Medikamente fehlen weiterhin

Der Welt-Alzheimertag steht in diesem Jahr unter dem Motto »Mensch sein und bleiben«

Ein an Demenz erkrankter Mann schneidet Äpfel für das gemeinsame Essen in einer Wohngemeinschaft.
Ein an Demenz erkrankter Mann schneidet Äpfel für das gemeinsame Essen in einer Wohngemeinschaft.

Weltweit sind bereits 55 Millionen Menschen von Demenzerkrankungen betroffen. Die Zahl wird sich bis 2050 mehr als verdoppeln. Am Welt-Alzheimertag, der an diesem Sonntag begangen wird, soll die Aufmerksamkeit für die Erkrankten und ihre Angehörigen gestärkt werden. Zwei Drittel der Patienten leben schon jetzt in ärmeren Ländern, wo die Nöte in der Versorgung noch um einiges höher sein dürften als in Deutschland. Aber auch hierzulande erscheint eine Demenzdiagnose für viele Menschen wie ein Damoklesschwert, das über ihren Familien schwebt. Jedes Jahr kommen 300 000 Neudiagnosen hinzu.

Schon jetzt leben in Deutschland 1,8 Millionen Demenzerkrankte, 60 Prozent davon sind von einer Alzheimer-Demenz betroffen. Mit der steigenden Lebenserwartung könnte ihre Zahl bis 2050 auf bis zu 2,7 Millionen Menschen wachsen. Der Begriff »Demenz« umfasst als eine Art Sammelbegriff über 50 verschiedene Störungen, die die geistige Leistungsfähigkeit vermindern. Die Alzheimer-Krankheit ist unter diesen die häufigste.

Lecanemab und Donamemab können aber den Krankheitsverlauf nur verlangsamen, wenn sie schon im Frühstadium zum Einsatz kommen.

Um die aktuell Erkrankten kümmern sich bereits etwa vier Millionen Menschen, professionell Pflegende nicht mitgerechnet. Umfragen von Krankenkassen haben ergeben, dass sich ohnehin schon jeder vierte pflegende Angehörige »hoch belastet« fühlt. Liegt eine Demenz vor, sind es schon 37 Prozent, die das so einordnen. Und 7,5 Prozent der Angehörigen sehen sich derart überfordert, dass sie erwägen, die Pflege aufzugeben.

Eine optimistischere Perspektive können Betroffene und An- wie Zugehörige in Selbsthilfeorganisationen erfahren. So weist die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft zum diesjährigen Welttag der Erkrankung darauf hin, dass Menschen mit der Diagnose durchaus Gefühle wie Freude, Angst und Schmerz empfinden – und das auch bis zum Ende ihres Lebens. Sie »verschwinden« also durchaus nicht, wie oft suggeriert wird, wenn auch die Erkrankung sie verändert. Früheres Können und Wissen gehen verloren, nicht aber der Mensch selbst, insofern auch das Motto »Mensch sein und bleiben«. Die Alzheimer-Gesellschaft fordert deshalb mehr Wissen, Verständnis, Mitgefühl und Unterstützung im Umfeld ein, sowohl für Betroffene als auch für Familien und enge Freunde. Wenn das gesichert sei, könnte die Krankheit sogar in den Hintergrund treten.

Trotz einiger Fortschritte bei den verfügbaren Medikamenten ist die Alzheimer-Demenz weiterhin nicht heilbar. So erhielt im April 2025 Lecanemab unter strengen Auflagen die EU-Zulassung, im Juli gefolgt von Donamemab. Lecanemab ist unter dem Handelsnamen Leqembi seit September auch in Deutschland erhältlich. Beide Präparate können aber nur den Krankheitsverlauf verlangsamen, wenn sie schon im Frühstadium zum Einsatz kommen. Diese Patienten sollten jedoch bestimmte Risikofaktoren nicht haben, etwa bestimmte Genvarianten oder bereits bestehende Mikroblutungen im Gehirn. Um letztere und weitere Veränderungen dort aber auszuschließen, muss eine MRT-Untersuchung durchgeführt werden. Nach bisherigen Annahmen kann Lecanemab höchstens sechs Prozent der Alzheimer-Betroffenen helfen. Neben den aufwändigen Voruntersuchungen fallen auch erhebliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und Hirnblutungen negativ ins Gewicht.

Laut der deutschen Alzheimer-Forschungsinitiative werden aktuell weitere, teils medizinisch schon bekannte Substanzen und Wirkstoffe erprobt. Dazu zählt zum Beispiel Lithium, das als Medikament bislang unter anderem in der Prophylaxe von manisch-depressiven Psychosen eingesetzt werden kann. Hier wurde in der Langzeittherapie schon beobachtet, dass auch eine antidementive Wirkung auftritt. Neuere Studien deuten nun darauf hin, dass das Spurenelement Nervenzellen vor Alterung schützen kann. Ein gesicherter Nutzen bei Alzheimer ist jedoch noch nicht nachgewiesen.

Ein weiterer Kandidat ist das Blarcamesin. Dieser Wirkstoff bindet an einen Rezeptor, der für Zellwachstum, Gedächtnis und Stimmung wichtig ist. Er soll zelluläre Reinigungsprozesse fördern (die sogenannte Autophagie), bei denen schädliche Zellbestandteile abgebaut werden. Das kleine Molekül gilt jedoch noch als experimentell und ist noch nicht als Medikament zugelassen.

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Ebenfalls untersucht wird Spermidin. Der körpereigene Stoff wird in allen Zellen gebildet und ist an wichtigen zellulären Prozessen beteiligt, auch an der genannten Autophagie. Da seine Produktion im menschlichen Körper im Alter abnimmt, ist es von Vorteil, dass er auch mit bestimmten Lebensmitteln aufgenommen werden kann, darunter Weizenkeime, Sojabohnen, Nüsse oder Pilze. Erhofft werden davon mögliche Schutzwirkungen fürs Gehirn. Alle hier genannten Beispiele sind jedoch laut der Forschungsinitiative noch weit von einer praktischen Anwenung entfernt.

Von deutlich größerer Bedeutung für Betroffene sind sogenannte Lebensstil-Interventionen. Damit gemeint sind an die Personen angepasste Veränderungen des Lebensstils, die möglichst viele Aspekte davon umfassen. Einmal abgesehen davon, dass körperliche Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, eine hohe soziale Aktivität und eben auch die Kontrolle grundsätzlicher Gesundheitsparameter wie Blutdruck, Blutzucker- und Blutfettwerte (und gegebenenfalls deren medikamentöse Einstellung) vor weiteren chronischen Erkrankungen schützen können, sollte in diesem Bereich nicht zu spät begonnen werden. Studien zeigen sogar, dass sich bis zu 45 Prozent aller Demenzerkrankungen durch die Reduktion von Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes oder auch Depressionen verzögern oder verhindern lassen. Zu den Risikofaktoren zählt zudem soziale Isolation. Die Wahrscheinlichkeit, an einer Demenz zu erkranken, lässt sich also senken – eine Garantie dafür, gar nicht zu erkranken, gibt es aber nicht.

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