Werbung

Welthandel: Die Folgen der US-Zollpolitik für Vietnam

Washingtons neuer Handelskrieg stellt Hanois exportorientierte Wachstumsstrategie auf die Probe

  • Tung Nguyen
  • Lesedauer: 7 Min.
Textilexporte in die USA werden wegen der US-Zölle für Vietnam schwieriger: Arbeiter*innen nähen im Juli in einer Bekleidungsfabrik in der Provinz Thai Nguyen Kleidungsstücke.
Textilexporte in die USA werden wegen der US-Zölle für Vietnam schwieriger: Arbeiter*innen nähen im Juli in einer Bekleidungsfabrik in der Provinz Thai Nguyen Kleidungsstücke.

Nach zahlreichen Verhandlungsrunden auf fachlicher und ministerieller Ebene zwischen den USA und Vietnam verhängte US-Präsident Donald Trump Ende Juli einen Zoll in Höhe von 20 Prozent auf alle vietnamesischen Importe sowie 40 Prozent auf sogenannte Transshipment-Waren, also auf Produkte aus China, die über Drittländer umgeleitet werden, um höhere Zölle zu umgehen. Diese Maßnahmen gefährden Vietnams Wachstumsziel von acht Prozent im Jahr 2025 und setzen die exportabhängige Wirtschaft, vor allem die Textil- und Maschinenbaubranche, erheblich unter Druck. Zugleich eröffnen sie dem Land die seltene Gelegenheit, in der zersplitterten globalen Lieferkette aufzusteigen.

Zwar wurden die Zölle gegenüber dem ursprünglich geplanten Satz von 46 Prozent abgesenkt, doch zeigte die vietnamesische Regierung sich von dem Ergebnis enttäuscht. Seit April 2025 hatte Hanoi bei seinem mittlerweile fünften »umfassenden strategischen Partner«, der höchsten Kategorie in der vietnamesischen Diplomatie, immer wieder für einen erheblich niedrigeren Satz geworben.

Hanois pragmatischer Kurs

Vietnam schlug in den Gesprächen mit Washington einen pragmatischen Kurs ein und zeigte sich rasch zu einer Reihe von Zugeständnissen bereit: freier Marktzugang für US-Produkte und praktisch vollständiger Abbau vietnamesischer Zölle auf Importe aus den USA. Zudem sollten konkrete Schritte zum Abbau des Handelsdefizits erfolgen. Der stellvertretende Ministerpräsident, Ho Duc Phoc, kündigte den Kauf von 250 Boeing-Maschinen, mehreren Militärflugzeugen, US-Flüssiggas im Wert von sechs Milliarden US-Dollar sowie weiterer Waren und Anlagen im Umfang von über 90 Milliarden US-Dollar an. Im Inland verschärften die Behörden die Kontrollen, um die Bedenken der USA im Hinblick auf Transshipments zu zerstreuen, etwa durch strengere Exportinspektionen und ein engmaschigeres Monitoring der Lieferketten.

Der seit 2021 regierende Ministerpräsident, Pham Minh Chinh, stellte jedoch klar, dass die Gespräche mit den USA stets im Gesamtzusammenhang der vietnamesischen Außenwirtschaftspolitik zu sehen seien, zu der 17 Freihandelsabkommen und Partnerschaften mit 60 Märkten weltweit zählen. Vietnam könne es sich nicht leisten, seine Beziehungen zu anderen Handelspartnern aufs Spiel zu setzen. Das Land halte deshalb an seinem Grundsatz fest, den »Markt zu öffnen, ohne die Souveränität preiszugeben«, und werde sich im Handelskonflikt zwischen Washington und Beijing nicht »auf eine Seite schlagen«.

Kooperation mit der RLS

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterhält mehr als zwei Dutzend Auslandsbüros auf allen Kontinenten. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit »nd« gibt es an dieser Stelle regelmäßig Berichte über Entwicklungen in den verschiedensten Regionen. Alle Texte auf: dasnd.de/rls

Auch wenn 20 Prozent mehr sind als erhofft, ist das Ergebnis »das am wenigsten ungünstige« Szenario im laufenden Handelsstreit zwischen den Vereinigten Staaten und China, in dem – neben Vietnam – auch mehrere andere Länder Südostasiens zwischen die Fronten geraten sind. Der Satz liegt nur einen Prozentpunkt über den Zöllen auf Exporte anderer Mitgliedstaaten der Vereinigung südostasiatischer Nationen (ASEAN) und Konkurrenten Vietnams: Thailand, Kambodscha, Indonesien, Malaysia und die Philippinen. Wesentlich härter trifft es Brunei (25 Prozent) sowie Laos und Myanmar (40 Prozent). Singapur ist ein Sonderfall unter den ASEAN-Mitgliedern. Aufgrund seines Handelsdefizits gegenüber den USA und eines bilateralen Freihandelsabkommens entfällt auf die Exporte des Stadtstaats ein Basiszollsatz von lediglich zehn Prozent.

Da Vietnam nach China und Mexiko den drittgrößten Handelsüberschuss gegenüber den USA aufweist, hätte es durchaus schlimmer kommen können. Allein 2024 betrug der Überschuss 123,5 Milliarden US-Dollar. Dennoch verhängte Trump gegen andere große Exportnationen deutlich höhere Sätze: Indien 25 Prozent, Kanada 35 Prozent und China 30 Prozent.

US-Zölle gefährden Entwicklungsziel

Vier Jahrzehnte nach Beginn der Doi-Moi-Reformen ist Vietnams Wirtschaft stark in globale Lieferketten eingebunden. Das Außenhandelsvolumen ist anderthalb Mal so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Doch der Großteil der Ausfuhren konzentriert sich auf wenige Märkte: 65 Prozent der Exporte gehen in die USA, nach China, in die EU, die ASEAN, nach Südkorea und Japan. Die Ausfuhren in die USA allein machen fast 30 Prozent des vietnamesischen BIP aus. Entsprechend hart trifft das exportorientierte Land die Erhöhung der US-Zölle, insbesondere in den Schlüsselbranchen Maschinenbau (18,5 Prozent aller Exporte in die USA im Jahr 2024) und Textilien (13,5 Prozent).

Seit 2018 profitiert Vietnam aufgrund seiner strategischen Lage von der westlichen »China-plus-eins-Strategie«, da Unternehmen ihre Produktion diversifiziert oder von China nach Vietnam verlagert hatten, um Zölle zu umgehen. Die US-Exporte Vietnams schnellten dadurch von 40 Milliarden US-Dollar (2018) auf 136,5 Milliarden (2024) hoch. Im gleichen Zeitraum stiegen die Importe aus China von 49 Milliarden auf 138 Milliarden US-Dollar – das sind 22 Prozent der Gesamtimporte im vergangenen Jahr. Mit Trumps Rückkehr ins Amt hat sich dieser strategische Vorteil ins Gegenteil verkehrt, da Vietnam zu den Ländern gehört, die als Umschlagplatz für chinesische Waren gelten.

Die genaue Auslegung der Transshipment-Klausel, die durch Vietnam geschleuste chinesische Waren betreffen soll, steht dabei noch aus. Für die ausländischen Unternehmen, die 70 Prozent der vietnamesischen Exporte erwirtschaften, herrscht dadurch große Rechtsunsicherheit. Eine enge Auslegung könnte dazu führen, dass ein erheblicher Teil der vietnamesischen Ausfuhren als Transshipments chinesischer Exporte eingestuft werden, zumal ein hoher Anteil der in der Textil-, Bekleidungs-, Schuh- und Elektronikbranche erforderlichen Rohstoffe aus China stammt. So kommen schätzungsweise 60 Prozent der Vorprodukte für die vietnamesische Textilproduktion aus dem Ausland, 80 Prozent davon wiederum aus China. Ein solches Szenario würde die rund 7000 Textilbetriebe mit drei Millionen Beschäftigten massiv unter Druck setzen.

Bereits jetzt veranlasst die neue US-Zollpolitik viele ausländische Investor*innen in Vietnam zur Umstrukturierung. Laut einer Umfrage der Wirtschaftsprüfgesellschaft PwC vom Juni dieses Jahres erwarten 86 Prozent der Unternehmen negative Folgen wie Auftragsrückgänge, Lieferkettenstörungen und steigende Kosten für Betriebsmittel. Außerdem verlagern 44 Prozent der Betriebe ihre Beschaffung in andere Länder. Damit geraten Vietnams ehrgeizige Pläne eines achtprozentigen BIP-Zuwachses in diesem Jahr und eines zweistelligen Wachstums in den Folgejahren ins Wanken. Die Ratingagentur Moody’s Analytics und der Internationale Währungsfonds korrigierten ihre Prognosen für 2025 bereits mit Verweis auf die US-Politik nach unten, auf nur noch rund fünf Prozent. Will Vietnam sein ambitioniertes Entwicklungsziel, bis 2045 den Status eines Hochlohnlandes zu erreichen, verwirklichen, muss das Land alternative Wachstumsmotoren finden, um den schrumpfenden Exportmarkt zu ergänzen.

Regelbasierte Globalisierung?

Die Trump-Regierung nutzt Zölle als strategisches Instrument, um die globalen Lieferketten neu zu ordnen. Sie verfolgt damit das Ziel, Chinas wirtschaftlichen Aufstieg aufzuhalten bzw. zurückzudrängen. Wer Zugang zum US-Markt behalten will, muss seine Beziehungen zu Beijing weniger intensiv gestalten, Lieferketten streng kontrollieren und das Transshipment chinesischer Waren unterbinden. Diese Zollpolitik steht für eine neue Form der Globalisierung, in der nationale Sicherheit und geopolitische Rivalität wichtiger sind als wirtschaftliche Effizienz. Klassische Offshoring-Modelle, also die auf dieser Effizienz basierende Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten ins Ausland, verlieren an Bedeutung. Stattdessen werden sie durch sogenannte Friendshoring- oder Allyshoring-Modelle ersetzt; das heißt, Dienstleistungen oder Warenproduktion werden vor allem in befreundete und verbündete Länder des eigenen geopolitischen Lagers verlegt, was zu einer weiteren Fragmentierung globaler Lieferketten führt.

Damit neigt sich die Epoche der regelbasierten Globalisierung ihrem Ende zu. An ihre Stelle treten ökonomische Unsicherheit, Vergeltung in Handelsfragen, Protektionismus und letztlich die Zersplitterung des Welthandels. Für Vietnams »Bambusdiplomatie«, die auf Eigenständigkeit, Multilateralismus, Diversifizierung und Balance zwischen den Großmächten USA und China setzt, stellt das eine enorme Herausforderung dar. Gleichzeitig macht der aktuelle Handelskrieg deutlich, wie anfällig Vietnams exportorientierte Wachstumsstrategie ist, die sich so stark auf wenige Exportmärkte stützt.

Langfristig könnte Vietnam die Diversifizierung und das Gleichgewicht seiner Exportmärkte weiter verbessern, um die Schocks gegenwärtiger und zukünftiger handelspolitischer Herausforderungen zu lindern. Die im Juni 2025 besiegelte offizielle Partnerschaft mit dem Staatenbündnis Brics (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), die Vietnam eine bessere Zusammenarbeit mit Schwellen- und Entwicklungsländern des Globalen Südens ermöglicht, könnte ein wichtiger Baustein dieser Strategie sein.

So schwierig die Lage auch ist, die US-Zölle eröffnen Vietnam zugleich die Chance, in der sich wandelnden globalen Wertschöpfungskette aufzusteigen: von einem alternativen Fertigungs- und Montagestandort hin zu einem regionalen Technologiezentrum für Halbleiter und Elektronik. Bereits in den ersten sieben Monaten dieses Jahres haben Konzerne wie NVIDIA (KI-Forschung, KI-Rechenzentren) und Intel (Ausbau der Chipproduktion) Projekte mit großem technologischem Wertschöpfungspotenzial angekündigt. Allerdings hängt dieser Aufstieg nicht allein von Vietnams geopolitischer Lage ab. Er setzt auch institutionelle Reformen voraus: transparente Rahmenbedingungen für ein günstiges Investitionsklima, unabhängige und nachhaltige Lieferketten mit geringerer Abhängigkeit von China, bessere Infrastruktur, gut ausgebildete Fachkräfte und strikte Einhaltung internationaler Handelsregeln.

Die kommenden Jahre werden von einem zunehmend fragmentierten geopolitischen Umfeld und wachsenden wirtschaftlichen Herausforderungen geprägt sein. Vietnam steht vor einer harten Belastungsprobe.

Tung Nguyen ist Projektmanager im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Hano

Die Trump-Regierung nutzt Zölle als strategisches Instrument, um die globalen Lieferketten neu zu ordnen.

-
- Anzeige -

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.