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Koalitionsausschusstreffen: Arbeit für den Aufschwung angekündigt
Union und SPD wollen sich auf Maßnahmen zur Konjunkturbelebung konzentrieren
Die Spitzen von Union und SPD demonstrierten nach ihrem Treffen Einigkeit und teilten mit, man wolle zügig Sozialreformen auf den Weg bringen und im Herbst die Weichen für eine wirtschaftliche Erholung in Deutschland legen. Angesichts des koalitionsinternen Streits in den ersten 100 Tagen des Regierungsbündnisses räumten die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD Fehler ein. CSU-Chef Markus Söder sagte nach der Sitzung des Koalitionsausschusses am Mittwochabend, man wolle »nach der Sommerdepression« eine »neue Herbst-Kraft« finden. Eine Liste mit konkreten Vorhaben und einen Zeitplan zu deren Abarbeitung legten die Teilnehmer des Treffens indes nicht vor.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) hatten sich in den vergangenen Tagen bei Auftritten und in Interviews einen Schlagabtausch zu den Sozialkosten geliefert. Nun betonten beide gemeinsame Ziele. Merz setzt auf eine von Bas bereits vorbereitete Reform des Bürgergelds, für die allerdings noch weitere Beratungen der vier Parteivorsitzenden vorgesehen seien. »Ich gehe davon aus, dass wir noch in diesem Jahr die wichtigsten Eckpunkte für eine solche Reform miteinander vereinbaren, so dass es dann auch zügig eine Reform des sogenannten Bürgergelds geben wird«, sagte Merz.
Merz betonte noch einmal, dass die Leistung dann zur »neuen Grundsicherung« werde. »Missbrauch« solle stärker unter Kontrolle gebracht werden. Die Menschen sollten verstärkt in den Arbeitsmarkt gehen oder dorthin zurückkehren.
Derweil reagierte SPD-Ko-Chefin Bas auf die Forderung von Merz, beim Bürgergeld jährlich fünf Milliarden Euro einzusparen. »Ich dämpfe immer die Erwartungen.« Denn: »Es ist abhängig davon, dass die Wirtschaft anzieht.« Nur wenn das geschehe, würden die Kosten für Transferleistungen nennenswert sinken, betonte die Arbeitsministerin: »Wenn wir 100 000 Menschen mehr in Arbeit bringen, dann macht das durchaus ein bis zwei Milliarden aus, die wir dann auch sparen.« Dass es unabhängig davon Reformbedarf beim Bürgergeld gebe, habe sie nie bestritten, so Bas. »Mich muss man hier auch nicht zum Jagen tragen.«
»Wenn wir 100 000 Menschen mehr in Arbeit bringen, dann macht das durchaus ein bis zwei Milliarden aus, die wir dann auch sparen.«
Bärbel Bas Bundessozialministerin
Noch am Tag vor dem Spitzentreffen im Kanzleramt hatte Merz Bas in einem Interview kritisiert, weil sie seine Aussage, der zufolge »wir« uns den Sozialstaat in seiner jetzigen Form »einfach nicht mehr leisten« können, »Bullshit« genannt hatte. Bei einem versöhnlichen Abendessen am Tag vor dem Koalitionsausschuss hätten sie sich dann aber gut unterhalten und eine gemeinsame Zielsetzung abgesteckt, berichteten beide, laut Bas »bei zwei Bier«.
Ausdrücklich bekannte sich Merz danach zum Sozialstaat: »Wir wollen ihn nicht schleifen, wir wollen ihn nicht abschaffen, wir wollen ihn nicht kürzen«, betonte er. »Wir wollen ihn in seinen wichtigsten Funktionen erhalten.«
Treffen mit Vertretern von Stahl- und Automobilindustrie
Passend zur von Bas ausgerufenen Priorität auf die Ankurbelung der Wirtschaft stellten die Koalitionäre ihre Anstrengungen für den Industriestandort Deutschland in den Vordergrund. Gleich zu zwei Spitzentreffen lädt der Kanzler ein. Für einen Gipfel mit der angeschlagenen Stahlindustrie im Kanzleramt laute das Ziel, »dass wir auf Dauer Stahlproduktion in Deutschland erhalten«, sagte er. Besprechen wolle man das mit den Erzeugern und Arbeitnehmervertretern. Wegen harter Konkurrenz vor allem aus Asien, hoher Energiepreise und der Konjunkturschwäche hatte die deutsche Stahlbranche zuletzt deutlich weniger Stahl hergestellt. Nun kommen die extrem erhöhten US-Zölle als Problem hinzu.
Merz will zudem zu einem industriepolitischen Dialog zur Zukunft der angeschlagenen Automobilindustrie einladen. Nicht nur die großen Hersteller hätten zu kämpfen, auch die Zulieferindustrie leide im Augenblick stark. Söder betonte, man sei nicht bereit, China oder anderen Automobilmärkten die Zukunft zu überlassen.
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Vorerst ungelöst bleibt die Frage, wie Union und SPD das 30-Milliarden-Loch im Bundeshaushalt 2027 stopfen wollen. Finanzminister Klingbeil will die Verhandlungen darüber nicht zur Zerreißprobe werden lassen. »Ich will darauf verzichten, dass wir im normalen Haushaltsaufstellungsverfahren für 2027 in nächtelange Koalitionssitzungen kommen und öffentlichen Streit, falls es den geben sollte an der einen oder anderen Stelle, zelebrieren«, sagte er.
Merz betonte, alle drei Partner seien sich über die Dimension der Aufgabe im Klaren. Es gehe nicht nur um den Bundeshaushalt 2027, sondern auch um die Etats 2028 und 2029. Klingbeil sagte, die Koalition müsse nun so schnell wie möglich ein Gesamtpaket vorlegen, das eine Antwort darauf gebe, wie die Lücke geschlossen werden solle. »Es wird gerecht dabei zugehen«, versprach Klingbeil. Linke-Fraktionschefin Heidi Reichinnek warf der Koalition Planlosigkeit vor. »Diese gezwungene Harmonieshow konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Koalition keinen Plan hat, wie sie die absehbaren riesigen Löcher in den Haushalten stopfen will«, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. dpa/nd
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