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Intel in Magdeburg: Schwarzes Loch statt Mondlandung

Nach der endgültigen Absage des Chipriesen übt man sich in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt in Zweckoptimismus

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor den Toren Magdeburgs wurde mit viel Aufwand ein großes Gewerbegebiet für Intel erschlossen.
Vor den Toren Magdeburgs wurde mit viel Aufwand ein großes Gewerbegebiet für Intel erschlossen.

Als der US-Halbleiterriese Intel im März 2022 die Pläne zur Errichtung einer riesigen Chipfabrik in Magdeburg bekannt gab, konnten die sprachlichen Bilder gar nicht gewagt genug sein. Das Projekt werde »unsere Mondlandung«, sagte der SPD-Politiker Falko Grube damals und zog damit Parallelen zu dem historischen Ereignis im Juli 1969, als mit dem US-Astronauten Neil Armstrong erstmals ein Mensch auf dem Erdtrabanten gestanden hatte.

Die hochfliegenden Träume in Sachsen-Anhalt haben den Mond allerdings nicht erreicht; vielmehr stecken das Bundesland und seine Landeshauptstadt seit Freitag in einem schwarzen Loch. An dem Tag beerdigte Intel endgültig das Bauvorhaben in Magdeburg, dessen Umsetzung man im vorigen September bereits auf unbestimmte Zeit verschoben hatte. Spätestens seit diesem Zeitpunkt gab es erhebliche Zweifel, ob Intel tatsächlich kommt. Nun habe man wenigstens Klarheit, sagte CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff, der dennoch von einem »herben Rückschlag« sprach – für das Bundesland und für Europa.

Europa hatte sich von Chipfabriken wie der von Intel erhofft, die Abhängigkeit von fernöstlichen Halbleiterproduzenten zu verringern. Diese hatte vor allem während der Corona-Pandemie mit ihren gestörten Lieferketten zu Problemen in vielen Branchen geführt. Mit derlei strategischen Überlegungen rechtfertigte die frühere Ampel-Koalition die Zusage von 9,9 Milliarden Euro Fördergeld, fast ein Drittel der geplanten Bausumme von 30 Milliarden Euro. Die jetzige Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) sagte, solch hohe Einzelförderungen wolle man künftig sorgfältiger prüfen. Bei einem Termin in der sachsen-anhaltischen Chemieregion an diesem Montag wollte sie aber mit Haseloff und ihrem Landeskollegen Sven Schulze (CDU) Möglichkeiten prüfen, wie der Verlust für das Land aufgefangen werden könne.

Für Sachsen-Anhalt ging es um 3000 direkte Arbeitsplätze und Tausende weitere bei Zulieferern und Dienstleistern; es ging aber auch um Balsam für geschundene Seelen. Das Land mit dem Rote-Laterne-Image hatte erwartet, industriepolitisch in die Champions League aufzusteigen. Eva von Angern, Fraktionschefin der Linken im Landtag, sagte im Herbst: »Nach Jahrzehnten der Schrumpfung standen die Zeichen auf Wachstum.« Ihre SPD-Amtskollegin Katja Pähle hoffte, »das Ende von drei Jahrzehnten Deindustrialisierung, Arbeitsplatzverlust und Image als Billiglohnland auf einen Paukenschlag besiegeln« zu können.

In diese Hoffnung haben Land und Stadt enorm viel Arbeit, Zeit und Geld investiert. Um auf fruchtbarstem Ackerboden vor den Toren Magdeburgs den geplanten Gewerbepark entwickeln zu können, wurden durch eine eigens gegründete Landesgesellschaft für 160 Millionen Euro Flächen gekauft und für bisher 90 Millionen Euro erschlossen. Planungen für neue Straßen, den Nahverkehr, den Bau eines neuen Klärwerks und perspektivisch auch eines Wasserwerks liefen auf Hochtouren. Die Stadt machte sich Gedanken, wie bis zu 10 000 neue Einwohner mit Wohnungen, Kita- und Schulplätzen versorgt werden könnten. Studien zu Demografie und Mobilität wurden erarbeitet. Man habe »Millionen in Vorleistungen« gesteckt, sagte der Linke-Abgeordnete Thomas Lippmann. Er kritisierte, Bund und Land hätten »alles auf eine Karte gesetzt« und stünden nun »vor dem Nichts«.

Dem widersprach der Regierungschef. Alle Maßnahmen, die man mit Blick auf Intel angestoßen habe, würden sich »auch in Zukunft auszahlen«, sagte Haseloff und merkte an, es gebe bereits Anfragen namhafter Unternehmen für den Gewerbepark. Mit dem Dresdner Unternehmen FMC hat erst vor wenigen Tagen tatsächlich ein Halbleiterhersteller angekündigt, in Magdeburg eine Fabrik für Speicherchips zu bauen, allerdings nur auf 100 statt der für Intel reservierten 440 Hektar. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sprach Landesminister Schulze von einem »Milliardenprojekt«. Wie viele Jobs es bringt, ist unklar.

»Der Scherbenhaufen Intel muss sortiert werden.«

Thomas Lippmann 
Linksfraktion Sachsen-Anhalt

In der Stadt hofft man auf weitere ähnliche Entscheidungen. Die Regionalzeitung »Volksstimme« kommentierte, wenn sich ein Konzern wie Intel nach gründlicher Prüfung für Magdeburg entscheide, sei der Standort auch für andere attraktiv: »Der Teppich liegt noch da.« Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos) erklärte, man wolle die Flächen umgehend »auf dem internationalen Markt platzieren«.

Allerdings gibt es ein Problem: Die Flächen wurden bereits an Intel verkauft. Man solle nun klären, wie sie umgehend »wieder zurück in staatliche Hand« kommen, sagte Lippmann, der zudem verlangte, den »Scherbenhaufen« zu sortieren und transparent über Kosten, Nutzen sowie Verluste zu informieren. Die AfD hatte bereits im September sogar mit einem Untersuchungsausschuss zu dem Thema gedroht.

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