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Israelischer Sport: Die Boykottrufe werden lauter

Zwischen Völkerrecht, Vereinsfußball und öffentlichem Druck: Europas Debatte über Israels Sport

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 6 Min.
Dass auch der palästinensiche Sport wie hier beim Volleyball im Gazastreifen unter dem Krieg leidet, ist nur ein Argument für Sanktionen gegen Israel.
Dass auch der palästinensiche Sport wie hier beim Volleyball im Gazastreifen unter dem Krieg leidet, ist nur ein Argument für Sanktionen gegen Israel.

Im Januar 2024 schloss der Eishockey-Weltverband die israelischen Nationalteams von seinen Wettbewerben aus. Nach Kritik aus Sport und Politik nahm er diese Entscheidung zurück. Im September 2024 lehnte der norwegische Fußballer Ole Saeter einen Wechsel zu Maccabi Haifa ab. In einem Interview sagte er: »Es war ein Angebot, das mich finanziell unabhängig gemacht hätte. Aber ich will kein Blutgeld. Es ist ein Land, das ich nicht vertreten will.«

Vor wenigen Tagen forderte der Bürgermeister von Udine, Alberto Felice De Toni, die Verlegung des WM-Qualifikationsspiels zwischen Italien und Israel, das am 14. Oktober in der ostitalienischen Stadt angepfiffen werden soll. Er halte die »Austragung des Spiels angesichts des unermesslichen Leids und einer humanitären Katastrophe in Gaza für unangemessen«. Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums soll das Fußballspiel weiterhin in Udine stattfinden, der Bürgermeister erwartet offenbar Proteste gegen Israel.

In den ersten Monaten nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und der militärischen Reaktion Israels hatten vor allem Sportorganisationen aus dem Nahen Osten einen Ausschluss Israels gefordert. Inzwischen wurden in Gaza mehr als 62 000 Menschen getötet, der Internationale Strafgerichtshof hat einen Haftbefehl gegen Premierminister Benjamin Netanjahu erlassen. Und so werden nun auch in europäischen Demokratien Boykottforderungen so laut vorgetragen wie nie zuvor.

Es stellt sich also die Frage: Sollte man den Sport in Israel für Regierung und Armee verantwortlich machen? »Die Sportler haben direkt nichts mit Kriegsverbrechen zu tun«, sagt Susan Shalabi, Vizepräsidentin des Palästinensischen Fußballverbandes. »Aber die israelische Regierung nutzt den Sport für ihre Botschaften. Und einige Sportler und Vereine lassen sich gern einspannen.« Da ist zum Beispiel der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben Gwir, der wegen seiner rassistischen und gewaltverherrlichenden Aussagen in sieben westliche Staaten nicht mehr einreisen darf. Ben-Gwir ist oft Ehrengast in der Fankurve des Fußballklubs Beitar Jerusalem. Dessen Ultras singen gern: »Wir hassen alle Araber«. Und: »Die israelische Armee muss siegen.« Einige Fans waren als Soldaten in Gaza im Einsatz. Sie posierten mit Vereinsfahnen vor den Ruinen in Gaza. Der Klub distanzierte sich davon nicht ausdrücklich.

Auch einige israelische Fußballer wählten drastische Worte. Der Nationalspieler Shon Weissman teilte in sozialen Medien Beiträge, die eine Zerstörung Gazas forderten. Fortuna Düsseldorf verzichtete deshalb auf eine Verpflichtung Weissmans. Menashe Zalka, Kapitän des Erstligisten Hapoel Hadera, zog als Soldat freiwillig in den Krieg und wurde später in den Stadien frenetisch gefeiert. Der ehemalige Nationaltorwart Dudu Aouate beleidigte in sozialen Medien Menschen, die sich ein Ende des Krieges wünschen.

»Der Fußball verdeutlicht die aufgeladene Stimmung in Israel«, sagt Matan Segal, Direktor der israelischen Antirassismus-Initiative »Kick it out«. In der vergangenen Saison dokumentierte sein Netzwerk in der israelischen Liga 367 rassistische Gesänge und Rufe in den Stadien – ein Anstieg um fast zwei Drittel. »Immer wieder werden auch palästinensische Kriegsopfer verhöhnt.« Ernsthafte Strafen verhänge der israelische Fußballverband jedoch selten.

»Immer wieder werden auch palästinensische Kriegsopfer verhöhnt.«

Matan Segal
Antirassismus-Initiative »Kick it out«

Aber sind das ausreichend Argumente für internationale Sanktionen gegen den israelischen Sport? Die Fifa etwa hat seit 2020 mehrere nationale Fußballverbände vorübergehend suspendiert, zum Beispiel jene aus Pakistan, Kenia oder Tschad. In der Begründung hieß es meist, dass sich die lokale Politik unzulässig in die Verbandsangelegenheiten eingemischt habe.

Kriege oder Regionalkonflikte spielen in Begründungen für Sanktionen selten eine Rolle. Das war nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine 2022 anders. Das Internationale Olympische Komitee suspendierte das Russische Olympische Komitee (ROC) mit dem Verweis auf die Verletzung der »territorialen Integrität« eines anderen Staates. Denn das ROC hatte die Sportverwaltungen in den besetzten Gebieten an sich gebunden, Russlands Fußballverband integrierte ukrainische Klubs in russische Ligen.

In diesem Punkt könne man Russland und Israel durchaus auf eine Stufe stellen, sagt Susan Shalabi vom Palästinensischen Fußballverband: »Denn auch die israelische Regierung untermauert ihren territorialen Anspruch mithilfe des Sports.« In den Siedlungen im Westjordanland, die der Internationale Gerichtshof und die Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig einstufen, sind seit Jahren mehrere israelische Vereine aus Fußball, Basketball oder Netball beheimatet. Mithilfe von historischen Luftaufnahmen legte Human Rights Watch dar, dass etliche Sportplätze und Vereinsheime auf enteigneten Grundstücken von Palästinensern errichtet wurden.

In den Statuten des Weltverbandes heißt es in Artikel 3: »Die Fifa verpflichtet sich, alle international anerkannten Menschenrechte zu achten und sich für den Schutz dieser Rechte einzusetzen.« Und in Artikel 72: »Mitgliedsverbände und ihre Klubs dürfen nicht ohne die Zustimmung des anderen Mitgliedsverbands auf dessen Gebiet spielen.« Die sechs Klubs in den Siedlungen gehören zum israelischen Verband – und damit zur Fifa. Stützt diese also indirekt die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik?

In den vergangenen zehn Jahren hat die Fifa das Thema immer mal wieder aufgegriffen. 2017 drohte sie dem israelischen Fußballverband mit Sanktionen, doch die Debatte ebbte ab. Seit dem 7. Oktober vertagte die Fifa mehrfach eine Entscheidung zu den Ausschlussforderungen gegen Israel. Eine Anfrage für diesen Artikel ließen sowohl die Fifa als auch die Uefa unbeantwortet. Israels Verband reagierte mit einer schriftlichen Stellungnahme. Darin heißt es: »Der israelische Fußballverband arbeitet gemäß allen Fifa-Regeln und es wurde nie etwas anderes festgestellt.«

Inzwischen leben mehr als 700 000 israelische Siedler in den besetzten Gebieten. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden seit Kriegsbeginn im Westjordanland rund 1000 Palästinenser getötet. »An einen normalen Fußballbetrieb ist nicht zu denken«, erzählt Shalabi. »Unsere Spieler fürchten sich vor Übergriffen und werden an Kontrollpunkten stundenlang festgehalten.« Etliche Nationalspieler sind seit Monaten im Ausland, um möglichen Reisebeschränkungen zu entgehen.

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An diesem Freitag spielen Israels Fußballer in der WM-Qualifikation gegen Moldawien, am Montag gegen Italien. Wieder werden Aktivisten, Sportler und Politiker auch in Europa ihre Boykottrufe gegen den israelischen Sport erneuern. Alon Meyer, Präsident des jüdischen Sportverbandes Makkabi in Deutschland, meint kritisch: »Solche Aufrufe bestärken auch die antijüdische Stimmung in Deutschland.« Sportler von Makkabi werden auch in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien für die israelische Politik in Mithaftung genommen, die Zahl antisemitischer Schmähungen steigt überall. »Boykottaufrufe gegen den Sport treffen auch diejenigen Menschen in Israel, die sich gegen die Kriegs- und Siedlungspolitik stark machen«, so Meyer.

Gemessen an der Bevölkerungszahl demonstrieren in Israel so viele Menschen gegen die Regierung wie in keinem anderen Land. Ein Ende des Krieges aber ist nicht in Sicht. Jüngst äußerte Benjamin Netanjahu Sympathien für ein »Groß-Israel« und somit indirekt für die Vertreibung der Palästinenser. Wie sollte der internationale Sport darauf reagieren? Eine Idee kommt aus Norwegen, wo Israels Fußballer im Oktober in der WM-Qualifikation zu Gast sein werden. Der norwegische Verband möchte das Spiel nicht boykottieren, aber die Einnahmen an Organisationen spenden, die sich in Gaza engagieren.

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