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Verbrannt in einer Gefängniszelle: Erinnern an Ferhat Mayouf
Vor fünf Jahren verbrannte Ferhat Mayouf in seiner Zelle. Aktivisten erinnern daran und fordern die Abschaffung aller Gefängnisse.
»Ferhat Mayouf – kein Vergeben, kein Vergessen« ist auf einem Transparent zu lesen, das Demonstrant*innen am Mittwoch in der Turmstraße in Moabit hochhalten. Vor fünf Jahren, am 23. Juli 2020, starb Ferhat Mayouf in seiner Zelle in der JVA Moabit. Antirassistische, gefängniskritische und antikapitalistische Gruppen wie die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), die Rote Hilfe Berlin und Death in Custody haben deswegen zu einer Demo unter dem Motto »Ausgegrenzt, kriminalisiert, ermordet – alle Knäste abschaffen!« aufgerufen. »Im Knast landen vor allem Menschen, die von Armut, Rassismus, Abschiebungen, Wohnungslosigkeit, traumatischen Biografien und psychischen Krisen betroffen sind«, heißt es im Aufruf, der vom Lautsprecherwagen verlesen wird. »Das bloße Dasein dieser Menschen wird kriminalisiert.«
Die Demo startet am »Döner Turm« in der Turmstraße. Es hat den ganzen Tag geregnet und so sind nur rund 50 Menschen da. »Für uns steht fest, das war Mord«, ruft die Stimme aus dem Lautsprecherwagen. Rechtsanwalt Benjamin Düsberg drückt es etwas anders aus: »Sein Tod war ein Justizverbrechen.« Düsberg hat Ferhat Mayouf in dessen Untersuchungshaft und nach dessen Tod dessen Bruder juristisch vertreten.
Der 36-jährige Algerier Ferhat Mayouf wurde Ende Juni 2020 festgenommen, er sollte geklaut haben. Trotz dieses geringfügigen Vergehens kam Mayouf in Untersuchungshaft. Mehrere Initiativen haben eine Broschüre zu seinem Fall herausgegeben. Demnach verletzte sich Mayouf in der U-Haft aus Verzweiflung selbst. »Anstatt Hilfe zu bekommen, wird er von den Schließern verprügelt, kommt in Isolationshaft, anschließend wird er wieder mit sich alleine gelassen«, heißt es in dem Heft. Bei einem Haftprüfungstermin am 20. Juli 2020, nur drei Tage vor Mayoufs Tod, habe die zuständige Richterin die Haftanstalt explizit auf die Suizidgefahr hingewiesen. Passiert sei jedoch nichts. Mayouf blieb ohne ärztliche Hilfe 23 Stunden am Tag allein in seiner Zelle.
Am 23. Juli 2020 brach in Mayoufs Zelle ein Feuer aus. Er starb an einer Rauchgasvergiftung. Doch es war wohl kein Suizidversuch, denn Mayouf hämmerte vor seinem Erstickungstod an die Zellentür, rief um Hilfe. Vier Wärter kamen zu seiner Zelle, aber anstatt sie zu öffnen und den ihnen anvertrauten Gefangenen zu retten, riefen sie die Feuerwehr und blieben ansonsten untätig. Als die Feuerwehr 27 Minuten später eintraf, war der 36-Jährige bereits tot. Die Staatsanwaltschaft hat den Tod Mayoufs schnell als Suizid abgetan und Ermittlungen mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Die Wärter hätten korrekt gehandelt.
»Wir gehen davon aus, dass Mayouf noch hätte gerettet werden können«, sagt hingegen Rechtsanwalt Düsberg. Er spricht auch zu Beginn der Demo: »Ich habe Ferhat Mayouf als einen lebensfrohen Menschen mit einem unbändigen Freiheitswillen kennengelernt. Er wollte nicht sterben, er wollte leben. Doch er stieß an die engen Moabiter Mauern und Gitter und geriet an ignorante Justizbeamte.« Der Anwalt kritisierte die Gleichgültigkeit gegenüber eingesperrten Menschen und die mangelnde juristische Aufarbeitung. Doch Ermittlungen könnten bei neuen Anhaltspunkten jederzeit aufgenommen werden. »Wir bleiben dran.«
»Wir finden es wichtig, weiter jedes Jahr Ferhat Mayoufs zu gedenken und gleichzeitig auch über die Umstände zu sprechen, die zu seinem Tod geführt haben«, sagte Lotta Maier, Mitorganisatorin der Demo und Sprecherin der Initiative Death in Custody. Mayouf hatte keinen regulären Aufenthaltstitel in Deutschland. »Er musste deswegen illegalisiert leben und wahrscheinlich auch arbeiten«, so Maier. Dazu kommt: »Er wurde wegen eines belanglosen Diebstahlsvorwurfs festgenommen und kam dann eben dadurch, dass er keinen Aufenthalt und auch keine reguläre Wohnadresse hatte, sofort in Haft. Das wäre einer deutschen Person nicht passiert.« Mayouf sei isoliert worden und habe keine Hilfe erhalten. »Und letzten Endes haben sie ihn verrecken lassen, als es in seiner Zelle brannte«, so Maier.
»Knast ist für alle Gefangenen eine psychische Ausnahmesituation.«
Nanuk
antifaschistischer Gefangener
Der Regen macht eine Pause und die Demo setzt sich in Bewegung, unter den unangenehmen Blicken von Polizist*innen des Staatsschutzes, die sich mehrere der Teilnehmenden genau anschauen. Das hält diese allerdings nicht davon ab, äußerst polizeikritische Parolen sowie den Klassiker »Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen!« zu rufen. Die kleine Demo erinnert die Menschen in Moabit daran, dass sich mitten in ihrem Viertel ein Komplex befindet, in dem Menschen eingesperrt und gegängelt werden und manche von ihnen sterben.
Während der Zwischenkundgebung vor der JVA Moabit stehen mehrere Insassen an den Fenstern, rufen und winken und werden mit Sprechchören begrüßt. Redner*innen erinnern an den in Dortmund erschossenen Mouhamed Dramé und den ebenfalls in Moabit einsitzenden kurdischen Aktivisten Mehmet Karaca. Auch mehrere Gefangene und ehemalige Gefangene kommen zu Wort.
Thomas Meyer-Falk hat einen selbst eingesprochenen Redebeitrag aus Freiburg geschickt. »Jeden Monat versuchen in Berliner Gefängnissen Inhaftierte, sich das Leben zu nehmen. Auch hier in der JVA Moabit«, ist seine ruhige Stimme zu hören. Der 54-jährige Linke hat sein halbes Leben in Haft verbracht und kam erst 2023 frei. »Die Lebensbedingungen hinter diesen dicken hohen Mauern sind unerträglich. Für alle. Aber es gibt Menschen, die daran vollständig zerbrechen«, sagt er.
Auch ein Redebeitrag des Antifaschisten Thomas J., genannt Nanuk, wird verlesen. »Knast ist für alle Gefangenen eine psychische Ausnahmesituation«, so Nanuk, der seit Oktober 2024 hier in Moabit in U-Haft sitzt. »Abgeschnitten, von allen vertrauten sozialen Bindungen wie Familie und Freundinnen. Für einige der Gefangenen ist Knast so belastend, dass sie stundenlang gegen die Zellentüren schlagen, immer wieder schreien oder sich selbst verletzen. Sie gehören nicht in die JVA, ohne psychiatrische Hilfe.« Nanuk berichtet von Willkür und Diskriminierung durch einzelne Schließer, die er habe mitansehen müssen. Auch habe es während seiner Haftzeit mehrere Fälle von versuchter oder angedrohter Selbsttötung gegeben. Sein Fazit: »Wenn Menschen eingesperrt werden, weil sie keinen deutschen Pass haben, aus der Not heraus kleinere Diebstähle begehen oder einfach kein Geld für Bahntickets haben, dafür aber Milliardenbetrüger Bewährungsstrafen und Haftverschonung bekommen, dann bestraft dieses Justizsystem Armut.«
Angesichts des Todes von Ferhat Mayouf und der auf der Demo geschilderten Zustände im Knast überrascht es umso mehr, dass die JVA Moabit erst Anfang Mai den Suizidpräventionspreis 2024 erhalten hat. »Die Verleihung des Preises an die JVA Moabit ist ein Zeichen der Wertschätzung für Menschen, die genau hinschauen«, gratulierte damals Justizsenatorin Felor Badenberg.
Die Gefangenen spürten davon jedoch nichts, sagt Thomas Meyer-Falk. »Wer alleine in der engen Zelle sitzt, verloren, in der Regel von der Außenwelt vergessen, der sieht allzu oft im Sterben nur noch den einzigen Ausweg. Es kann deshalb nicht um ›Suizidprävention‹ gehen, sondern Ziel ist und muss die Abschaffung des Knastsystems sein. Ferhat Mayouf wird das nicht mehr ins Leben zurückbringen. Aber das jährliche Gedenken an ihn und all die Toten wird hoffentlich immer mehr Menschen dazu bringen, sich für eine Welt ohne Gefängnisse einzusetzen.«
Auch Mitorganisatorin Lotta Maier empfindet die Preisverleihung an die JVA als zynisch: »So einen Preis zu vergeben, ist eigentlich ein Hohn für die Menschen, die da gefangen sind, und für die Angehörigen, die Menschen dort verloren haben.« Zwischen 2012 und Mitte 2024 habe es in Berliner Knästen 107 Zellenbrände gegeben, dabei seien fünf Menschen gestorben. Maier findet es wichtig, den Zusammenhang zwischen Kriminalisierung von Armut und Knast mehr zu thematisieren: »Vielen Menschen ist gar nicht so bewusst, dass sehr viele Menschen aus Armutsgründen im Knast landen und nicht, weil sie eine Bedrohung für andere Menschen darstellen würden.« Die Themen Sozialabbau, Armut, Kriminalisierung von Armut und Antiknastarbeit müssten mehr zusammengedacht werden, um mehr Leute für dieses Thema zu sensibilisieren. Zum Abschluss der Kundgebung wurde dazu aufgerufen, Briefe an die Gefangenen zu schreiben. Das könnte ein Anfang sein, die Isolation zu durchbrechen.
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