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- Kulturzentrum unter Druck
Russisches Haus in Berlin: Anton Tschechow, ein Putin-Agent?
Ein Besuch im Russischen Haus in Berlin, über dessen Schließung einige deutsche Politiker laut nachdenken
Hinten links im Erdgeschoss des Russischen Hauses in der Berliner Friedrichstraße hängt eine kleine Ausstellung über Alexander Schmorell. Geboren im September 1917 als Sohn eines ostpreußischen Pelzhändlers im russischen Orenburg, gelangte Schmorell 1921 nach München, wo er schließlich im Sommer 1943 hingerichtet wurde. Schmorell gehörte zur antifaschistischen Widerstandsgruppe »Weiße Rose«. Ein Foto zeigt ihn in Wehrmachtsuniform mit Hans Scholl an der Ostfront. Zu sehen gibt es auch eine Kopie eines Flugblatts der »Weißen Rose« vom Januar 1943. Darin heißt es mahnend: »Glaubt nicht der nationalsozialistischen Propaganda, die Euch den Bolschewistenschreck in die Glieder gejagt hat!«
Zehn Ausstellungen laufen in dem großen Block. Manche sind drei Monate zu sehen, manche ein Jahr lang und die zum 40. Geburtstag des Russischen Hauses der Wissenschaft und Kultur konzipierte Ausstellung sogar noch länger. Sie befasst sich auch mit dem möglichen frühen Ende der Einrichtung. Denn 1992 hatte Vize-Ministerpräsident Michail Poltoranin das Filetstück in bester Innenstadtlage an eine deutsche Firma übertragen. Er hatte sich dafür einen Ukas, also einen Erlass, von Präsident Boris Jelzin unterschreiben lassen – »in Überschreitung seiner Befugnisse«, wie es heißt. Der Deal wurde gerichtlich gekippt. 2009 versuchte Kaufmann Franz Sedelmayer, das Haus zwangsversteigern zu lassen, um eine offene Forderung an Russland von fast fünf Millionen Euro einzutreiben. Auch daraus wurde nichts.
In diese Reihe gestellt finden sich aktuelle Bestrebungen, das Russische Haus zu beseitigen. Die dazu präsentierten Schlagzeilen lauten: »Putins Propaganda-Palast mitten in Berlin« (»Augsburger Allgemeine«), »Russisches Haus in Berlin auf Sanktionsliste« (»Tagesspiegel«) und »Kreml-Propaganda-Zentrale darf einfach weitermachen« (»Bild«). Der Berliner Abgeordnete Alexander Freier-Winterwerb (SPD) und der Bundestagsabgeordnete Robin Wagener (Grüne) sprachen sich dafür aus, das Haus zu schließen.
Wagener will nicht, dass die Bundesrepublik weiter die Grundsteuer für das Areal bezahlt. 70 000 Euro waren es im vergangenen Jahr. Der Abgeordnete fragte an, ob der Weiterbetrieb des Hauses nicht im Widerspruch dazu stehe, dass der Betreiber – die Agentur Rossotrudnichestwo – auf der Sanktionsliste der EU stehe und ob die Mittel für die Grundsteuer nicht gesperrt werden könnten, solange dies so sei? Im Juni antwortete ihm das Auswärtigen Amt, dass die Bundesrepublik mit der Übernahme der Summe ihren rechtlichen Verpflichtungen aus einem Abkommen zu Kulturinstituten von 2013 nachkomme. Es ist quasi ein Austauschgeschäft. Denn in Moskau, St. Petersburg und Nowosibirsk existieren nach wie vor deutsche Goethe-Institute.
Die Begründung, warum das nicht mehr zählen soll? Die schlimme Rolle, die das Haus an der Friedrichstraße durch Kulturdiplomatie in Deutschland spiele. In den Veröffentlichungen dazu immer wieder genannt: Ein im Kino des Hauses gezeigter Dokumentarfilm über den Holocaust, in dem Ukrainer als Nazis dargestellt seien.
Aufgeführt wurde dieser 2021 von einem südamerikanischen Regisseur gedrehte Streifen über die Ermordung der Juden in Belarus vor lediglich zwölf Zuschauern zum 80. Jahrestag der Vernichtung des Ghettos von Minsk, wie Pavel Izvolskiy dem »nd« sagt. Seit 2017 ist er Direktor des Russischen Hauses. Vorher war er beim staatlichen Atomenergiekonzern Rosatom für internationale Beziehungen zuständig.
»Niemand hat diesen Film gesehen, aber alle behaupten, in diesem Film werden alle Ukrainer als Nazis dargestellt – und das ist eine Lüge«, sagt Izvolskiy. Er ist von Hause aus Historiker, hat dann aber auch noch an einer diplomatischen Akademie studiert, wie er erzählt. Wenn von 300 Filmen, die von 2022 bis jetzt im Kino gezeigt wurden, nur einer Propaganda sein solle, dann ist das nach Ansicht von Izvolskiy ein Beleg, dass das Russische Haus »eigentlich null Propaganda« mache. Denn wenn die Kritiker Beispiele derart suchen und finden müssten, dann gebe es offensichtlich keine. Für Politik sei die Botschaft zuständig, winkt der 52-Jährige ab. Das Russische Haus kümmere sich um Kultur. Dass unter den Russisch sprechenden Gästen 30 Prozent Ukrainer seien, kann Izvolskiy sagen. Wie sie politisch denken, wisse er nicht, »weil wir danach nicht fragen«. Jeder sei willkommen. Das Haus solle ein »Treffpunkt für alle sein«.
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Rund 200 000 Besucher pro Jahr werden am Eingang automatisch gezählt. Es seien erfahrungsgemäß je fast zur Hälfte Menschen, deren Muttersprache Russisch oder Deutsch sei. Um die 30 Veranstaltungen im Monat gebe es und jeweils 500 Menschen lernen gleichzeitig vor Ort Russisch oder schalten sich im Internet zu einem Sprachkurs dazu. Bei Filmvorführungen und Vorträgen werde kein Eintritt kassiert, nur bei wenigen Veranstaltungen wie Theateraufführungen, erläutert Izvolskiy. Dabei sind 60 Beschäftigte zu bezahlen und allein die Instandhaltungskosten belaufen sich auf 100 000 Euro im Jahr. 200 000 bis 300 000 Euro fließen in die schrittweise Renovierung. Das Geld kommt aus dem Staatshaushalt. Die auf der Sanktionsliste stehende Agentur Rossotrudnichestwo stelle die Arbeit des Hauses übrigens nur sicher, sei aber nicht sein Träger, bemüht sich Izvolskiy um Klarstellung. Politiker und Journalisten, die sich zum Russischen Haus äußern, lädt er ein, sich persönlich ein Bild zu machen. Die wenigsten seien darauf eingegangen wie der BSW-Landesvorsitzende Alexander King.
King fragt: »Was hätte es für einen Sinn, das Russische Haus zu schließen oder gar zu beschlagnahmen?« Das hätte null Auswirkung auf den schrecklichen Krieg in der Ukraine, aber nachhaltig negative Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. »Wir werden auch nach dem Krieg mit Russland und seinen Menschen zusammenleben müssen und wollen«, argumentiert King. »Jetzt alle Brücken abzureißen, jeden Gesprächsfaden zu durchtrennen, ist ein Irrsinn sondergleichen.«
Brücken bauen zwischen Deutschen und Russen, diesen Auftrag gebe es schon seit 1984, erklärt Izvolskiy. Damals waren natürlich andere Völker der Sowjetunion mit gemeint, aber Russland für sich ist ebenfalls ein Vielvölkerstaat. Selbst seit 2022 habe sich nicht viel geändert – nur dass mehr Filme gezeigt und weniger Konzerte gegeben werden, sagt Izvolskiy. Denn die Musiker herbeizuholen sei logistisch schwieriger geworden, weil es beispielsweise keine Direktflüge mehr gebe.
Wer nicht vorbeischauen wolle, könnte sich doch das im Internet veröffentlichte Programm anschauen und so ein Urteil bilden, meint Izvolskiy. Auf die Bühne gebracht wurde neulich Anton Tschechows Theaterstück »Der Kirschgarten«. Dieses Meisterwerk hatte seine Uraufführung im Januar 1904 in Moskau erlebt – ein halbes Jahr vor dem Tod des Schriftstellers.
Um Belege für Verfehlungen gebeten, verweist das Büro des Abgeordneten Wagener auf eine Studie des Ukrainischen Instituts in Kiew von 2024. In dieser Studie zur russischen Kulturdiplomatie in Deutschland wird auch das Russische Haus behandelt. Vor 2022 haben sich dort neben kremlfreundlichen Kreisen auch Oppositionelle und Liberale versammelt, heißt es. Aber bereits 2014 sei in dem Haus das Buch »Neonazis und Euromaidan« präsentiert worden, in dem sich »aufgebauschte Behauptungen über den ›Neonazismus‹ in der Ukraine« fänden. 2018 sei der Film »Donbass« mit seinen Fälschungen gezeigt worden – etwa der »Erschießung von Zivilisten durch das Bataillon Asow«. Diese Einheit ist von Rechtsextremisten mindestens durchsetzt gewesen, wie aus einer Dokumentation der wissenschaftlichen Dienste des Bundestags von 2022 hervorgeht.
»Niemand hat diesen Film gesehen, aber alle behaupten, in diesem Film werden alle Ukrainer als Nazis dargestellt.«
Pavel Izvolskiy Direktor
Genannt wird vom Ukrainischen Institut auch eine Ausgabe von Reden Wladimir Putins an die Deutschen, die der Chefredakteur des rechten Compact-Magazins 2014 im Russischen Haus vorgestellt habe. Chefredakteur Jürgen Elsässer erwähnt das in seiner Autobiografie. »Überhaupt keine Hilfe bei der Putin-Edition war übrigens die russische Botschaft«, schreibt er. »Ich sprach dort einmal vor und fragte nach Unterstützung bei der Beschaffung und Übersetzung von Texten, vor allem beim Organisieren von Fotos.« Ihm seien eine Menge Versprechungen gemacht, aber keine eingelöst worden. Der Kontakt habe sich lediglich in einer Sache ausgezahlt: »Wir konnten unsere Putin-Edition im Russischen Haus an der Friedrichstraße vorstellen.«
Die DDR hatte den fünf Etagen zählenden Block mit den Hausnummern 176–179 ab Herbst 1981 gebaut und der Sowjetunion geschenkt. Er wurde am 5. Juli 1984 eröffnet. Architekt Karl-Ernst Swora ließ sich vom modernistischen Stil in der Sowjetunion inspirieren. So erinnert das Russische Haus eher an die Gebäude für die Nachrichtenagentur Tass und den Obersten Sowjet in Moskau als an den Palast der Republik und das Bettenhochhaus der Universitätsklinik Charité, die ebenfalls Sworas Werk sind. Die Jubiläumsausstellung zeigt das Übergabeprotokoll und Möbel aus dem Restaurant »Wolga«, das es nicht mehr gibt. Von 1988 bis 1992 war der Kosmonaut Waleri Bykowski Direktor. Er flog 1978 mit Sigmund Jähn, der dadurch als erster Deutscher im All berühmt wurde.
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