Der Frontalangriff auf die Laienverteidigung

Gesetzentwurf des Bundesrats will Recht massiv einschränken

  • Hanna Poddig
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Laienverteidigung soll demnächst nur noch Vertreter*innen von Berufsverbänden und Gewerkschaften vorbehalten sein.
Die Laienverteidigung soll demnächst nur noch Vertreter*innen von Berufsverbänden und Gewerkschaften vorbehalten sein.

Ein aktueller Gesetzentwurf des Bundesrates sieht die Änderung der Strafprozessordnung vor. Bisher ist es möglich, dass im Strafverfahren auch Personen, die nicht Jura studiert haben, als Verteidigung zugelassen werden. Vor allem Umweltaktivist*innen nutzen diese Möglichkeit seit über 15 Jahren und verteidigen sich gegenseitig. Das soll nach Meinung der CSU ein Ende haben. Nun muss der Bundestag über das Vorbringen entscheiden.

Es bestehe derzeit, so die Begründung im Gesetzesentwurf, die Gefahr, dass »extremistische« oder »staatsfeindliche« Menschen als Verteidigerinnen zugelassen würden, Reichsbürger oder Aktivistinnen etwa. Und denen gehe es »in manchen Fällen« darum, den Gerichtssaal für Propaganda zu nutzen und dort öffentlich »verfahrensfremden politischen Aktivismus darzubieten«. Organisierte Rechte als vermeintlichen Grund für Gesetzesverschärfungen anzuführen, ist keine neue Strategie, trifft am Ende aber eben doch immer alle.

Rechtsanwalt Nils Spörkel aus Göttingen sagt im Gespräch, er könne nur konstatieren, dass die Befürchtungen mit der Praxis wenig zu tun hätten. Er habe bei mehreren Gelegenheiten gemeinsam mit erfahrenen Laien verteidigt und dabei vielfach großen Respekt vor den Kenntnissen und Ideen gehabt, mit denen sich diese einbrachten. »Hier wäre es vielleicht sinnvoll, wenn die Politik vor Schnellschüssen zunächst Erfahrungsberichte aus der Praxis einholen würde«, resümiert der Strafverteidiger.

Auch den betroffenen Aktivistinnen drängt sich der Eindruck auf, dass das Problem der CSU nicht der Missbrauch, sondern der Gebrauch der Regelungen der StPO ist. Aktivistin und Laienverteidigerin Irene Thesing schildert, dass sich Laienverteidiger*innen oft gründlicher vorbereiten könnten als Anwält*innen und sie deshalb sogar oft eine bessere Verteidigung gehabt habe. »Meine Vermutung ist, dass es gerade die gute Verteidigung ist, die stört. Unsere Verteidigung soll nicht verbessert, sondern erschwert werden.«

Die intensive Vorbereitung auf den Einzelfall hat auch Rechtsanwalt Tronje Döhmer beobachtet. In einem Interview aus dem Jahr 2017 bestätigt er, Laienverteidiger*innen hätten regelmäßig eine bessere Aktenkenntnis und würden sich nicht selten besser in der Strafprozessordnung auskennen. Die Zusammenarbeit mit ihnen sei stets sinnvoll und förderlich. Laienverteidiger*innen seien in der Regel in der Lage, sich mit ihren Fällen besonders zeitintensiv zu befassen. »Das ist ihr entscheidender Vorteil«, so Döhmer.

Der aktuelle Bundesratsentwurf will die Laienverteidigung nicht ganz abschaffen, sondern auf bestimmte Berufsgruppen beschränken. Explizit benannt sind in der Begründung als Beispiel Polizeibeamte, die sich im Strafverfahren von Juristen einer Polizeigewerkschaft vertreten ließen. »Diese Möglichkeit soll auch künftig erhalten bleiben.« Es gehe dabei um das Anerkenntnis des Bedürfnisses, sich von Personen vertreten zu lassen, »die bei berufsbezogenen Prozessen ein besonderes Fachwissen einbringen und gleichzeitig eine kostengünstige Vertretungsmöglichkeit bieten (Gewerkschaften und Berufsverbände, soweit der Betroffene deren Mitglied ist).« »Gesinnungsgenossen« und »Mitstreiter« schieden hingegen als Laienverteidiger*innen »von vornherein aus«.

Dass diese Argumentation zunächst exakt das beschreibt, was die aktivistische Laienverteidigung real leistet, kurz darauf aber betont wird, dass durch die Neuregelung explizit Aktivist*innen ausgeschlossen werden sollen, zeigt den Charakter des Vorbringens: Es geht an keiner Stelle um das Wohl aller Angeklagten, sondern darum, dass nur bestimmte Angeklagte von den Regelungen profitieren sollen.

Der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hingegen gehen die Änderungsvorschläge nicht weit genug. Aufgrund der vermeintlich gestiegenen »Komplexität der geltenden strafprozessualen Regelungen« regt die BRAK an, Laienverteidigung insgesamt abzuschaffen. Selbstredend wegen der »Qualität der Verteidigung« und »dem Schutz des Beschuldigten«.

Die Aktivistin Irene Thesing stellt die Gegenfrage: »Was hilft mir eine angeblich bessere Verteidigung, wenn ich sie mir nicht leisten kann? Angeklagten würde helfen, kostenlose Verteidigungen in jedem Strafverfahren zu stellen – denn zahlreiche Menschen stehen unverteidigt vor Gericht und werden oft deshalb verurteilt. Das ist das reale Problem von Beschuldigten, nicht ob die Verteidiger*innen einen Abschluss haben oder nicht.«

Der Bundesrat begründet den vermeintlich bestehenden Handlungsbedarf damit, die Rücknahme einer einmal erteilten Genehmigung sei mit Aufwand und Eskalationsrisiko verbunden. Doch in der Praxis ist das Gegenteil der Fall: Wenn Angeklagte alleine auf der Anklagebank sitzen, werden sie viel mehr Pausen brauchen, um sich zu besprechen, StPO-Regelungen nachzuschlagen oder Anträge zu formulieren. Wenn es nicht, wie naheliegenderweise von vielen befürchtet, faktisch darum geht diese Verteidigungsfähigkeit zu beschneiden, würden Prozesse in Zukunft länger und komplizierter.

In der Begründung zum Gesetzentwurf steht, eine Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten sei mit den Änderungen nicht verbunden, da die Qualifikation seiner möglichen Verteidiger erhöht werde. Thesing empfindet das als sachlich falsch und zynischen Neusprech. »Wie ich mich verteidigen will und mit wem, muss meine Entscheidung bleiben.«

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