- Berlin
- Gewalthilfe
Ein sicherer Hafen für eine Nacht in Berlin
Das Frauen*Nachtcafé bietet Unterstützung, wenn andere Angebote Feierabend machen. Doch die finanzielle Situation ist prekär
Das Schaufenster des Frauen*Nachtcafés leuchtet am nassen und kalten Sommerabend zwischen den Gebäuden der kleinen Seitenstraße von Neukölln. An das Ladenschild wurden nachträglich die Buchstaben FLINTA angebracht, um alle Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen anzusprechen. Im Schaufenster können sich Passant*innen über das Angebot informieren, während der restliche Raum von riesigen Topfpflanzen, Lichterketten und einer Pride-Flagge eingenommen wird. Das Frauen*Nachtcafé öffnet die Türen, wenn die meisten anderen Projekte ihre schließen. Von Mittwoch, Freitag und Samstag ist es von 18 bis 24 Uhr geöffnet und bietet Frauen, trans-, inter und nicht-binären Personen einen Zufluchtsort. Wer in einer Krise steckt, ist willkommen.
Sechs Mitarbeiter*innen betreuen die Räumlichkeiten, sie möchten anonym bleiben. »Wir alle haben Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt«, sagen Mitarbeitende zu »nd«. Dies ist kein Zufall, sondern Teil des betroffenen-kontrollierten Ansatzes des Cafés. Die Erfahrungen des Teams werden als Ressource angesehen, die in die Arbeit einfließen kann. So können Nutzer*innen das Team fragen: »Hey, kennst du das auch?« Dadurch werde das Thema enttabuisiert und Nutzer*innen sind mit ihren Erfahrungen nicht alleine, erklärt das Team dem »nd«. »Wir sind Vorbilder, denn wir zeigen, dass es möglich ist, aus den Krisen herauszukommen.«
Die Schwerpunkte des Cafés sind Psychatrie-Prävention und Unterstützung bei Gewalterfahrungen – egal, ob es um strukturelle, organisierte, sexualisierte, psychische oder physische Gewalt geht. Pro Monat nehmen zwischen 80 und 130 Personen das Angebot wahr. Mit einer offenen Tür und für alle FLINTA* ab 18 Jahren ist das Frauen*Nachtcafé so gefragt, dass Menschen weite Wege auf sich nehmen. Von Spandau bis Bielefeld kommen Besucher*innen, um im Café Sicherheit und Solidarität für ein paar Stunden zu finden.
Das Nachtcafé setzt auf Hilfe zur Selbsthilfe, um durch einen sicheren Raum aus eigener Kraft aus einer Krise herauszufinden. »Es geht nicht darum, jemanden zu retten. Uns geht es darum, was im Moment hilfreich ist«, so das Team. Ziel sei es, zu vermitteln, dass die Besuchenden so sein dürfen, wie sie sind. Bei Bedarf stehen Interventionen und psychiatrische Prävention zur Verfügung. »Die Räume sollen Nutzer*innen die Möglichkeit geben, sich zu stabilisieren«, so Mitarbeitende. Dafür stelle man durch Empathie und Wertschätzung einen Schutzraum zur Verfügung.
Das Eingangszimmer des Cafés strahlt die gemütliche Atmosphäre eines Wohnzimmers aus. Eine Wand wird von Flyern verschiedener Hilfsangebote und einer Zeichnung von einem wilden Fluss bedeckt, es gibt Bücherregale, Sofas und Sessel mit Kissen und Decken. In einer Ecke sitzt eine*r Nutzer*in, auf einem Sofa arbeitet eine zweite Person am Laptop. Wenn in der Küche kein Beratungsgespräch stattfindet, können sich Nutzer*innen dort einen Tee machen oder sich am Kühlschrank an Schokoladenpudding bedienen. In einer kleinen Ecke gibt es einen Free-Shop, von dem sich Nutzer*innen Sachen nehmen können, ohne dafür bezahlen zu müssen. Im Flur gibt es ein Beratungszimmer mit mehr Privatsphäre.
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Eine Nutzerin erzählt dem »nd«, dass sie um die Ecke wohnt und regelmäßig das Frauen*Nachtcafé besucht. Vor zehn Jahren hat sie auf einer Suchtstation schlechte Erfahrungen gemacht. Es sei überfüllt gewesen, sagt sie. Kurz nachdem sie wieder zu Hause gewesen sei, sei es zu einem Sicherheitsvorfall gekommen. Es habe das gesamte Sicherheitspersonal sowie Hunde benötigt, um drei Personen ruhigzustellen. Das Café bietet ihr Gesellschaft, ein Gefühl von Sicherheit und gesundes Essen. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung ist schwierig für sie. 2019 musste sie neun Monate auf einen Ergotherapieplatz warten, doch die Therapie wurde dann aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt.
Das gesunde Essen wird durch wöchentliche Spenden der Tafel möglich gemacht. Beim Zubereiten von Salat, Kartoffeln, Zucchini, und Tempeh helfen die sechs Nutzer*innen den Mitarbeiter*innen oder sitzen in geselliger Schweigsamkeit in der Küche. Aus einer grünen Box werden Messer geholt, später wieder zurückgelegt und ins Büro gebracht. »Das machen wir auf Wunsch von unseren Nutzer*innen. So sind scharfe Gegenstände nicht allzu zugänglich«, erklärt eine Mitarbeitende. Denn: »Viele Menschen, die uns besuchen, sind hoch suizidal«. Manche Besucher*innen haben bereits schlechte Erfahrungen in einer Psychiatrie gemacht. »Jetzt suchen sie eine gute ambulante Therapie, können diese aber nicht finden«, sagt eine Mitarbeitende. Die langen Wartezeiten für Therapieplätze in akuten Krisen sieht das Team kritisch. »Das ist doch kein Zustand, und das funktioniert nur, wenn man Papiere hat.«
Aktuell sind Angebote für Antidiskriminierung, gegen häusliche Gewalt und für psychische Gesundheit von Kürzungen bedroht oder wurden schon gestrichen. Dazu zählt das Sorgentelefon »Die Nummer gegen Kummer« und die Hotline der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen für Opfer von häuslicher Gewalt, Kurse gegen Tätergewalt sowie Anti-Gewaltprojekte an Schulen und Kitas. Angebote, bei denen es um zwischenmenschliche Begegnung geht, würden »systematisch weggekürzt«, sagt ein Mitarbeiter. »Die Kürzungen werden zu einer Sozialarmut führen. Stattdessen werden Gelder in das Militär gesteckt. Das hat eine Entmenschlichung zur Folge.«
»Wir sind Vorbilder, denn wir zeigen, dass es möglich ist, aus den Krisen herauszukommen.«
Mitarbeitende des Frauen*Nachtcafés
Daher fordert das Team mehr finanziellen und mentalen Halt. Das Café wird von der Senatsgesundheitsverwaltung finanziert, die Höhe der Förderung sei seit Jahren nicht mehr gestiegen. »Wir sind total unterfinanziert«, erklärt eine Mitarbeitende. »Wir erhalten keine Nachtzuschläge und keine Feiertagszuschläge.« Die Bezahlung der Mitarbeitenden sei nicht genügend. Darüber hinaus ist das Café mit steigenden Miet- und Lebensmittelpreisen konfrontiert.
Das hat zur Folge, dass nur zwei Mitarbeitende nachts das Café betreuen können. Eigentlich seien zwei zu wenig, erklärt eine Mitarbeitende. Eine Person betreut die offenen Räumlichkeiten, heißt Nutzer*innen willkommen und gibt eine kleine Tour durch das Café. Manche Nutzer*innen brauchen nur Gesellschaft für ein paar Stunden, andere fragen nach Krisengesprächen. Dafür ist die zweite Mitarbeitende in dem Beratungsraum anwesend.
Doch eigentlich bräuchte es noch eine dritte Person, um das Telefon zu betreuen. »Menschen erreichen uns besonders seit der Pandemie verstärkt per Telefon«, erklärt eine Mitarbeitende. Manche rufen an, weil sie aus psychischen oder Sicherheitsgründen das Haus nicht verlassen können. Eine Mitarbeitende erzählt von Menschen, die aus Prenzlauer Berg angerufen haben, weil sie Hilfe benötigten, aber es nicht alleine nach Neukölln geschafft haben.
Die aktuelle finanzielle Situation des Projekts sei nicht nachhaltig, so das Frauen*Nachtcafé-Team. »Der Status quo kann nicht gehalten werden, da die Mitarbeitenden aus Mangel an Schutz ausbrennen, retraumatisiert werden, Diskriminierungen erfahren und so die Stelle wieder aufgeben«, warnte das Team jüngst den Berliner Senat in einem Brief. Sie fordern mehr Arbeitsstunden und Stärkung der Mitarbeitenden bei Mehrfachbelastung und Diskriminierungserfahrungen.
Stattdessen beobachtet das Team mit Sorge die Kürzungen für das Jahr 2026/2027. »Bei uns ist einfach nichts mehr wegzukürzen«, so eine Mitarbeitende. Das Café sei ansonsten nicht mehr zu halten. Das hätte zur Folge, dass es keine stabilisierende Krisenintervention insbesondere für suizidale Menschen gäbe. »Unsere Orte sind essenziell für Menschen, die sonst durch alle institutionellen Raster fallen, die zum Beispiel keinen Aufenthaltsstatus haben oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Diese Menschen müssen geschützt werden.«
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