Kommunalwahlen NRW: Nicht rot, nicht blau

Die AfD dürfte bei den Kommunalwahlen in NRW Achtungserfolge erzielen – besonders da, wo das Geld knapp ist

Wie viele AfD-Mitglieder braucht man um ein Plakat aufzuhängen?
Wie viele AfD-Mitglieder braucht man um ein Plakat aufzuhängen?

Lars Klingbeil spielt im Sauerland auf der Gitarre »Wonderwall« von Oasis, und Bundeskanzler Friedrich Merz tourt zusammen mit Ministerpräsident Hendrik Wüst: In Nordrhein-Westfalen ist der Kommunalwahlkampf auf seinem Höhepunkt angelangt. Doch nicht das Abschneiden von SPD und CDU bestimmt die Debatten zu den Wahlen am 14. September. Am meisten wird darüber gesprochen, wie gut die AfD abschneiden wird. Es gibt Schlagzeilen wie: »Überrollt die AfD jetzt das Ruhrgebiet?«, »Wird das einst rote Ruhrgebiet AfD-blau?« oder »Die AfD greift nach dem Pott«.

Die Sorge vor AfD-Erfolgen, gerade im Ruhrgebiet, hat einen realen Hintergrund. Bei der Bundestagswahl im Februar wurde die extrem rechte Partei mit 24,7 Prozent bei den Zweitstimmen in Gelsenkirchen stärkste Kraft. Nur einer von zwei blauen Flecken auf den Wahlkreiskarten in Westdeutschland. NRW-weit wählten bei der Bundestagswahl 16,8 Prozent die AfD. Bei der Kommunalwahl 2020 entfielen landesweit nur 5,1 Prozent der Stimmen auf sie.

Und nun drohen Bürgermeister von der AfD in Städten wie Gelsenkirchen, Herne oder Dortmund? Daran glaubt nicht mal die AfD. Für die Oberbürgermeisterwahlen hat die Partei nicht auf bekannte Bundes- oder Landespolitiker*innen gesetzt. In Gelsenkirchen etwa tritt der 72-jährige Norbert Emmerich an. Im Rat ist er bisher nicht besonders aufgefallen. In der Lokalpresse spricht er über »Eurokritik«, die ihn zur Partei geführt habe, und dass ihn Populismus ärgere. Der Typ, mit dem die AfD eine Stichwahl gewinnen würde, ist Emmerich nicht.

»Gewählt wird die AfD für das Versprechen, ihren Wähler*innen ein Ventil für rassistische, sexistische und sozialdarwinistische Ressentiments zu geben.«

Kim Schmidt Autonome Antifa 170

In Dortmund hat die AfD Heiner Garbe als OB-Kandidaten aufgestellt. Der 65-Jährige war mal Pressesprecher bei Eon Ruhrgas und ist ein gutes Stück aktiver als sein Gelsenkirchener Kollege. Garbe führt einen rassistischen Wahlkampf, in dem auch von »Remigration« die Rede ist. In den sozialen Medien spricht er ständig über Kriminalität und Verwahrlosung. Für besonders engagiert hält Kim Schmidt von der Autonomen Antifa 170 die lokale AfD dennoch nicht: »Die AfD in Dortmund führt angesichts des Wirbels, der landesweit um sie gemacht wird, einen erstaunlich mittelmäßigen Wahlkampf.« Schmidt erzählt, dass die Partei schon mal mehr Plakate aufgehangen und für größere Aufreger gesorgt habe. Innerhalb der Stadtgesellschaft sei die AfD isoliert, anders als früher. Schmidt führt das auch auf einen »Brandmauer-Beschluss« des Stadtrats zurück, in dem sich eine Mehrheit grundsätzlich gegen Entscheidungen in Abhängigkeit von der AfD ausgesprochen hat. Ein Grund zur Beruhigung ist der durchschnittliche Wahlkampf der AfD für die Antifaschist*innen aber nicht. »Gewählt wird die AfD ja nicht wegen (kommunal)politischer Kompetenz, sondern für das Versprechen, ihren Wähler*innen ein Ventil für rassistische, sexistische und sozialdarwinistische Ressentiments zu geben«, meint Kim Schmidt.

Die Einschätzung der Autonomen deckt sich mit Umfrageergebnissen des WDR. Der Sender hatte danach gefragt, welchen Parteien die Wähler*innen die Lösung kommunaler Probleme zutrauen. Das Ergebnis: Landesweit sehen lediglich 11 Prozent der Befragten Lösungskompetenzen bei der AfD. Auch regional aufgefächert sehen die Ergebnisse für die extrem rechte Partei nicht besser aus. In den Regionen Duisburg und Dortmund trauen ihr 12 beziehungsweise 13 Prozent die Lösung kommunaler Probleme zu. Kommunalkompetenz ist es also nicht, die Wähler*innen zur AfD treibt.

Ihre besten Ergebnisse erzielt die Partei oft in besonders armen Städten. Eine davon ist Wuppertal. Bei der Bundestagswahl stimmten fast 18 Prozent mit ihrer Zweitstimme für die Rechten. Die Stadt ist mit 1,57 Milliarden Euro verschuldet. Wie macht man in einer solchen Situation Politik? Salvador Oberhaus versucht das als Oberbürgermeisterkandidat für die Linken. Er sagt: »Das Geld, das da ist, muss in Maßnahmen fließen, von denen alle Wuppertaler*innen profitieren.« Trotzdem sei es eine »kommunalpolitische Realität«, dass die Stadt auch in Zukunft »Mängel verwalten« müsse. Es sei wichtig, dass die Stadt nicht den Eindruck vermittele, »nicht in der Lage« zu sein, »zum Beispiel eine bedarfsdeckende Daseinsvorsorge sicherzustellen«. Oberhaus ist sich sicher: »Die Menschen erleben in den Kommunen zuerst, ob Politik – und damit gleichgesetzt Demokratie – funktioniert.« Negative Erlebnisse führten zu Politikverdrossenheit, die sich »schnell zur Delegitimierung von Demokratie« steigern könne. Das sei »Wasser auf die Mühlen der blaulackierten Faschist*innen«, wie der Oberbürgermeisterkandidat der Wuppertaler Linken es ausdrückt.

Oberhaus und seine Partei werben für einen vollständigen Altschuldenschnitt für die Kommunen, die in NRW mit insgesamt über 55 Milliarden Euro in den roten Zahlen sind. Vom Land gibt es jetzt 250 Millionen Euro jährlich, die den Kommunen helfen sollen. Eine bundesweite Lösung gibt es nicht. Friedrich Merz versprach jüngst bei einem Wahlkampfauftritt vage, sich des Themas anzunehmen.

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