Gockel in der Streichholzschachtel

Ein Plädoyer für Männererziehungsbeauftragte im öffentlichen Raum

Nur langsam zieht das Testosteron aus diesen Räumlichkeiten hinaus.
Nur langsam zieht das Testosteron aus diesen Räumlichkeiten hinaus.

Es darf ruhig einmal ausgesprochen werden: Männerumkleideräume und Gemeinschaftsduschen gehören zu den unangenehmsten öffentlich zugänglichen Arealen der Welt. Allein der Geruch, diese »komplexe Mischung aus individuellen Körperausdünstungen«, wie die Google-KI sie verharmlosend nennt, ist zum Weglaufen, diese Wolke aus Schweiß, Fußkäse, Plastik/Gummi/Metall, Darmgasen und Deospray, in die man unweigerlich hineinläuft, sobald man diese Räumlichkeiten betritt.

Das Fürchterlichste aber sind die Leute, die dort ein- und ausgehen. Man ist, ob man will oder nicht, plötzlich in seiner unmittelbaren Umgebung mit Personen konfrontiert, die man üblicherweise sorgsam meidet und mit welchen man im Alltag niemals freiwillig zusammentreffen würde: mit anderen Männern. Anders gesagt: mit Dummbeuteln, Zivilisationsfeinden und Schlägertypen unterschiedlichster Art, mit AfD-Wählern, Esoterik-Ottos, Islamisten, BWL-Studenten oder anderen Männern mit fragwürdigem Geisteszustand. Es kommt einem sofort ein Satz der unvergleichlichen Männer-Expertin Dorothy Parker (1893–1967) in den Sinn: »Drei Dinge braucht der Mann: blendendes Aussehen, Brutalität und Beschränktheit.«

»Drei Dinge braucht der Mann: blendendes Aussehen, Brutalität und Beschränktheit.«

Dorothy Parker

Wer Glück hat, muss während der fünf Minuten, in denen er sich hier umzieht, mit niemandem von diesen Kreaturen sprechen. Jean Paul Sartres berühmt gewordene Sentenz »Die Hölle, das sind die anderen« bekommt hier plötzlich eine ganz neue Bedeutung. Natürlich finden um einen herum fortwährend in einer Lautstärke, die nur schwer auszublenden ist, kommunikationsähnliche Manifestationen statt: »Na, Alter, ey, biste auch da heute?« – (Fist Bump, gockelhafte Körperhaltung, Kratzen am Sack) – »Yo, ich muss ja.« – »Hier’s ganz okay, oder? Kann man gut trainieren, wa? Leider ziemlich viele vom anderen Ufer auch da.« Der armselige Dummkopf scheint stolz auf sein im Mittelalter hängengebliebenes Spatzenhirn und sein Ressentiment, das er natürlich für eine Art clever-coolen Mackerspruch hält.

Da ist sie, zuverlässig wie immer: die tiefsitzende Angst des Mannes, dass ein schwuler Mann, der sich in seiner Nähe aufhält, ihn anfassen, ihn anstecken, ihn schwul machen könnte. Durch Homobazillen, Gedankenübertragung, Hypnose, Voodoo, dunkle Machenschaften oder einen beherzten Griff ans Glied. Doch das wird nicht passieren. Genauso wenig hat der Idiot zu befürchten, dass zivilisatorische Mindeststandards in seinem Verstand Einzug halten und ihn in ein halbwegs sozial kompatibles Lebewesen verwandeln.

An die beständige Geräuschkulisse aus Röcheln, Schnaufen und Würge- und Spuckgeräuschen, die die Dusch- und Umkleideräume dominiert, und an die fortgesetzt untereinander ausgetauschten Angebereien und das dummdreiste Herausposaune von allerlei geistigem Unrat hat man sich ja irgendwann gewöhnt: So sind sie eben, diese Männer, diese neandertalerhaften Wesen, denkt man nachsichtig. Produkte eines göttlichen Fehlversuchs von gigantischem Ausmaß, denen es irgendwie gelang, sich jahrtausendelang durch die Evolution zu schummeln. Keine Minute können sie mal die Klappe halten und mal darauf verzichten, das Ausmaß ihrer Dummheit und Ignoranz öffentlich zur Kenntnis zu geben.

Nein, das können sie nicht. Und das wollen sie auch nicht. Immer müssen sie ihrer Umgebung mitteilen, dass sie das unverrückbare Zentrum des Universums sind, dass ihre unmaßgebliche Meinung zu irgendwelchen irrelevanten Dingen den Maßstab für ausnahmslos alles bildet. Sie müssen kundtun, welche Größe und Geschwindigkeit ihr Automobil hat, wie viele Frauen in ihrem Leben sie bereits sexuell befriedigt haben oder wie viele sie künftig noch zu befriedigen beabsichtigen. Immer müssen sie möglichst jeden Augenblick ihres Daseins zu einer Mischung aus Reichsparteitag und Junggesellenabschied machen. Nie können sie akzeptieren, dass es jenseits der Streichholzschachtelwelt, in der sie leben, Lebensentwürfe gibt, in denen Protein-Shakes, Bundesligaergebnisse, Höchstgeschwindigkeiten und offensives Dicke-Eier-Gehabe keine Bedeutung haben.

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft nicht ausgewählte Männererziehungsbeauftragte durch öffentliche Räume, in welchen Männer zusammenkommen, patrouillieren und dafür sorgen sollten, dass jene, die sich zu laut, zu testosterongetrieben oder zu dumm gebärden oder ein problematisches Sozialverhalten zeigen, an Ort und Stelle öffentlich Selbstkritik üben und Besserung geloben müssen. Es könnten auch, je nach Schwere des Verstoßes, Punkte im »Verhaltenspass« des jeweiligen Delinquenten eingetragen werden. Man könnte das analog zum Flensburger Punktesystem organisieren: wer lautstark in die Dusche rotzt: ein Punkt; wer homophobe Äußerungen von sich gibt: drei weitere Punkte, und so weiter. Nach dem Erreichen von acht Punkten droht der Entzug der Erlaubnis, sich an öffentlichen Orten aufzuhalten. Es könnten auch weitere Maßnahmen wie die Pflicht zur Teilnahme an einem Zivilisationseignungsseminar verhängt werden.

Sicher ist jedenfalls: Der Seminarleiter, der gerade liebevoll seinen Blick über seine Rohrstocksammlung wandern lässt, steht schon fest.

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