Die deckeln uns

Ein Gespräch über Plastik und Schuld

Er nervt viele: der auf EU-Weisung festgemachte Deckel
Er nervt viele: der auf EU-Weisung festgemachte Deckel

Ich wollte mich mal nützlich machen und war beim Späti. Meine Freundin wartet auf unserer Lieblingsbank, da, wo wir immer sitzen und den Nahost-Konflikt nicht lösen. Dahin komme ich jetzt zurück, und ich habe Getränke dabei: eins für mich. Eins für meine Freundin. Eins für die Hummel.

Die Hummel ist uns eben zugelaufen. Oder zugekrochen. Sie schleppte sich über die Bodenplatten wie kurz vor finito. »Oft wirken die nur wie halbtot«, hat da meine Freundin gesagt, »jetzt im Sommer. Oft fehlt denen nur ein Schlückchen Zuckerwasser, dann regenerieren die ganz schnell.«

Ich gebe meiner Freundin ihre Limo, stelle mein Bier ab. Hantiere mit dem bescheuerten süßen Eistee. Meine Freundin hat schon Notfallmaßnahmen eingeleitet, hat die Hummel in ihren benutzten Eisbecher manövriert. Die schlürft jetzt Prenzlberg-Eis für 3000 Euro die Kugel.

»Boah«, sage ich, während ich am Süßtee herumruckele, »kannst du mir mal sagen, was das mit diesen Flaschendeckeln soll?«

Meine Freundin stupst die Hummel zart in Richtung Espresso-Eisrest, das wird sie so richtig in Form bringen.

»Die EU!«, sage ich. »Ist dir mal aufgefallen, dass diese ganzen Plastik-Reduktionsmaßnahmen immer dort eingreifen, wo wir am empfindlichsten sind?«

»Beim Bier?«

»Immer, wenn wir einen gemütlichen Moment haben. Immer, wenn wir Spaß haben wollen. Immer, wenn wir ganz intim bei uns selbst sein wollen. Wattestäbchen – böse! Trinkflaschendeckel – pfui! Plastikstrohhalme – böser, böser Verbraucher! Ich glaube, Feuchttücher sind auch schon ins Visier geraten. Weil sie Kunststoff enthalten!«

»Kein Witz über Kondome?«

»Es ist doch immer dasselbe«, sage ich. »Seit sie die Westwelt mit ihrem komischen Christentum erfunden haben, wissen sie, wie es geht: Willst du die Massen beherrschen, musst du ihnen schlechtes Gewissen machen.«

»Volksmassen haben kein Gewissen«, sagt meine Freundin, »Volksmassen haben Fahnen.«

»Eben«, sage ich, »du musst immer dem Einzelnen schlechtes Gewissen machen! Musst ihn in einem intimen Moment zu fassen kriegen, musst ihm klarmachen: Böse ist er! Böse, böse, böse. Er benutzt einen Plastikstrohhalm, also wird Gottes schöne Welt untergehen. Er wischt sich mit Feuchttüchern ab – Schafott, Digger!«

»Meinst du nicht …«

»Nein«, sage ich, »meine ich nicht! Sie haben die Ökologie zu einer Religion umgebaut: Tuet Buße! Es gibt Videos, in denen ein einzelnes Männchen, das mal eine Flasche am Strand liegenlässt, diese ganzen Plastikinseln im Pazifik verursacht hat! Oder der WWF erklärt dir im Netz, dass dein ganz persönlicher Abfall das Problem ist auf dieser Welt. Nicht Coca-Cola. Nicht Nestlé. Nicht die erdölproduzierenden Länder. Du bist es! Erbsünde! Und du musst dein Leben lang Buße tun. Am besten nichts konsumieren und nackt rumlaufen.«

»Und?«

Entschlossen reiße ich den verdammten Deckel ab, der auf EU-Weisung festgedingst ist an der Flasche. Früher habe ich immer aufgepasst auf die Deckel, neuerdings schmeiße ich die gern in die Gegend. Um die EU zu ärgern. Wir gießen der Hummel vorsichtig ein bisschen Süßtee in ihren Eisbecher. Sie ist nicht interessiert.

»Und?«

»Und?«, sage ich. »Das ist doch alles Aberglaube. Religion. Dass der Einzelne das Schicksal der Welt in der Hand hält. Narzisstische Selbstüberhöhung ist das, gottverdammmich!« Sage ich, schaue den abgerissenen Deckel böse an und stecke ihn in die Tasche.

»Schau«, sagt meine Freundin, »sie kommt wieder in Schwung!« Die Hummel krabbelt munter umher, voll süß. Meine Freundin steht auf und stellt den Eisbecher in einer urbanen Bepflanzung ab, mit dem Löffel als Steg nach draußen. Ich wünsche der Hummel nur das Beste. Manchmal denke ich ja: Von einem geretteten Insekt kann eines Tages eine neue Spezies abstammen, die dann, wenn wir endlich weg sind, den Planeten vernünftig regiert.

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