Level 42: Verspätete Hippies

Vor 40 Jahren schafften Level 42 weltweit den Durchbruch, obwohl sie überhaupt nicht in die Zeit passten

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 4 Min.
So sah Weltschmerz in den 80ern aus.
So sah Weltschmerz in den 80ern aus.

Der Mark Knopfler des Bass: Mark King. Beiden Marks gelang es, einem altvertrauten Instrument neue Sounds zu entlocken. Einen Song von den Dire Straits oder Level 42 erkennt man bereits nach wenigen Takten.

Dass beide Bands dennoch keine erwähnenswerten Nachahmer fanden, ist ungewöhnlich für eine Branche, in der so ziemlich alles, was halbwegs erfolgreich oder erfolgversprechend ist, adaptiert, kopiert oder plagiiert wird. Das spricht für die herausragende handwerkliche Qualität, aber auch dafür, dass die Musik etwas enthielt, was sich der Nachahmung entzog.

Man sagt den 80ern ja nach, sie seien kalt und zynisch gewesen, gerade im Vergleich mit den idealistischen 60ern, aber auch mit den ernüchterten 70ern, als man sich – die Teekanne in Reichweite – eng aneinanderkuschelte, um wenigstens das kleine Glück zu retten (wenn es schon mit den großen Träumen nicht geklappt hatte). Punk und New Wave beendeten auch diese Illusion. Es gab kein richtiges Leben im falschen. Und wenn man die Welt schon nicht verändern konnte, dann wollte man ihr wenigstens cool entgegentreten. »JA zu NEIN« lautete 1986 eine Kampagne der Zeitgeistzeitschrift »Wiener«, was die allgemeine Grundhaltung ziemlich gut traf – »die Welt ist schlecht, mir ist’s recht!«

Level 42 waren nie cool. Mark King wirkte wie ein trauriger, schmollender Junge, der auf dem Schulhof zu oft gehänselt worden war. Schlagzeuger Phil Gould und sein Bruder, der Gitarrist Rowland »Boon« Gould, hingegen sahen aus wie Softies. So nannte man in den 80ern junge Männer, die zu feinfühlig für die Welt erschienen. Und zumindest auf »Boon« Gould traf dies auch zu. Er litt zeit seines Lebens unter depressiven Schüben und Panikattacken und erhängte sich 2019. Lediglich Keyboarder Mike Lindup, der Gelassenheit und Fröhlichkeit ausstrahlte, passte nicht so recht in das Gruppenbild. Andererseits trug er auch am wenigsten zur Entstehung der Songs bei.

Die waren bevorzugt in der Tonart Moll gehalten. Zwar wurde der Sound im Lauf der Jahre immer luftiger und leichter – vom basslastigen Funk hin zum synthiegeprägten Pop –, doch die Texte sorgten für bleierne Schwermut. Selbst in Liebesliedern ging es immer ums Grundsätzliche. Da beklagt Mark King, dass seine Freundin von ihm Stärke erwartet. Er solle immer »a good man in a storm« sein. Doch genau das – jetzt wird‘s grundsätzlich – versucht er ja seit seiner Geburt: die gesellschaftliche Norm erfüllen.

Das sind Zeilen, die so gar nicht in die 80er passen. Ein Jahrzehnt, in dem man allenthalben – ob in Neonbars oder Gruftikellern – auf die Gesellschaft pfiff und das Hohelied der Individualität und Selbstverwirklichung sang. Endlich erwachsen sein und die Sau rauslassen!

Da blieben Level 42 außen vor. Für sie ist »erwachsen« ein Synonym für deformiert, desillusioniert und derangiert. Wer älter wird, wird auch nicht weiser. Im Gegenteil. »These changing years, they add to your confusion« (»Deine Verwirrung wächst mit den Veränderungen, die die Jahre mit sich bringen«) heißt es in »Something about you«, dem Lied, mit dem ihnen 1985 weltweit der Durchbruch gelang. Und in »Children say« bekommen die eigenen Eltern die Quittung für den Verrat an ihren Kindheitsträumen präsentiert: »They close the door, but they can’t lock it, ‘cause something of their childhood remains. And they’ve felt it before, when the man in their pocket counted the cost of their material gains« (»Sie schließen die Tür, aber sie können sie nicht verriegeln, denn etwas von ihrer Kindheit steht dazwischen. Und sie spürten es bereits, als der Mann in ihrer Tasche den Preis berechnete, den sie für ihren Wohlstand zu zahlen hatten«).

Ihr größter Hit »Lessons in love« aus dem Jahr 1986 haut in die gleiche Kerbe. »All the dreams that we were building we never fulfilled them. All the homes that we were building we never lived in« (»All die Träume, die wir erschufen, haben wir nie erfüllt. All die Häuser, die wir bauten, haben wir nie bewohnt«).

All diese Zeilen kommen einem vertraut und doch unwirklich vor. Sie wirken wie aus der Zeit gefallen. Es ist typisches Hippie-Gedankengut. Worte aus einer längst vergangenen Epoche. Und die galten in einem Jahrzehnt, das Coolness wie eine Monstranz vor sich hertrug, als ziemlich uncool. Mit einem Mal versteht man, warum Level 42 in den 80ern keine Nachahmer fanden. Musikalisch mochten sie neue Wege gehen, doch spirituell bewegten sie sich auf Pfaden, die in die Vergangenheit zurückwiesen.

Dass sie dennoch Erfolg hatten, zeigt, dass es damals viele Teenager und Twens gegeben haben muss, die in der Coolness fröstelten. Menschen, die sich nicht unbedingt die Musik der 60er und frühen 70er, wohl aber das Lebensgefühl jener Zeit zurückwünschten. Für sie – die Sensiblen unter den Diskothekengängern – boten Level 42 das passende Komplettpaket. Man konnte zu ihren Hits prächtig tanzen (auf Schulfeten war »The sun goes down (livin‘ it up)« das perfekte Scharnierstück zwischen »Don’t you (forget about me)« von den Simple Minds und »Billie Jean« von Michael Jackson) und sich zugleich der Melancholie hingeben. Weltschmerz, der groovte. So etwas lässt sich nicht kopieren.

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