aus der Geschichte« verfasst. Die Analyse beruht auf einem Datensatz für 99 Länder, Kolonien und Ländergruppen und deckt den größten Teil des damaligen Welthandels ab.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Wie nun das IfW haben linke Ökonomen – von John Kenneth Galbraith über Joseph E. Stiglitz bis Rudolf Hickel – in der Vergangenheit immer wieder auf eine weitere Gefahr hingewiesen: Handels- und Währungskriege gehen Hand in Hand. Viele Länder reagierten auf die US-Politik und die Wirtschaftskrise, indem sie das globale Währungssystem, den internationalen Goldstandard, aufgaben. So werteten zwischen 1929 und 1936 mehr als 70 Länder ihre Währung gegenüber Gold ab. Angesichts dieses weltweiten Währungs-Dumpings sank der internationale Handel weiter. Die Rolle des Goldes hat dann nach dem Zweiten Weltkrieg der US-Dollar als Leitwährung übernommen. Vor diesem Hintergrund ist Trumps Geldpolitik zu lesen. Der US-Präsident hat jüngst mehrfach die Idee geäußert, den Dollar strategisch zu schwächen (um amerikanische Exporte zu fördern). Geostrategisch zielt Trumps Politik im Kern auf China, das er als einzigen zukünftigen Rivalen der USA fürchtet.

Ausgerechnet die Volksrepublik wirbt nun angesichts der durch Trump verursachten Turbulenzen auf den Weltmärkten für seinen Renminbi als internationale Handels-, Kredit- und Reservewährung. Doch schon die kurzfristigen Auswirkungen sind unabsehbar. Auch für Europa: Mehrheitlich erwarten Ökonomen eine im Trend niedrigere Inflation im Euroraum. Ein niedrigeres Wachstum in den USA und eine höhere Staatsverschuldung Washingtons infolge von Trumps Politik könnten zugleich den Euro stärken. EZB-Präsidentin Lagarde sieht jedenfalls Chancen für Europa. Offenbar will sie signalisieren, dass der Euro ein sicherer Hafen für Investoren sei.

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.