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Untwegs für Bewegungsfreiheit
Mit einer Karawane protestieren Aktivisten gegen die Isolation Geflüchteter
Bereits fünf Tage ist die »Karawane für Bewegungsfreiheit« unterwegs. Gestartet waren rund 250 Menschen am vergangenen Samstag nahe der Thüringer Geflüchtetenunterkunft Obermehler – einem Ort mitten im Nirgendwo. Eine Zeit lang hatten dort nicht einmal Linienbusse gehalten. Danach demonstrierte die Karawane in Arnstadt, wo die thüringische Brombeer-Koalition im August ein neues Abschiebegefängnis eingerichtet hat. Am Mittwoch machte die Karawane schließlich in Leipzig halt, bevor sie nach Dresden und schließlich Berlin zu einer großen Abschlusskundgebung weiterzieht.
Die Organisator*innen der Gruppe »We’ll Come United«, in der viele Menschen mit eigener Fluchterfahrung aktiv sind, wollen mit der Karawane zehn Jahre nach dem Sommer der Migration und dem Marsch von Geflüchteten von Ungarn nach Österreich und Deutschland ein Zeichen setzen für die Rechte von Menschen auf der Flucht und gegen Rassismus. »Wir wollen darauf aufmerksam machen, wie Migrant*innen in Deutschland behandelt werden, unter anderem wie sie in den Camps isoliert werden«, so Akem E., einer der Organisatoren der Karawane im Gespräch mit »nd«.
Oft befinden sich Geflüchtetenunterkünfte am Rand von Städten oder in Dörfern und drängen die Bewohner*innen damit wortwörtlich an den Rand der Gesellschaft. Das hatte auch der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) festgestellt, der Ende letzten Jahres eine Broschüre zu den Zuständen in Erstaufnahmeeinrichtungen (EAEs) in Sachsen veröffentlichte. Unterbringung in Zelten oder Containern mit vielen Menschen, keine Privatsphäre und Kontrollen durch Securitys gehören demnach zum Alltag in den EAEs. Laut dem SFR ist die Versorgung in den Unterkünften nicht darauf ausgerichtet, dass dort Menschen leben, die von ihrer Flucht möglicherweise massive körperliche und psychische Probleme sowie Traumatisierungen davontragen haben.
Für mehrere Monate sind Personen im Asylverfahren verpflichtet, in den Unterkünften zu wohnen; und selbst wenn diese Verpflichtung endet, haben sie aufgrund rassistischer Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, mit unsicherem Aufenthaltsstatus oder wenig Geld kaum die Möglichkeit, eine eigene Wohnung zu finden. Die zwangsweise Unterbringung in den EAEs verschlimmert vor allem die gesundheitliche Situation der Geflüchteten. Auch Abschiebungen aus den Einrichtungen finden statt, ein massives Bedrohungsszenario für die Bewohnerinnen.
Betrieben werden Erstaufnahmeeinrichtungen in der Regel von privaten, gewinnorientierten Unternehmen. Von den Bundesländern wird ein bestimmtes Budget für die Einrichtung einer Geflüchtetenunterkunft zur Verfügung gestellt. Wenn die Unternehmen unter diesem Budget bleiben, ist der Rest ihr Gewinn. Das ist zusammen mit einer oft schlechten Planung und hoher Fluktuation in den Verwaltungsstrukturen sowie dem zunehmenden Anti-Asyl-Klima in der Politik ein Treiber der schlechten Unterbringungszustände. Zudem gibt es keine unabhängige Beschwerdestelle für Bewohner*innen von EAEs, sodass Proteste gegen die Umstände zumeist ins Leere laufen.
Auch Akem E. lebte in verschiedenen solcher Einrichtungen in Sachsen. Nur wenige lehnen sich gegen diese Zustände auf. Viele der Geflüchteten hätten in dieser Situation laut Akem E. auch Angst. Einige kämen aus Ländern, wo Demonstrationen verboten wurden und Menschen, die auf die Straße gingen, einfach eingesperrt würden. »Einige Menschen haben Angst, wenn sie gegen die Camps auf die Straße gehen, dass sie dann abgeschoben werden.« Die Asylrechtsverschärfungen der vergangenen Jahre verschlimmerten diese Situation. Gerade deshalb sind Organisationen wie »We’ll Come United«, in denen sich Migrant*innen organisieren können, so wichtig. Besonderes Augenmerk legt die Gruppe dabei darauf, die Stimmen Geflüchteter hörbar zu machen.
Auch Leo K. hat die Karawane mitorganisiert. »Als ich gesehen habe, wie schlimm die Zustände in den Unterkünften sind, wollte ich auch etwas dagegen tun. Also haben wir erst angefangen, die Lager zu besuchen, Geflüchtete dort im alltäglichen Kampf zu unterstützen und uns gegenseitig die Solidarität zu zeigen, die der Staat verweigert.«
Noch bis kommenden Samstag wollen die Aktivist*innen mit der Karawane zum einen die antirassistische Bewegung stärken, aber auch Druck auf die Politik aufbauen. Bei der großen Abschlusskundgebung in Berlin wollen sie erneut Bewegungsfreiheit für alle Menschen, einen generellen Abschiebungsstopp und ein Ende der katastrophalen Situation und der Isolation Geflüchteter in Deutschland fordern – mit Maßnahmen wie dezentraler Unterbringung und der Abschaffung der jüngst eingeführten Bezahlkarte.
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