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Behinderung von Seenotrettung: »Das Warten ist frustrierend«

Die Medizinstudentin Katinka Sturm war mit dem Segelschiff »Nadir« auf Beobachtungs- und Rettungsmission im Mittelmeer

  • Interview: Tom Mustroph
  • Lesedauer: 7 Min.
Italien – Behinderung von Seenotrettung: »Das Warten ist frustrierend«

Wie war der letzte Rettungseinsatz? Und wie sehr spüren Sie das Meer noch im Körper?

Das Meer spüre ich nicht mehr. Aber die erste Nacht, die ich nicht an Bord verbracht und wieder in einem richtigen Bett geschlafen habe, war tatsächlich komisch. Zum ersten Mal hat es nicht gewackelt. Aber das lässt schnell nach. Insgesamt vier Wochen habe ich zuvor auf dem Boot gelebt. Wir waren aber nicht die ganze Zeit auf See, sondern auch viel im Hafen. Leider.

Leider, weil das Boot von den italienischen Behörden festgesetzt war?

Genau. Wir sind zehn Tage später raus, als wir eigentlich sollten. Das Warten ist extrem frustrierend, wenn man weiß, dass sich auf dem Mittelmeer ganz viele Unfälle ereignen. Nach dem Einsatz wurden wir ein zweites Mal festgesetzt.

Interview

Katinka Sturm (25) studiert Medizin in Leipzig. Sie rettet im Rahmen ihrer Tätig­keit für die zivile Beobachtungs- und Aufklärungs­organi­sation Resqship mit dem Zweimastsegler »Nadir« Geflüchtete im Mittelmeer. Ein Segelschiff übrigens, weil das billiger ist, weniger Kraftstoff verbraucht. Die Einsätze werden durch neue Gesetze der italienischen Regierung zunehmend behindert.

Das hat inzwischen Methode von Seiten der italienischen Behörden?

Ganz klar. Vorher hatten vor allem die großen Schiffe Probleme. Anscheinend hat die italienische Regierung gemerkt, dass wir ganz effektiv sind als eines der kleineren Boote. Jetzt werden wir strukturell und willkürlich daran gehindert, rauszufahren.

Was waren bei der »Nadir« die Gründe für die Festsetzung?

Beim ersten Mal wurden 112 Menschen gerettet. Die sollte die »Nadir« nach Lampedusa als sicherem Hafen fahren. Später kam aber die Nachricht, dass, weil auch medizinische Notfälle an Bord waren, diese der Küstenwache übergeben werden sollten und die »Nadir« dann nicht mehr nach Lampedusa, sondern nach Sizilien fahren sollte. Das bedeutete aber, 24 Stunden statt zwölf Stunden mit 112 Menschen unterwegs zu sein, was einfach absurd ist. Dafür ist die »Nadir« nicht ausgelegt. Das zweite Mal, da war auch ich an Bord, wurde uns vorgeworfen, dass wir nicht alle Küstenwachen informiert hätten. Laut internationalem Seerecht reicht es, wenn man eine Küstenwache informiert, die dann koordiniert. Italien hat aber ein neues Gesetz verabschiedet, laut dem man alle Küstenwachen informieren muss. Wir haben auch ganz viele in Kenntnis gesetzt. Rom hat die Koordinierung übernommen. Wir haben alle Befehle von denen durchgeführt. Trotzdem wurden wir festgesetzt. In der gleichen Woche sind noch zwei andere kleine Boote festgesetzt worden. Das ist ganz klar eine Politik der italienischen Regierung, um uns aus dem Gebiet herauszuhalten.

Die »Nadir« ist ja vor allem auf Beobachtungsmission im Mittelmeer unterwegs. Was genau wird beobachtet und dokumentiert?

Wir sind im Mittelmeer unterwegs, in der Such- und Rettungszone südlich von Lampedusa, vor allem in internationalen Gewässern. Dort dokumentieren wir Seenotfälle und helfen natürlich Menschen in Seenot.

Was geschah auf Ihrer Mission?

Wir fanden zwei Boote, das erste einfach durch Ausguck, was eher selten ist. Das Boot mit etwa 20 Menschen an Bord war ziemlich stabil, und wir haben sehr schnell mit den Behörden kommuniziert. In diesem Fall ist die italienische Küstenwache relativ schnell gekommen, hat die Menschen übernommen und nach Lampedusa gebracht. Zuvor haben wir Rettungswesten und Wasser verteilt. Ein Baby haben wir mit Sonnenschutz versorgt. Im zweiten Fall waren wir sehr viel weiter südlich. Es war auch ein größeres Boot, auf dem sich 59 Menschen befanden. Weil so viele Menschen an Bord waren, war es viel wackeliger. Wir hatten außerdem die Sorge, dass es sich um einen Doppeldecker handelte.

Was ist ein Doppeldecker?

Das wird jetzt häufiger beobachtet, dass es praktisch ein Unterdeck gibt. Dort können sich Gase ansammeln, die zu schweren Vergiftungen führen. Im letzten Jahr entdeckte eine Crew von uns zehn Menschen leblos in einem Unterdeck. Ich glaube, nur zwei waren noch am Leben. Die anderen acht waren schon verstorben. Das sind einfach extrem giftige Gase.

Eine Mischung aus Kraftstoff und fehlender Luftzirkulation unter Deck?

Die Vermutung ist, dass zum einen durch die Motoren Gase entstehen. Oft stehen da auch offene Benzinkanister. Weil es keine Luftzirkulation gibt, sammeln sich diese Gase an. Für uns stellt auch die Bergung von Personen aus solchen Situationen ein großes Problem dar. Wir können uns mit Gasmasken schützen. Aber es bleibt eine Hochrisikosituation für alle. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, das Boot zu evakuieren und alle Geflüchteten zu uns an Bord der »Nadir« zu nehmen.

Wie ist überhaupt der Gesundheitszustand der Menschen, die Sie dort auf hoher See treffen? Und wie bereiten Sie sich als angehende Medizinerin darauf vor?

Die Menschen sind Wind, Wetter und Sonne ausgesetzt und werden oftmals seekrank. Dehydrierung ist ein ganz großes Problem. Es wird also geschaut, dass alle eine Wasserflasche bekommen. Wir verteilen dann Rettungsdecken. Die beste Möglichkeit ist, dass man sie unter die Kleidung steckt und oben Knoten macht. Das sieht lustig aus und es ist natürlich sehr schwierig, das zu machen, wenn da alle eng beieinander sind. Da wird dann auch gelacht und sich gegenseitig geholfen. Das ist unglaublich schön, wie gerade in einer solch krassen Situation eine Gemeinschaft entsteht und alle auch miteinander lachen können. Ein weiteres Problem sind chemische Verbrennungen.

Was genau ist das?

Man kann sich das wie thermische Verbrennungen vorstellen, wie wenn man auf eine heiße Herdplatte fasst. Sie entstehen, wenn sich auf dem Boden eine Mischung aus Benzin, Salzwasser und anderen Körperflüssigkeiten ansammelt. Das Gemisch kann dann die Haut wegätzen. Man muss so schnell wie möglich die Flüssigkeit abwaschen und dann spezielle Verbände anlegen.

Wie können Sie sicherstellen, dass die medizinische Versorgung an Land weitergeht? Informieren Sie Mediziner in den Hotspots oder auf den Schiffen der Küstenwache? Und erhalten Sie irgendein Feedback?

Das ist ein sehr schwieriges Thema. Wenn wir in Lampedusa ankommen, dann wissen die Behörden Bescheid. Es sind auch Vertreter von Küstenwache, Polizei und den medizinischen Hilfsorganisationen vor Ort. Aber es kommt natürlich darauf an, wer gerade verfügbar ist. Bei einer Kollegin war es so, dass sie schwerstkranke Personen an Bord hatte, es dann aber keine Ärztin und keinen Arzt vor Ort gab. Auch eine Nachverfolgung war für uns bisher sehr schwierig, weil die Personen dann einfach im System der Notunterkünfte verschwinden. Wir versuchen jetzt innerhalb unserer Organisation Strukturen dafür zu entwickeln. Denn es waren ja unsere Patienten und Patientinnen. Und wir wollen erfahren, was mit ihnen geschieht.

Wie sind Sie überhaupt zur Seenotrettung gekommen? Was war die Motivation, welche ersten Schritte gingen Sie?

Vor zwei, drei Jahren habe ich durch eine Freundin von Resqship erfahren und bin später in die Ortsgruppe in Leipzig eingestiegen. Letztes Jahr im Winter war ich zum ersten Mal auf dem Boot. Da hatten wir es aus dem Wasser geholt und machten viele Reparaturen.

Hatten Sie zuvor Segelerfahrung?

Ja. Mein Vater segelt, seitdem er klein ist. Und ich bin da oft mit. Ich habe Segelscheine, das Meer ist mir nicht fremd.

Werden Sie wieder Einsätze mit der »Nadir« mitmachen?

Wenn es sich ergibt und mit dem Studium passt, dann sehr gerne. Man kann aber auch von Leipzig aus viel machen und die Crews unterstützen.

Wie blicken Sie jetzt nach den Erfahrungen in der Seenotrettung auf das Mittelmeer? Können Sie da in Zukunft noch unbefangen segeln oder ist das vorbei?

Ich weiß es nicht. Ich werde natürlich immer im Hinterkopf haben, dass Menschen das nicht als Urlaubsort ansehen, sondern als ihre Fluchtroute und sie dabei dem Tod oft entgegenschauen. Ich möchte aber auch einen großen Segelschein machen, sodass ich mehr Verantwortung übernehmen kann auf dem Boot. Dafür muss ich dann auch wieder segeln. Aber ja, das ist schon ein komisches Gefühl.

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