Schatztauchen der anderen Art

Projekt zur Entsorgung gefährlicher Altlasten beginnt mit Arbeiten vor Ostseebad Boltenhagen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Taucher vom Forschungstauchzentrum der Universität Kiel nähert sich 2017 in der Ostsee einem versenkten Munitionsrest.
Ein Taucher vom Forschungstauchzentrum der Universität Kiel nähert sich 2017 in der Ostsee einem versenkten Munitionsrest.

Am Samstag holten Taucher erste Munition aus mehr als 20 Metern Tiefe nach oben. Vor dem Ostseebad in Nordwestmecklenburg werden die Experten des Rostocker Unternehmens »Baltic Taucher« in den kommenden Wochen weitere Granaten, Panzerfäuste und andere Geschosse oder Sprengkörper unter Wasser sortieren, bevor die gefährlichen Überreste aus dem Krieg geborgen werden.

Schätzungen zufolge haben die Munitions-Fahnder bis in den nächsten Monat hinein zu tun. Die Auswertung ihrer Arbeit, bei der sie etwa 15 Tonnen Kriegsschrott beseitigen wollen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer – dann wohl als Weltneuheit geltenden – noch zu bauenden schwimmenden Industrieanlage, in der das brisante Material schon auf See umweltgerecht und kostengünstig vernichtet wird: durch Sprengen und Verbrennen. Ein Transport der Fundstücke an Land zu Entsorgungseinrichtungen entfällt.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Die Sorge um Gefahren, die von militärischen Altlasten ausgehen, nimmt zu, je länger diese auf dem Meeresboden liegen, dort korrodieren, porös und durchlässig werden und Sprengstoff freizugeben drohen: krebserregende und erbgutschädigende Substanzen, die sowohl Meereslebewesen gefährden als auch – über die Nahrungskette – menschliche Verbraucher. Eine beachtliche Menge solch bedrohlicher Weltkriegsüberreste, rund 300 000 Tonnen, rostet in der Ostsee vor sich hin, in der Nordsee sind es etwa 1,3 Millionen Tonnen.

Auch chemische Kampfmittel fehlen nicht im Meeres-Arsenal: In der Ostsee sollen etwa 5000 Tonnen solcher Stoffe versenkt worden sein, in der Nordsee erheblich weniger, wie aus einer Information des Bundesumweltamtes hervorgeht. So wurden 1949 im sogenannten Helgoländer Loch, einer Vertiefung nahezu fünf Kilometer vor der Insel im Meeresgrund, etwa 90 Tonnen Granaten, rund 6000 Stück, mit dem Nervenkampfstoff Tabun versenkt. Seine Wirkung auf Menschen: Tod durch Atemlähmung. Chemische Giftstoffe, zumeist Gas, hatten Truppen im Ersten Weltkrieg eingesetzt, im Zweiten Weltkrieg waren sie »nur« hergestellt, doch nicht im Kampf verwendet worden, heißt es.

Federführend bei Maßnahmen gegen die alte Munition in Ost- und Nordsee soll ein Kompetenzzentrum sein, das seinen Sitz nach dem Willen der Bundesregierung in Rostock bekommt. Damit rücke die Hansestadt ins Zentrum der nationalen Strategie zur Beseitigung der Kriegsmunition in Nord- und Ostsee, betont das Umweltministerium des Bundes. Rostock bringe für diese Aufgabe beste Voraussetzungen mit: »starke Forschung, erfahrene Unternehmen und ein einzigartiges Testfeld vor der Küste«.

Während sich Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) positiv über die Standortwahl äußerte, zeigte sich Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) nicht so zufrieden in puncto Kompetenzzentrum. Er hätte lieber eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe in Sachen Munitionsentsorgung gesehen.

Einig ist sich die politische Ebene darin, dass diese Entsorgung als Lösung eines der drängendsten Umweltprobleme im maritimen Raum anzusehen ist. Der Bund hat für diese Aufgabe im Haushalt 2025 rund 100 Millionen Euro bereitgestellt, muss aber für die Zukunft mit weiteren Ausgaben für den Entsorgungskomplex rechnen.

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.