- Politik
- Neukaledonien
Staat im Staate ist nicht genug
Neukaledonische Unabhängigkeitsbewegung weist auf Kongress-Abkommen zurück
»Ein Staat Neukaledonien innerhalb der Republik: Das ist eine Wette auf Vertrauen.« Mit diesen Worten feierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Mitte Juli das Abkommen, das zwischen Vertretern der Pariser Regierung, der Unabhängigkeitsbewegung von Neukaledonien und der Organisationen der dortigen ehemaligen französischen Siedler in zähen Verhandlungen ausgearbeitet wurde. Doch nun gibt es Ungemach. Auf einem kurzfristig am vergangenen Wochenende einberufenen Kongress der neukaledonischen Unabhängigkeitsbewegung FLNKS wurde das 13-seitige Dokument mehrheitlich abgelehnt und dies auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Numea bekannt gegeben. Das Abkommen sah weitgehende Autonomie für die Inselgruppe im Pazifik und einen Status als »eigenständiger Staat innerhalb der Französischen Republik« vor.
Delegation überzog ihr Verhandlungsmandat
Die Ablehnung auf dem Kongress zeigt, dass die FLNKS-Verhandlungsdelegation wohl ihre Kompetenzen überschritten hat, denn das von ihr geschlossene Abkommen ist jetzt von der FLNKS-Führung verworfen worden. Diese entspricht mit ihrer Haltung damit offensichtlich der Mehrheitsauffassung an der Basis der Organisation und darüber hinaus der breiten Masse der Nachfahren der Ureinwohner, die sich Kanaken nennen. »Das Abkommen von Bougival ist unvereinbar mit den Grundlagen und Zielen unseres Kampfes und mit den Errungenschaften, die wir auf diesem Weg bereits erzielt haben«, erklärte der FLNKS-Generalsekretär Dominique Fochi.
Der Kompromiss hatte eine Änderung der Verfassung vorgesehen, um Neukaledonien als »Staat im Staate« zu etablieren, mit eigener Staatsbürgerschaft, internationaler Selbstständigkeit, möglicher Uno-Mitgliedschaft und voller Kompetenz für Verteidigung, Währung, innere Sicherheit und Justiz.
Ein zweites Abkommen sollte diesen Prozess durch wirtschaftliche Maßnahmen unterstützen, damit Neukaledonien mittelfristig auf eigenen Beinen stehen kann. Dafür soll vor allem der Abbau von Nickel modernisiert und rentabel gemacht werden. Neukaledonien verfügt über die weltweit zweitgrößten Vorkommen dieses für die Stahlveredelung wichtigen Grundstoffs.
Die ausgehandelten Punkte wurden auf dem Kongress der Kanakischen und Sozialistischen Befreiungsfront (FLNKS) nicht infrage gestellt. Die Kritik konzentrierte sich darauf, dass der ausgehandelte Kompromiss kein neuerliches Referendum über volle Unabhängigkeit vorsah. Ein solches eindeutiges Votum erfolgreich zu bestreiten, ist nach wie vor das Ziel der FLNKS-Führung. Solche Abstimmungen hatte es bereits viermal gegeben – 1958, 1987, 2018 und zuletzt im Oktober 2020 –-, doch jedes Mal sprach sich eine Mehrheit der Bevölkerung für den Verbleib bei Frankreich als Departement der Republik aus. Ob daran ein neuerliches Referendum etwas ändern kann, darf bezweifelt werden, da sich der Bevölkerungsanteil der Kanaken weiter verringert, weil sich hier immer mehr aus Europa kommende Franzosen niederlassen.
Jugendliche Kanaken sind auf der Verliererstraße
Das Empfinden, sich auf der Verliererseite zu befinden, ist ganz besonders stark bei jugendlichen Kanaken. Viele von ihnen haben die Schule vorzeitig abgebrochen, sind ohne Berufsausbildung und oft arbeitslos. Sie lösten im Mai 2024 Unruhen aus, die sich zu regelrechten Straßenschlachten mit der Polizei ausweiteten. Diese konnten nur provisorisch beigelegt werden, brechen immer wieder neu aus und haben bis heute 14 Tote, mehrere Hundert Verletzte und materielle Schäden in Milliardenhöhe gefordert.
Nicht zuletzt, um die Situation in Neukaledonien zu befrieden, hatten sich die Regierung und die Bewegung FLNKS auf die Verhandlungen verständigt. Diese Ausgangslage ist nach wie vor gegeben, meint Ex-Premier Manuel Valls, der in der gegenwärtigen Regierung Minister für die französischen Übersee-Gebiete und -Departements ist und der bereits in den nächsten Tagen wieder nach Neukaledonien reisen wird. Er sei »fest entschlossen, den Kompromiss von Bougival zu retten«, hat er erklärt. Für Paris hat Neukaledonien große strategische Bedeutung, weil Frankreich damit einen wichtigen Stützpunkt mitten im Pazifik besitzt, der sich zu einer wichtigen Arena des Kräftemessens zwischen den USA und China entwickeln dürfte.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.