Eine Tragödie des Stolzes

Für das Lausitz-Festival wurde Shakespeares »Coriolan« geprobt

Der alte Brecht – in den Armen von Suse Wächter – hat seinen Shakespeare gelesen.
Der alte Brecht – in den Armen von Suse Wächter – hat seinen Shakespeare gelesen.

Mit gleich zwei Glückskeksen war ich bedacht worden, als ich das panasiatische Restaurant in der gastronomisch unterversorgten Niederlausitz wieder verlassen habe. Mein Ziel: der Forster Hof (wo in lange vergangenen Zeiten, in einem Staat vor diesem Staat, ein Stadttheater residiert haben soll). Hier wird im Rahmen des diesjährigen, wie immer shakespearevernarrten Lausitz-Festivals ein Spektakel mit dem einnehmenden, aber schwer zu merkenden Titel »Es kotzt mich an. Ihr Kroppzeug!« gegeben. Der Untertitel weiß mehr zu verraten: »Forster Bürger proben den Coriolan«.

Regisseur Jürgen Kuttner hat sich Shakespeares »Coriolan« vorgenommen. Eine Tragödie des Stolzes hat Brecht den alten Stoff aus den Geburtsstunden der Volksherrschaft einmal genannt. Und mit ebenjenem Brecht bändigt Kuttner das selten gespielte Stück und stellt es uns als einen Konflikt um Demokratie und deren andauernden Krisenzustand vor.

Genosse Shakespeare

Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.

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Hagelte es in den vergangenen Jahren Kritik am Leitungsteam des Lausitz-Festivals, weil hier mit viel Geld aus der Ferne ein Programm ausgeklügelt wird, das vielleicht ein paar Hauptstadtjournalisten anzieht, aber mit den Menschen vor Ort wenig zu tun hat, wurde zumindest mit dieser Inszenierung dieses Mal vieles richtig gemacht: Nicht nur inhaltlich hat man Volk, Volkszorn und Volksverachtung auf die Bühne gebracht, sondern mit einem Bürgerchor Forsterinnen und Forster wortwörtlich auf der Szene platziert.

Der römische Kriegsherr Gaius Marcius, bald unter dem Namen Coriolanus bekannt, hasst das einfache Volk. Schlacht für Schlacht gewinnt er. Und als er auch die Volsker triumphierend schlägt, will er sich zum Konsul wählen lassen. Krieg wird als Maßnahme zur Einigung und innerlichen Befriedung vorgestellt. Aber fürs Essen sollte schon gesorgt sein. Der Plebs, die Volkstribune sollen ihren Segen geben. Doch er bekommt ihn nicht, er wettert gegen die »Volksblödheit« und wird zum Verräter. Das ist »House of Cards« – im alten Rom und in Versen.

Peter René Lüdicke zeigt den abstoßenden Titelantihelden mit aller notwendigen Rotzigkeit. Und Torsten Pötzsch, langjähriger Oberbürgermeister im nahegelegenen Weißwasser, gibt sein Theaterdebüt als Menenius, ein um Ausgleich bemühter Patrizier. Ein vielköpfiger Bürgerchor, zwischen Stammtischparole und berechtigter Wut, weist den Coriolan bald in seine Schranken. Dazu erfindet Matthias Trippner gewitzt die Begleitmelodien.

Und die grandiose Puppenspielerin Suse Wächter leiht Brecht Stimme und Hände. Kein falsches Pathos und keine Gefühligkeit verunklaren den Blick. Mit Brecht sieht das Publikum diesen Shakespeare als Gegenwartsstück. Die selbsterklärten Helden wollen auch heutzutage ganz nach oben. Und das Volk soll nicken. Da muss das Spiel hin und wieder Erläuterungen und Kommentaren weichen. Langweilig wird es dabei nicht. Weil Brecht und Shakespeare uns etwas zu sagen haben über den Krieg der da oben gegen die unten. Und weil Kuttner weiß, wie er einen solchen Stoff anpacken muss.

Und welche Botschaften mir durch die Glückskekse zuteilwurden? »Du kannst nicht zurück, marschiere vorwärts.« So wird es auch der Coriolanus gesehen haben, bis es kein Vorwärts mehr gab. Und: »Denke daran: Du hast mehr Stärken als Schwächen.« Ein sanfter Appell an das Volk, das sich von Politchargen nichts sagen lassen muss. Und Brecht, Shakespeares treuester Genosse, hätte angemerkt: »Wer aber immer siegt – ist verloren.«

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