Zecken in der Oberpfalz: FSME-Hotspot unter der Lupe

Wissenschaftler untersuchen die Besonderheiten eines Zecken-Areals in Bayern

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Auch Hunde sollten nach Spaziergängen regelmäßig nach Zecken abgesucht werden.
Auch Hunde sollten nach Spaziergängen regelmäßig nach Zecken abgesucht werden.

Der Sommerwind streicht über das hohe Gras, hier und dort wachsen gelbe Blumen. Hinter der Wiese erstreckt sich ein lichtes Wäldchen, das zum Beeren- und Pilzesammeln einlädt. Das kleine Areal bei Haselmühl in der Oberpfalz mutet idyllisch an. Nichts verrät, dass es sich um einen der gefährlichsten FSME-Hotspots Deutschlands handelt. Was ist das Besondere an diesem Ort? Diesem Geheimnis versuchen die Zeckenforscher Gerhard Dobler und Lidia Chitimia-Dobler auf die Spur zu kommen. Dobler leitet das Nationale Referenzlabor für FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München, seine Frau arbeitet am Fraunhofer-Institut für Immunologie, Infektions- und Pandemieforschung in München/Penzberg.

Im Zentrum ihrer Spurensuche steht das gefürchtete FSME-Virus, das während des Kalten Krieges sogar auf seine Eignung als B-Kampfstoff erforscht wurde. Sind Zecken mit diesem Erreger infiziert, können sie ihn beim Stechen übertragen. Dann kann die Frühsommer-Meningoenzephalitis ausbrechen, die in manchen Fällen schwer, vereinzelt sogar tödlich verläuft.

»Auch in Hamburg ist man nicht vor FSME sicher.«

Gerhard Dobler Facharzt für Mikrobiologie

»Das Risiko, FSME zu bekommen, ist aber relativ gering«, sagt Virologe Dobler. Sogar in dem Gebiet bei Haselmühl sind nur ein bis zwei Prozent aller Zecken Träger des Virus. »Statistisch gesehen bräuchte man also hundert Zeckenstiche, um sich zu infizieren.« Und selbst dann entwickeln viele Menschen keine oder nur leichte Symptome – warum, ist unklar. Abgesehen davon gibt es seit den 1980er Jahren eine Impfung gegen FSME.

Trotz allem sind Dobler und seine Frau stets auf der Hut vor den Parasiten. Beide tragen dicke Stiefel, in die sie ihre Hosen gesteckt und mit Kreppband umwickelt haben. So ausgestattet, durchqueren sie zielstrebig die hohe Wiese. »Hier mittendrin gibt es kaum Zecken«, erklärt Dobler. »Da ist es viel zu trocken.« Erst bei einer Luftfeuchtigkeit von 85 Prozent fühlen sich die Spinnentiere richtig wohl – Bedingungen, wie sie sich am Übergang von Wald und Wiese finden. Daher begeben sich die Forscher am Waldrand auf Pirsch, indem sie große, weiße Tücher hinter sich herziehen. An den groben Fasern klammern sich die Zecken fest, die in Gras und Gebüsch lauern.

Die Jagdgründe der Doblers sind klar getrennt: Lidia Chitimia sammelt zur Wiese hin, ihr Mann im Wald. Tatsächlich unterscheiden sich die FSME-Viren je nach Fundort der Zecke: »Wir haben festgestellt, dass in Wald und Wiese verschiedene genetische Linien des Virus vorkommen«, sagt Gerhard Dobler. Womit das zusammenhängt, ist unklar. Möglicherweise könnten die verschiedenen Viren sogar unterschiedliche Symptome auslösen.

Schon nach wenigen Metern finden sich ein paar schwarze Pünktchen auf dem Laken, die sich bei näherem Hinsehen als Zecken in verschiedenen Entwicklungsstadien entpuppen. »Da ist ein Weibchen dabei!«, ruft Tiermedizinerin Chitimia-Dobler erfreut und zeigt stolz auf ein besonders stattliches Krabbeltier. Die Zecken werden per Pinzette in ein Röhrchen gegeben, um sie später im Labor auf FSME zu untersuchen.

In diesem Frühjahr gab es infolge des milden Winters besonders viele Zecken. Doch das heißt nicht unbedingt, dass die Population wächst: Im Laufe des Sommers sterben erfahrungsgemäß viele Zecken. Außerdem bedeutet eine hohe Zecken-Zahl auch nicht, dass das FSME-Risiko höher ist als sonst. »Tendenziell sind dann sogar weniger Zecken infiziert«, sagt Dobler. Wie viele Menschen sich anstecken, steht auf einem anderen Blatt. Das hängt unter anderem davon ab, ob das Wetter sie oft nach draußen lockt und auch davon, wie die Ferien liegen.

Während Dobler geduldig Fragen beantwortet, bleibt er vor einem Brombeerstrauch stehen, der kniehoch am Waldrand wuchert: Hier ist die Wahrscheinlichkeit, auf infizierte Zecken zu stoßen, besonders groß, wie er erklärt. »In den Brombeersträuchern finden Mäuse Nahrung und Schutz.« Die Nagetiere, die oft von Zecken befallen werden, spielen nämlich eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung des Virus: Infizierte Zecken übertragen das Virus auf die Mäuse, die es wiederum an nicht-infizierte Zecken weitergeben. Auf diese Weise zirkuliert der Erreger zwischen Mäusen und Zecken.

Menschen zu infizieren, ist für das Virus dagegen eine biologische Sackgasse, da sie es nicht weitergeben können. Aber was hat es mit den Mäusen bei Haselmühl auf sich? »Wir haben hier Superspreader entdeckt«, berichtet Dobler. »Eine infizierte Maus hatte 80 Zecken. Das sind 20-mal so viele wie üblich.« Die Infektion löst bei Mäusen offenbar Veränderungen aus, die Zecken anziehen. »Ist es eine erhöhte Temperatur? Oder besondere Duftstoffe? Das wissen wir nicht.«

Möglicherweise könnte es in naher Zukunft Antworten darauf geben, welche Faktoren für einen FSME-Hotspot charakteristisch sind. Wenn alles gutgeht, startet im kommenden Jahr das Projekt »Habitrack«, mit dem sich FSME-Areale besser kennzeichnen lassen sollen. Der Finanzierungsantrag liegt derzeit noch beim Bundesforschungsministerium, ist aber laut Dobler bereits zur Förderung empfohlen.

Geplant ist, die Areale von 50 FSME-Hotspots in Süddeutschland per Satellitenaufnahmen zu erfassen und anhand bestimmter Parameter miteinander zu vergleichen. »Es geht zum Beispiel um die Oberflächentemperatur oder die Feuchtigkeit in der Erde. Die Frage ist: Was kommt signifikant häufig vor?«, sagt Dobler. Anhand der Daten soll ein Modell erarbeitet werden, das die Wahrscheinlichkeit einer hohen FSME-Durchseuchung anzeigt. Wie gut es funktioniert, wird im Landkreis Amberg getestet, wo das Virus besonders häufig vorkommt.

Im Idealfall lässt sich mit dem Modell zeigen, in welchen Gebieten das FSME-Risiko besonders hoch ist, sodass sich Menschen besser schützen können. Ganz ungefährlich ist ein Zeckenstich aber nirgendwo. »Auch in Hamburg ist man nicht vor FSME sicher«, sagt Dobler. Abgesehen davon kann man sich deutschlandweit mit Borrelien infizieren. Auch die Doblers hatten beide schon Borreliose – allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz. »Das ist das Schicksal des Zeckenforschers«, sagt der Virologe trocken. Dank Antibiotika haben beide die Infektionen gut überstanden.

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